Vielen Dank Dakimani und Antares dass Ihr dran bleibt. Ich weiß, ich quäle den armen Jack schon sehr... Aber irgendwie ist das meine Spezialität
Hier geht es also weiter mit Kapitel 5
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5. Kapitel: Ayiana – Die ewige Blüte
„Ayiana wurde von Wissenschaftlern in der Antarktis gefunden, in der Nähe des dort entdeckten Stargates. Schätzungen zufolge war sie etwa dreißig Jahre alt, lag aber mindestens drei Millionen Jahre im Eis. Ihre Zellen waren völlig intakt, was unüblich für gefrorenes Gewebe ist. Normalerweise würden Eiskristalle die Zellstruktur zerstören…“
Sam Carter berichtete ruhig und konzentriert von den damaligen Erlebnissen. Es fiel ihr nicht schwer sich daran zu erinnern, schließlich hatte sie damals den Missionsbericht verfasst, da Jack O’Neill dazu nicht in der Lage gewesen war.
„Als wir sie aufgetaut hatten, erwachte sie von selbst zum Leben. Sie lernte sehr schnell unsere Sprache, verstand sofort was Jonas sagte, wenn sie auch selbst fast nicht redete.“
Sie bemerkte die fragenden Gesichter der Anwesenden und ergänzte:
„Jonas Quinn. Er war damals Mitglied von SG-1. Daniel war…“
Sie brach ab und suchte Daniel Jacksons Blick. Ihr fehlten die Worte zu beschreiben, was Daniel damals widerfahren war. Es wussten ohnehin alle. Unnötig es zu erklären. Er lächelte schief und nickte ihr aufmunternd zu. Natürlich kannte Daniel den Bericht. Er hatte sie alle nach seiner Rückkehr von den Aufgestiegenen gelesen und das ein oder andere Detail bei Jonas oder Sam hinterfragt. Ihm musste sie nichts mehr erklären. Aber Rodney und Dr. Keller hingen interessiert an ihren Lippen und Sam fragte sich insgeheim, ob sie der jungen Ärztin auch nur den geringsten Hinweis liefern konnte.
„Ayiana schien sich ungewöhnlich schnell selbst heilen zu können. Aber ihr fehlte jede Erinnerung an die Zeit vor ihrem Auftauen. Ihre Gehirnwellen zeigten Übereinstimmungen mit denen von General O’Neill zu der Zeit, als die Antiker Datenbank in sein Gehirn geladen worden war und bisher inaktive Teile seines Gehirns aktiviert hatte. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass Ayiana einer Evolution entstammte, die vor der bisher bekannten stattgefunden hatte. Auf jeden Fall war sie gewissermaßen ein weiter entwickelter Mensch. Wir vermuten, dass sie eine Antikerin war. Scheinbar wurde sie als einzige zurückgelassen. Warum konnten wir nicht herausfinden.“
Sam machte eine Pause, seufzte, dachte an Jack der bereits seit einigen Stunden wieder im Nebenzimmer lag angeschlossen an ein EEG und andere Maschinen, die seine Körperfunktionen genauestens überwachten.
„Ayiana trug eine gefährliche Krankheit in sich, die ihr selbst allerdings nichts anzuhaben schien. Jedenfalls wurden wir nach und nach alle krank bis auf Teal’c. Wir hatten hohes Fieber und zeigten keine Reaktion auf Antibiotika. Janets…, Dr. Fraisers, Untersuchungen deuteten auf einen Virus hin. Sie verglich die Erkrankung ebenfalls mit zerebrospinaler Meningitis. Ayiana gelang es, uns alle zu heilen, bis auf General O’Neill… Bei jedem Heilungsprozess, schien sie an Kraft zu verlieren. Und sie starb bevor sie den General retten konnte.“
Sam brach ab und drängte die Erinnerungen an das zurück, was auf Ayianas Tod hin folgte. Jacks Leben hatte damals am seidenen Faden gehangen. Seine einzige Rettung lag in einem Tok’Ra Symbionten. Sie hatte sich oft gefragt, ob sie ihn heute wieder dazu überreden würde. Und kam auch nun wieder zu dem Schluss, dass sie alles getan hätte, um ihn nicht zu verlieren… So wie jetzt! Sie hatte schließlich damals nicht wissen können, welches Chaos auf die Verschmelzung mit Kanan folgen würde, welche Qualen Jack unter Ba’al erleiden sollte…
Sie schüttelte sich innerlich und suchte Daniels Blick. Auch er schien tief in Gedanken versunken und weit weg zu sein…
Manche Dämonen kehrten wieder und wieder zurück. Man konnte sie eine Weile niederknüppeln und wegsperren, doch sie waren immer noch da, allzeit bereit, an die Tür zu klopfen und zu sagen: Hier bin ich, glaube ja nicht, dass du mich los wirst.
Oft geschah dies gerade in Situationen in denen man sich besonders sicher fühlte. Sie alle kannten diese Momente, dieses ohnmächtige Taumeln und das leise Grauen, das dann wieder von einem Besitz ergriff… und einen unweigerlich vorsichtiger werden ließ.
„Nun, das würde zumindest erklären, warum Sie sich bisher noch nicht angesteckt haben…“, begann Dr. Keller und blätterte in ihren Unterlagen, die sie vor sich auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet hatte.
„Die Heilung durch Ayiana hat in ihnen eine Art Immunreaktion ausgelöst… Ich vermute, Dr. Jackson ist immun seit seinem Aufstieg, was uns allerdings vor Ansteckung schützt entzieht sich noch meiner Kenntnis.“, erklärte sie den Anwesenden.
„Könnte es nicht sein, dass General O’Neill das Virus nie losgeworden ist?“, fragte McKay und rutschte auf seinem Stuhl etwas nach vorn.
„Nehmen wir an, der Symbiont hat den General damals zwar geheilt aber das Virus nur schlafen gelegt. Könnte es nicht sein, dass das Gen unweigerlich mit dem Virus gekoppelt ist?“
„Worauf wollen Sie hinaus, Rodney?“, fragte Sam.
„Fassen wird doch mal Dr. Jacksons Theorie über den Diskos und General O’Neills Heilerfähigkeiten zusammen…“, begann McKay geduldig, stand auf und begann in Dr. Kellers Büro auf und ab zu gehen.
„Der Diskos ist ein antikisches Artefakt, das das Wissen der Heiler trägt und es nur an die Personen weitergibt, die das Gen der Heiler in sich tragen. Aus einem Grund den wir nicht kennen, trägt General O’Neill dieses Gen. Und er trägt das Virus. Wer sagt uns, dass diese beiden Komponenten nicht zusammen gehören? Vielleicht trugen alle Heiler das Virus… vielleicht ließ sich die Heilerfähigkeit nur so aktivieren. Der General erhält also das Wissen, als er die Scheibe berührt. Die ihm übertragenen Daten finden Zugang zu den von den Asgard mit einer Sperre belegten Teilen seines Gehirns in dem sich nach wie vor die Datenbanken der Antiker befinden. Soweit so gut…“
Rodney unterstrich seine Ausführungen mit weitreichenden Gesten und war sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer voll bewusst.
„Korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber jedes Virus macht sich durch einen Entzündungswert im Blut bemerkbar…“
Dr. Keller nickte.
„Das Gen wird also aktiv, und da zu dieser Zeit General O’Neills Blutsenkung durch die Entzündung in seinen Kniegelenken bereits sehr hoch ist, sucht das Gen nicht lange nach dem Virus, sondern verbindet sich sofort mit der erstbesten Schwachstelle – einer offenen Wunde – um seine Heilerfähigkeiten frei entfalten zu können. Es sucht sich seine Beine aus. Erst später wird das Virus, vielleicht einem Automatismus folgend, aktiv. Und nun sind diese drei Komponenten untrennbar miteinander verwoben…“
Daniel zog ungläubig die Augenbrauen empor und schielte über den Rand seiner Brille hinüber zu Sam. Sie gab ihren Zweifeln mit einem leichten Schieflegen des Kopfes Ausdruck. Dennoch, Rodney lieferte ihnen die einzige Erklärung die sie finden konnten, so fantastisch und weit hergeholt sie auch klingen mochte.
„Wie kam der Diskos ihrer Meinung nach auf die Erde?“, fragte Daniel schließlich und schien gespannt zu sein, welche Geschichte McKay dazu einfiel. Doch Rodney zuckte nur mit den Schultern.
„Muss ich hier wirklich alles allein erledigen? Sie sind doch hier der Archäologe“, sagte er mit gespielter Empörung.
„Ich denke viel wichtiger ist die Frage, ob General O’Neill das Virus beherrscht.“, warf Sam dazwischen und blickte fragend zu Dr. Keller.
„Im Moment hat es den Anschein“, meinte die Ärztin. „Er leidet zwar nach eigener Aussage unter ziemlichen Kopfschmerzen, aber ansonsten zeigt er keinerlei Symptome einer Erkrankung.“
„Gut“, meinte Sam und erhob sich von ihrem Stuhl. „Ich werde Mr. Woolsey bitten, das Pentagon zu unterrichten. Soll dort entschieden werden, wie wir weiter verfahren…“
Sie ging bereits zur Tür, die sich im selben Moment öffnete und einen sichtlich angespannten Colonel Sheppard offenbarte.
„Wir haben eine Nachricht von General Landry erhalten“, erklärte er. „Es gibt Probleme!“
***
„Santorin - Erdbeben versetzt Griechen in Angst…“, las Daniel laut den Bericht, der die Nachricht vom SGC begleitete.
„Ein Erdbeben der Stärke 6,5 hat heute Morgen Santorin und weite Teile Griechenlands erschüttert und Millionen Menschen in Angst versetzt. Verletzt wurde bei dem Erdbeben niemand. Das Epizentrum lag nordöstlich der Inselhauptstadt Thira nahe der Kleinstadt Akrotiri, wie das Seismologische Institut in Athen mitteilte. Das Beben begann kurz vor 7:15 Uhr Ortszeit und dauerte etwa zehn Sekunden lang.
Der Erdstoß wurde in fast allen Regionen des Festlandes sowie auf Kreta, den Inseln der Ägäis und den Inseln des Ionischen Meeres registriert. Das Beben wurde sogar im Süden Italiens und in Südalbanien gespürt. Auf der Insel Santorin rannten viele Menschen in Panik auf die Straßen. Wie der griechische Zivilschutz mitteilte, wurde niemand verletzt und die entstandenen Schäden seien gering.
Erst in der vergangenen Woche waren bei einem Beben der Stärke 5,9 auf Kreta 143 Menschen ums Leben gekommen.“
Daniel brach ab und schloss sich dem allgemeinen betroffenen Schweigen an. Seine Gedanken liefen auf Hochtouren. Er hatte gelernt, dass es nur sehr selten Zufälle im Leben gab und dies war bestimmt keiner.
„Dem Bericht zufolge, haben sich die Beben in den letzten Wochen gehäuft.“, meinte Sam so neutral wie möglich. „Hinzu mehren sich die Vorfälle von zerebrospinaler Meningitis in einer ziemlich aggressiven Form, die sich resistent gegenüber Antibiotika zeigt. Es gab bereits mehrere Todesfälle zu beklagen…“
Sie blickte ernst in die Runde.
„Das Pentagon fordert uns auf, diese Vorfälle hinsichtlich eines Zusammenhangs mit General O’Neills Zustand zu untersuchen!“
„Ach“, schnaubte McKay. „Und wie bitteschön sollen wir das anstellen? Steht das vielleicht auch in der tollen Anweisung?“
Sam ignorierte ihn. Stattdessen hüllte sie sich in den Mantel der Autorität des ranghöchsten Offiziers und verlieh ihren nächsten Worten damit den nötigen Nachdruck.
„Man befürchtet eine Epidemie und deren Ausbreitung. Die Wissenschaftler glauben an eine bevorstehende Naturkatastrophe. Das Pentagon hat seine volle Unterstützung zugesagt. Das SGC stellt Ressourcen bereit. General O’Neill und Dr. Jackson werden heute noch zum Festland zurückkehren. Colonel Sheppard und Rodney werden die Mission begleiten. Mr. Woolsey hat den Einsatz entsprechend bestätigt.“
Während Sheppard diese Nachricht mit der gewohnten Gelassenheit eines Offiziers hinnahm, konnte sich McKay die Bemerkung nicht verkneifen, dass sie doch in Atlantis sicher genug Probleme hätten, aber wenn das Schicksal der Erde nun mal sein Genie erforderte würde er sich natürlich gerne opfern.
Sam ignorierte ihn so gut sie konnte. Rodney McKay hatte sicher auch viele gute Seiten, aber manchmal würde sie ihm am liebsten den Mund stopfen. Dennoch war sie froh, ihn an Jacks und Daniels Seite zu wissen. Rodney verfügte über viel Erfahrung was die Antiker betraf, ebenso wie Daniel. Gemeinsam wären sie sicher ein unschlagbares Team. Sie ergänzten sich in gewisser Weise und sie waren in ihren Theorien schon sehr weit gekommen. Vielleicht fanden sie den wahren Grund für das was Jack widerfuhr wirklich nicht hier in Atlantis. Vielleicht mussten sie zurück zu den Wurzeln allen Übels… Griechenland schien nach Jack zu rufen. Und so sehr sie sich auch um ihn sorgte, es war Zeit ihn gehen zu lassen. Die Tatsache ihre Freunde nicht begleiten zu können, schmerzte sie. Doch ihr Platz war auf der Raumstation und das Pentagon hatte ihr klar befohlen umgehend dorthin zurückzukehren. Und so tröstete sie sich mit der Gewissheit, dass Jack gute Männer an seiner Seite hatte, die auf ihn aufpassten.
***
„Wow!“, brachte McKay über die Lippen und klammerte die Hände um die Reling des Schiffes, das sie in den kleinen Hafen brachte.
Ja, ‚Wow’, traf es sehr gut, dachte Jack, obwohl ihm ganz andere Worte in den Sinn kamen, bei dem Anblick, den ihnen der Sonnenaufgang über der Caldera bot. Er wandte die Augen von dem brennenden, glutroten Himmel und sein Blick trank sich voll an der märchenhaft schönen Landschaft. Steil ragte die schwarze Kraterwand vor ihnen auf, hoch oben reihten sich die schimmernden Häuschen der Hauptstadt wie eine Kette weißer Korallen auf einem Teppich aus schwarzer Asche und zerklüfteten Klippen gegen das tiefe Dunkelblau des Himmels.
„Keine Kreuzfahrtschiffe“, bemerkte Daniel leise, der dicht neben ihm stand, allzeit bereit zuzupacken und Jack zu stützen, der auf ziemlich wackligen Beinen stur versuchte, mit den Krücken das Schwanken des Schiffes auszubalancieren.
Jack nickte grimmig. Er suchte die Steilwände und den kleinen Hafen nach Auswirkungen der letzten Beben ab. Hie und da waren Steinrutsche und neue Risse zu bemerken. Ältere längst baufällige Häuschen sowie die alte Bimssteinförderanlage weiter unten am Ufer hatten das letzte Beben nicht überlebt und waren eingestürzt. Der sonst von Touristen stark frequentierte Hafen war menschenleer, die kleinen Strassencafes geschlossen der Betrieb der Seilbahn aus Sicherheitsgründen eingestellt. Vor ihnen lag ein mühsamer Weg nach oben…
„Und wie sollen wir da hoch kommen“, fragte McKay mit hoffnungsvollem Blick in Richtung Seilbahn.
Doch Sheppard zerstörte seine Hoffnung indem er auf eine Herde Esel deutete, die geduldig am Anleger wartete.
„Mit dem Esel?“, schrie McKay empört. „Das ist ja wohl nicht Ihr Ernst?“
„Stellen Sie sich nicht so an, Rodney“, erwiderte Sheppard belustigt. „Sie können natürlich auch laufen. Die Landluft dürfte Ihnen sicher bekommen…“
Jack musste bei diesem Wortwechsel unwillkürlich grinsen. Irgendwie erinnerten ihn die beiden an seine frühen Jahre im Stargate Programm mit einem anderen quengeligen Wissenschaftler an seiner Seite. Daniel schien seine Gedanken zu lesen und lächelte still vor sich hin, während der Schlagabtausch zwischen McKay und Sheppard weiterging.
Jack versuchte die Ohren auf Durchzug zu stellen. Es gelang ihm das Gespräch fast völlig auszublenden, so dass es schließlich nicht mehr war als ein stetes Plätschern, das im Hintergrund ablief und ihm Freiraum gab für wichtigere Dinge. Daniel lenkte seine Aufmerksamkeit hinüber zu den beiden Kameni-Inseln. Seit dem letzten Ausbruch von Nea Kameni im Jahre 1950 befand sich der Vulkan im Zustand der Ruhe. Nun zeugten heiße Quellen, die an den verschiedenen Stellen der Inseln hervorsprudelten sowie hoch aufsteigende Wasser- und Schwefeldämpfe am zentralen Krater von den neu erwachten Erdgewalten.
Die Wissenschaftler im SGC hatten erklärt, dass in den letzten Wochen verstärkte Bewegungen der tektonischen Platten bei Santorin registriert worden waren. Die eurasische und die afrikanische Platte stießen zusammen und so kam es immer wieder sowohl zu Tief- als auch zu Flachbeben. In der vergangenen Woche registrierten die Seismologen schließlich erste vulkantektonische Beben, die von einer deutlichen Veränderung der Magmakammer des Vulkans zeugten. Das letzte verheerende Beben traf Santorin am vergangenen Wochenende. Im Abstand von ein paar Minuten erschütterten zwei heftige Erdstöße die Insel. Der erste Stoß erreichte eine Stärke von 7,7 auf der Richterscala. Irgendetwas hatte die Natur in Aufruhr gebracht und für Jack war es nur sehr schwer vorstellbar, dass er der Auslöser für all das sein sollte.
„Es ist nicht deine Schuld“, meinte Daniel neben ihm so leise, dass nur Jack es hören konnte.
O’Neill erwiderte nichts. Es war vielleicht nicht seine Schuld aber er fühlte sich verantwortlich. Im Krankenhaus in Iraklion hatte er die sterbenden Menschen gesehen – Alte wie Junge… Kinder... Allesamt von einem Antibiotika resistenten Virus befallen, das die gesamte Ärzteschaft vor ein Rätsel stellte – es war das Virus, das er in sich trug, das ihn vor Jahren fast umgebracht hätte und das wohl selbst Kanan nicht hatte bezwingen können. Sein Kontakt mit dem Diskos hatte die Dinge in Bewegung gesetzt und nun war es an ihnen herauszufinden wie sie die Kettenreaktion stoppen konnten. Nur leider fehlte ihnen jeglicher Anhaltspunkt dafür.
Dr. Lam und Dr. Keller arbeiteten mit ihren Teams an einem Impfstoff. Er hoffte wirklich die Mediziner würden die Antwort in seinem Blut finden. Denn selbst wenn sie ihn ließen, er wäre nie in der Lage alle Menschen zu heilen, die von dem Virus befallen waren… Es gab noch so viele offene Fragen und Jack wurde das Gefühl nicht los, dass sie die falschen Antworten suchten. McKay und Daniel waren darüber ein gekommen, dass sie des Rätsels Lösung auf Santorin finden könnten, vielleicht sogar in Akrotiri selbst… Jack bezweifelte das, konnte jedoch keinen besseren Vorschlag beitragen. Und so waren sie mit einem Trupp Wissenschaftlern im Schlepptau unterwegs um die Welt zu retten... oder zumindest so etwas in der Art…
Sie erreichten den kleinen Hafen und ihre Ausrüstungsgegenstände stapelten sich inzwischen auf dem breit betonierten Kai.
Die Eseltreiber erwarteten sie schon. Jack hatte angenommen, dass auch sie ob der Beben und ausbleibenden Touristenmassen längst den Betrieb eingestellt hätten, doch wahrscheinlich waren die Esel und ihre Besitzer die letzten Lebewesen, die bei einer nahenden Katastrophe die Insel verlassen würden. Und ohne sie wäre der Weg nach oben nicht nur strapaziös, sondern für Jack schier unmöglich.
Mit seinen über Fünfhundert Stufen war der Eselspfad der einzige Weg nach oben auf den Katerrand. Er war arg mit Maultierdreck verschmutzt und verbreitete einen entsprechenden Geruch. Die Tiere lebten auf diesem Weg. Sie wurden darauf geboren und starben nicht selten auch auf den von ihren Hufen glatt geschliffenen Steinen. Dutzende von mit bunten Perlen, Kordeln und bestickten Zierdeckchen geschmückten Tieren warteten nun geduldig, bis man die vielen Kisten und Menschen auf ihren Rücken gepackt hatte und dann ging es im Eiltempo den steilen Serpentinenweg hinauf in die Stadt. Die Stufen waren schlüpfrig, die Aussicht über das Meer dagegen grandios.
Ausgerechnet McKay schien ein noch junges, unerfahrenes Tier erwischt zu haben. Schwitzend und fluchend umklammerte der Treiber mit aller Kraft die Zügel des ungebändigten Jungtiers – doch dieses, verängstigt und wütend, wie es war, kümmerte sich wenig darum. Es versuchte mit störrischem Kreischen und auflehnendem Buckeln seine Last loszuwerden. Und die bestand aus einem nicht weniger verängstigten und fluchenden McKay, der sich krampfhaft an der Mähne des Tieres festklammerte.
Jack unterdrückte ein Grinsen und verdrängte die befriedigende Vorstellung eines im Eseldreck liegenden Wissenschaftlers. Er hatte Mitleid mit dem Muli und tätschelte dafür den warmen, klebrig staubigen Hals des Tieres auf dessen durchhängendem Rücken er selbst saß. Das stundenlange Rauf und Runter mit den teils schweren Lasten war nun mal für die Tiere eine erhebliche Schinderei und hätten sie eine Wahl gehabt, so wäre dieses ‚romantische’ Erlebnis sicher der Fahrt mit der Seilbahn zum Opfer gefallen.
Durchgerüttelt und durch die erbarmungslos brennende Sonne völlig verschwitzt erreichten sie mühsame zwanzig Minuten später die ersten Häuser von Fira und somit auch ihr Quartier. Das Pentagon hatte eine leer- und zum Verkauf stehende Villa am Ortseingang gemietet. Schon von weitem leuchtete ihnen das rote Gebäude entgegen, dass majestätisch direkt am Kraterrand über der Caldera thronte.
Auf steilem Grund, mit fast senkrechtem Gefälle eröffnete das Gebäude dem Bewohner einen atemberaubenden Blick aufs offene Meer und zur Nachbarinsel Kameni. Als einziges Haus in ziegelroter Farbe stach die Villa Jack bereits ins Auge, als sie die Insel mit dem Schiff erreichten und ließ ihn ahnen, dass hinter ihren Wänden Sehnsüchte gestillt und Glück, Geborgenheit und Harmonie erlebbar waren. Sie bezahlten die Eseltreiber und während McKay und Daniel das Abladen der Ausrüstung überwachten, nahmen die Wissenschaftler und Colonel Sheppard die Villa in Besitz.
„Freiheit ist Raum“ kam Jack beim Betreten des Hauses sofort in den Sinn. Zwischen diesen Wänden wurde man durch nichts eingeengt. Form, Farbe und Ausstattung gaben der Villa ihre Besonderheit, machten sie zu einem Juwel und einem einzigartigem Gebäude ohne dabei protzig zu wirken, sondern eher dezent: Marmor, Stein und viel Licht in den Räumen, die in neu-venezianischem Stil mit Bögen und großen Flächen miteinander verbunden waren.
Jack zog sich auf die große Freiterrasse zurück. Er wäre mit seinen Krücken den anderen ohnehin nur im Weg und an ein Mitanpacken war gar nicht erst zu denken. So begnügte er sich damit die Aussicht zu genießen, inhalierte die salzige Luft, schloss kurz die Augen und hob das Gesicht der Sonne entgegen.
Heiß brannte sie auf seiner Haut. Und nach den Schrecken der letzten Tage war dieser Moment Balsam für seine Seele. Er roch das Meer, schmeckte das Salz auf seinen Lippen, das von dem feuchten Wind zu ihm heraufgetragen wurde und verfiel einen kurzen Moment lang der Erinnerung an Atlantis. Auch dort hatte er oft auf einem der vielen Balkone gestanden, die klare eisige Luft geatmet, dem Wogen des Meeres gelauscht und dem leisen Säuseln des Windes. Und mit einem Mal wurde ihm die frappierende Ähnlichkeit Santorins mit Atlantis bewusst. Es war die gleiche Magie, die diesen Ort umgab, das Selbe mystische Licht… Hatten sich die alten Antiker vielleicht deshalb diesen Ort als neue Bleibe gesucht? Erinnerte Santorin an Heimat?
Ein leises Grollen ließ Jack ins Hier und Jetzt zurückfinden. Sein Blick suchte Nea Kameni, die rund und fast schwarz inmitten des tiefen Blaus der Caldera lag. Deutlich erkannte er mit dem bloßen Auge den hoch gelegenen Krater aus dem nun ständig schwefelhaltiger Rauch aufstieg, der die Umgebung allmählich in eine gelbe Wüste verwandelte. Jack verstand nichts von Vulkanismus. Die Fachsimpeleien überließ er deshalb gerne den Wissenschaftlern und ihren Messgeräten, er verließ sich viel lieber auf seine Intuition. Es mochte an dem Gen der Heiler liegen, oder an dem Virus, von ihm aus auch an beidem, aber er konnte fühlen, dass sich tief unter der Oberfläche etwas zusammenbraute. Und so wie es am Meeresgrund rund um Santorin brodelte, so arbeitete es auch in ihm, ließ ihn unstet werden und wachsam zugleich. Etwas großes stand ihnen bevor, und vielleicht zum ersten Mal in all den Jahren, war sich Jack nicht sicher, ob er seinem Schicksal folgen wollte.
***
„Wenn es sich bei dieser Stadt wirklich um einen antikischen Außenposten handelt, dann finden wir die Antwort hier.“
Selbstsicher stapfte Rodney McKay voran, verließ den Rundweg direkt hinter dem Eingang und steuerte auf die Überreste eines ehemals dreistöckigen Gebäudes zu.
Colonel Sheppard folgte ihm auf dem Fuße.
„Sie werden uns sicher auch gleich erklären, wieso…“, meinte Sheppard mit gespieltem Interesse und warf Daniel und Jack einen belustigten Blick über die Schulter zu.
Daniel wagte nicht McKay zu widersprechen. Sie brauchten Antworten, wo sie sie fanden, war ihm gleichgültig. Er warf dem Mann, der neben ihm ging einen verstohlenen Blick zu. Jack humpelte mit nur einer Krücke über das staubige Terrain, und wenn man genau hinsah, bemerkte man den Schmerz in seinem Gesicht. Die Medikamente waren längst nicht mehr stark genug, um die Pein auf einem erträglichen Maß zu halten. Wenn es Daniel nach gegangen wäre, hätten sie Jack in der Villa zurückgelassen. Schließlich stand ihnen Sheppard mit seinem Antiker-Gen zur Verfügung. Er konnte tun was getan werden musste.
Doch Jack argumentierte, dass vielleicht nur seine Form des Gens in der Lage war die Geheimnisse der alten Stadt zu offenbaren und McKay hatte ihn in dieser Annahme auch noch bestärkt. Also gab sich Daniel geschlagen und konnte nun nichts weiter tun, als dicht an Jacks Seite zu bleiben. Er vermied es jedoch tunlichst, O’Neill anzufassen oder ihm zu helfen. Daniel wusste, Jack hätte dies nie zugelassen. Dennoch signalisierte er seinem Freund mit seiner Anwesenheit, dass er jederzeit da war, bereit einzugreifen, wenn Jack Unterstützung brauchte.
„Übermut kommt vor dem Fall…“, murmelte Jack und Daniel lächelte still in sich hinein.
Er ahnte, warum McKay ausgerechnet dieses Gebäude wählte. Sie hatten sich lange darüber unterhalten, stundenlang die Pläne von Akrotiri studiert und sie mit bekannten Antiker-Städten verglichen. Das Haus war prädestiniert für ihre Suche. Einer der Räume soll religiösen Zeremonien, insbesondere weiblichen Initiationsritualen gedient haben. Dafür sprach das Becken, das zur kultischen Reinigung diente. Außerdem waren hier zahlreiche Wandmalereien gefunden worden, wie zum Beispiel die Herrin der Tiere, die Krokus-Pflückerin sowie andere Darstellungen von Frauen und jungen Mädchen. Daniel dachte an das Bild der jungen Priesterin zurück, das man ebenfalls hier gefunden hatte. Ihre Erscheinung erinnerte ihn an Ayiana, ohne dass er sie jemals wirklich gesehen hätte. Doch er kannte die Aufzeichnungen von Janet Fraiser, und die unverkennbaren Ähnlichkeiten ließen in ihm kaum noch einen Zweifel übrig…
„Und was genau suchen wir nun hier, McKay?“, fragte Sheppard verwirrt, scharrte mit der Stiefelspitze im Sand und sah sich unschlüssig um.
Doch Rodney beachtete ihn kaum. Er ging an dem Becken vorbei, das im Zentrum des Raumes stand und trat vor die dahinterliegende Wand.
„Hier hat man das Bild der jungen Priesterin entfernt, man nennt sie auch die Krokuspflückerin“, erklärte McKay, strich geistesabwesend über die Jahrtausende alte Mauer und sah dann zu Jack.
„Ich denke, wenn es hier etwas zu finden gibt, dann findet es General O’Neill!“
Daniel hielt unwillkürlich den Atem an und beobachtete fasziniert, wie Jack mit einer stoischen Ruhe vortrat, am Becken kurz stehenblieb, den Kopf senkte und die Augen schloss. Wie ferngesteuert, fast wie in Trance, trat er neben McKay vor die Wand und streckte die Hand aus. Er humpelte nicht einmal mehr, stand sicher und aufrecht und Daniel war nicht im mindesten überrascht, als sich ein fernes Grollen erhob, während Jacks Fingerspitzen die Umrisse der nicht mehr vorhandenen Wandmalerei nachzogen und kaum verständliches Gemurmel aus seinem Mund kam. Daniel brauchte keinen Übersetzer um zu wissen, dass es die Worte des Diskos waren, die Jack nun in einem eindeutig antikischen Dialekt herunterbetete.
Aus dem fernen Grollen wurde ein lautes Donnern und im selben Moment begann die Erde unter ihren Füßen zu beben und die Symmetrien schienen sich zu verschieben. Die Wände um sie herum wackelten bedrohlich und wie ein Mühlstein schob sich unter lautem Knirschen das Becken zur Seite und offenbarte ein dunkles gähnendes Loch. Die Erde tat sich auf. Sie fielen auf die Knie und auf allen Vieren robbte Daniel an den Rand der Öffnung, starrte in den Abgrund, magisch angezogen von einer gleißenden Helligkeit, die plötzlich zu ihnen emporstieg.
Hände packten ihn, zogen ihn fort, sorgten für sicheren Abstand und nur undeutlich nahm Daniel wahr, dass es Sheppard war, der ihn gepackt hatte und der nun lautstark nach McKay schrie, um das um sie herum herrschende Rumpeln und Knirschen zu übertönen.
Panisch und voller Sorge folgten Daniels Augen Sheppards Blick und er erkannte im Nebel des aufgewirbelten Staubs McKay, der sich schützend über den zusammengesunkenen O’Neill beugte. Daniel konnte nicht beurteilen, ob Jack bei Bewusstsein war. Der Sand nahm ihm die Sicht, und das plötzlich aus dem Abgrund empor strahlende gleißende Licht blendete sie zusätzlich. Daniel fürchtete bereits, dass gleich ein glühender Lavastrom aus der Erde emporgeschossen käme, denn das Dampfen und Zischen nahm inzwischen bedrohliche Ausmaße an.
Und dann war der Spuk auf einmal vorbei. Von einer Sekunde auf die andere hatte das fürchterliche Getöse ein Ende und als sie wieder klar sehen konnten, schwebte im luftleeren Raum über dem Abgrund – gefangen in einem hellen Lichtstrahl – eine kleine Figur aus Ton. Stille umfing sie – unwirklich, magisch im Vergleich zum vorher herrschenden Lärm.
„Was ist das?“, fragte Sheppard verblüfft.
Daniel blinzelte, wischte den Staub von seiner Brille und schüttelte geistesabwesend den Kopf, befreite sich aus Sheppards Griff, kam auf die Beine und näherte sich der Figur vorsichtig.
„McKay, General, alles in Ordnung?“, rief der Colonel hinter ihm.
„Es geht uns gut“, antwortete McKay jenseits des Abgrunds. „…denke ich zumindest…“
Daniel beobachtete durch den hellen Lichtschein schemenhaft, wie McKay Jack auf die Beine half. Die Tatsache, dass sich O’Neill nicht gegen diese Hilfestellung wehrte, machte Daniel deutlich, dass er im Augenblick nicht er selbst war.
„Was ist das?“, wollte McKay ungeduldig wissen.
„Das ist ein Kykladenidol“, meinte Daniel sofort.
„Ein was?“, fragten Sheppard und McKay aus einem Mund.
„Man nennt sie auch ‚die mit den gefalteten Armen’“, erklärte Daniel ehrfürchtig und trat etwas näher an die in der Luft schwebende Figur heran. „Sie sind aus Marmor und die meisten von ihnen sind aufrecht stehende, weibliche Figuren mit unter den Brüsten übereinander gelegten Armen…wie diese hier! Ihre Bedeutung ist bis heute ein Rätsel…“
Daniel begutachtete die Figur fasziniert von allen Seiten. Sie war den Idolen, die er im Museum gesehen hatte sehr ähnlich. Auch sie erinnerte in ihrer Form stark an moderne Kunst von heute. Nase, Brüste, Arme und Schamdreieck waren plastisch ausgearbeitet, der Rücken dagegen flach und in der Seitenansicht war die Figur extrem dünn.
Daniel war so gefangen vom Anblick der im hellen Licht strahlenden Figur, dass er kaum bemerkte, wie sich Jack von McKays Seite löste und zielstrebig dem Abgrund näherte.
„Hey!“
Es war Rodneys erschrockener Ausruf, der Daniels Aufmerksamkeit erregte und noch ehe einer von ihnen reagieren konnte, machte Jack den letzten entscheidenden Schritt in den Abgrund. Der Schrei blieb ihnen im Halse stecken, das Entsetzen wich augenblicklich ungläubigem Staunen, denn Jack fiel nicht. Er schwebte vielmehr im Vakuum, so als stünde er auf einer unsichtbaren Plattform – vielleicht war es auch so -, hielt die Figur in seinen Händen und klappte deren Kopf nach hinten, so als sei er der Verschluss einer Flasche, aus deren Inneren sich in voller Lebensgröße das Bild einer jungen Frau formte.
„Ein Hologramm“, sagte McKay völlig unnötig. „… ich fasse es nicht!“
„Scheint als hätten wir einen Beweis für ihre Theorien, Dr. Jackson. Wer zum Teufel ist das?“, fragte Sheppard.
Daniel schluckte. Er kannte die Frau. Er hatte Aufzeichnungen gesehen, Bilder, die Janet von ihr gemacht hatte. Es gab keinen Zweifel. Doch wie kam sie hierher? Oder besser noch, wie kam sie von hier in die Antarktis?
„Ayiana“, brachte Daniel leise über die Lippen – "Die ewige Blüte".
Auge in Auge mit dem Hologramm der jungen Frau, stand Jack völlig regungslos, gefangen im gleißenden Lichtstrahl mit starrem Blick, so als sei er kaum von dieser Welt. Und die Augen des Hologramms hafteten fest auf seinem bleichen Gesicht, das golden glühte wie die untergehende Sonne über Santorin oder sollte Daniel besser sagen, wie die untergehende Sonne über Atlantis...
„Ge-ra-si-ja“
Es war Jacks Stimme, und doch auch wieder nicht. Seine Lippen bewegten sich nicht, dafür aber die des Hologramms. Es sprach mit Jacks Hilfe, oder sprach es durch Jack? Daniel versuchte jedes logische und analytische Denken auszuschalten. Dies hier hatte nichts mehr mit Wissenschaft zu tun.
„Was hat er gesagt?“, wollte McKay wissen.
„Rodney“, mahnte Sheppard, wie immer der Feinfühligere von beiden.
Doch Daniel konnte es dem Wissenschaftler nicht verdenken, dass er nach Klärung verlangte, nach Antworten suchte auf all die Fragen, die sie schon seit Wochen beschäftigten.
„Gerasija ist eine auf Santorin verehrte Göttin…“, begann Daniel zu erklären und wurde von dem Hologramm unterbrochen, dass mit Jacks Stimme sagte:
„Mein Name ist Gerasija. Ich bin die Hohepriesterin von Strongili, Hüterin und Beschützerin des Palastes der Doppelaxt im Sinne unserer Ahnen.“
„Wow!“
„Klappe halten, Rodney“, zischte Sheppard und griff zu spät nach Daniels Ärmel, der sich bereits in Bewegung setzte und dem Hologramm näherte.
„Strongili?“, fragte Daniel. „Nicht Atlantis?“
„Das alte Atlantis versank im Meer, in einer Galaxie jenseits dieses Sonnensystems“, gab das Hologramm brav zur Antwort. „Dies ist das neue Atlantis…die Brücke über dem Wasser zwischen einer kleinen runden und einer großen, lang gestreckten Insel… Ich bin Hüterin der neuen Heimat.“
„Was ist deine Aufgabe“, wollte Daniel wissen.
„Meine Bestimmung ist es zu heilen und zu bewahren…“
„Wie?“
„Die Energiequelle darf nicht versiegen…“
„Ein Zero Point Modul…“, murmelte Rodney. „Meint sie ein ZPM? Der Antrieb von Atlantis benötigt drei ZPM’s um seine volle Leistung zu erreichen, ein einzelnes Modul konnte den Schutzschild der Stadt unter Wasser über dreitausend Jahre aufrecht halten… Gibt es hier ein Schutzschild?“
„Es gibt vieles zu behüten… das Land, das Meer, den Berg… und die Menschen. Die Energieanforderung ist extrem hoch. Je nach Beanspruchung ist der Schild stärker oder schwächer – in guten Zeiten praktisch undurchdringbar.“, gab das Hologramm bereitwillig Auskunft.
Es schien völlig egal zu sein, wer hier die Fragen stellte.
Entferntes Donnergrollen und ein leichtes Nachbeben störte vorübergehend die Stabilität des Hologramms. Die Erscheinung zitterte und Jack zuckte, verzog schmerzhaft das Gesicht, so als träfen ihn leichte Stromschläge.
„Ich denke, wir sollten langsam mal die richtige Frage stellen, es wird allmählich ungemütlich…“, gab Sheppard zu bedenken. „Wieso fragen sie sie nicht einfach, ob der Schild noch funktioniert?“
„Wir glaubten Krankheit, Tod, Naturgewalten und die Zeit zu beherrschen.“, sprach das Hologramm. „Wir wurden bestraft für unsere Überheblichkeit. In einer einzigen Nacht zerstörte der Zorn des hohen Rates Strongili und erreichte kurz darauf das Haus der Doppelaxt. Tatenlos mussten wir mit ansehen, wie wir die Kontrolle verloren…“
„Wer ist wir?“, fragte Daniel beharrlich.
„Gerasija und Janus, der den sie Minos nannten…“
Daniel verschlug es die Sprache. Wenn König Minos ein Antiker gewesen war, dann war das Haus der Doppelaxt…
„Was war passiert?“
„Janus hat uns hintergangen… Er wollte die Zeit beherrschen, obwohl ihm das vom Hohen Rat untersagt war. Das Experiment ging schief, die Seuche kehrte zurück. Er flüchtete mit dem Wissen der Heiler und unserer Energiequelle… Gerasija wurde verbannt.“
Wieder bebte die Erde, länger diesmal und sie konnten sich kaum noch auf den Beinen halten.
„Wo ist der Schutzschild?“, fragte Daniel schnell, denn das Hologramm zitterte bedenklich, schien immer mehr an Energie zu verlieren.
„Im Haus der Doppelaxt wird er die Antwort finden!“
„Er?“
„Er, der das Erbe der Heiler in sich trägt…“
Mit diesen Worten versagte die letzte Energiereserve, das Hologramm löste sich auf und dann geschah alles rasend schnell. Der Lichtstrahl schrumpfte zusammen, zog sich in die Tiefe zurück, das unsichtbare Podest verschwand, und als Jack den Halt verlor sprang McKay ohne weiter darüber nachzudenken.
In einem ausladenden Hechtsprung, setzte er über die Öffnung in der Erde hinweg, umklammerte O’Neill dabei mit beiden Armen, riss ihn mit sich und beide landeten recht unsanft aber unversehrt zu Daniels und Sheppards Füßen.
Sofort waren Sheppard und Daniel an ihrer Seite. Während John dem jammernden Rodney auf die Beine half, kümmerte sich Daniel um Jack.
„Ist er tot?“, fragte McKay aufgeregt. „Sagen sie nicht dass er tot ist und ich mich ganz umsonst zum Stuntman aufgeschwungen hab.“
Daniel beachtete ihn nicht, nahm ihm seine Worte aber auch nicht übel. Er kannte McKay inzwischen gut genug um zu wissen, dass Rodney damit nur seine Aufregung und Sorge verbarg. Jack war ohne Bewusstsein, aber er atmete regelmäßig und sein Puls erschien Daniel kräftig und gleichmäßig.
Ein erneutes Zittern durchzog den Erdboden und die Stahlkonstruktion über dem Ausgrabungsgelände ächzte bedenklich. Irgendwo ging eine Steinlawine nieder und beißender Schwefelgeruch schwängerte die Luft.
„Ich denke, wir sollten machen dass wir hier wegkommen“, meinte Sheppard, übernahm instinktiv die Führung, bedeute Rodney aus dem Weg zu gehen und half dann Daniel dabei O’Neill auf die Beine zu bringen.
Jack schien langsam zu sich zu kommen, war aber noch nicht wach genug, um alleine zurecht zu kommen. Er brabbelte unverständliches Zeug und seine Augen verloren immer wieder den Fokus. Daniel hätte ihm gerne mehr Zeit gelassen, doch hier war weder der richtige Ort noch die Gelegenheit dazu. Der Schwefel brannte in ihren Lungen, löste Hustenreiz aus und die Hitze unter der Überdachung wurde unerträglich. Mit vereinten Kräften schafften sie es zurück zum Wagen und während sie an der Küste entlang zurück nach Fira fuhren konnten sie beobachten, wie sich ein glühend roter Lavastrom über Nea Kameni ergoss und dampfend und zischend im Meer versank.
***
„Alles was wir über Janus wissen ist, dass er eine Zeitmaschine gebaut hat und Atlantis zusammen mit den anderen Antikern verlassen hat, um auf die Erde zurück zu kehren. Über sein weiteres Leben war uns bisher nichts bekannt…“, meinte Rodney gerade als Daniel die große Freiterrasse betrat.
McKay und Sheppard sahen zu ihm auf, warteten bis sich Daniel zu ihnen gesetzt hatte und meinten dann wie aus einem Mund:
„Wie geht es ihm?“
Daniel seufzte.
„Ich hab ihm was gegeben – denke er wird jetzt schlafen…“
Er erwähnte nicht, dass O’Neill immer noch sehr unruhig war, kaum einen verständlichen Satz über die Lippen brachte und darüber hinaus leichtes Fieber zu haben schien. Daniel war beunruhigt. Und er konnte nur hoffen, dass das Beruhigungsmittel, das er Jack verabreicht hatte, sein Übriges tat, um seinen Freund ins Hier und Jetzt zurückzubringen. Er entschied das Thema zu wechseln:
„Was war das mit Janus?“
„Wir glauben Janus hat die Baupläne für seine Zeitmaschine mitgenommen, als die Antiker Atlantis verließen…“, erklärte Sheppard. „Es ist doch möglich, dass er trotz des Verbotes des Hohen Rates, weiter an seinen Experimenten gearbeitet hat…“
„SG-1 hat eine Zeitmaschine auf einem Planeten gefunden…“, warf Daniel dazwischen.
„Ayiana meinte Janus hätte sie hintergangen. Wenn ich mich recht erinnere sagte sie er sei mit dem Wissen der Heiler und der Energiequelle abgehauen. Klar, wenn er die Zeitmaschine benutzen wollte, hat er ein ZPM gebraucht…“, sinnierte McKay.
„…und wenn sie nur ein ZPM für diesen Außenposten hatten…“
„… dann hat er dem Schutzschild die Energie entzogen… und Bingo!“, beendete McKay Daniels Satz und machte in einer theatralischen Geste klar, was er damit meinte. Er unterstrich das Ganze mit einem lauten KAWUMM.
„Okay“, begann Sheppard wenig beeindruckt. „Das würde erklären, warum es zum Vulkanausbruch kam bei dem Atlantis unterging, aber was hat es mit der Seuche auf sich?“
„Das ist doch ganz einfach“, meinte Rodney und verdrehte ob so viel Inkompetenz die Augen.
„Das ist das Virus, das sowohl Ayiana oder sagen wir besser Gerasija als auch O’Neill in sich tragen. Ich vermute das ZPM steuerte nicht nur das Schutzschild sondern auch eine Art Seuchenschutzprogramm ähnlich dem unsrigen in Atlantis. Vielleicht haben auch die Wissenschaftler mit dem Virus experimentiert… keine Ahnung. Jedenfalls ohne ZPM kein Schutzschild, kein Seuchenschutzprogramm… und schon haben wir die schönste Verbreitung einer Krankheit die man sich nur wünschen kann. Hinzu kommt der instabile Vulkan und die Katastrophe ist perfekt. Das Volk gerät in Panik, die Menschen in Aufruhr. Sie verbannen Gerasija in die Antarktis, die Antiker verlassen unsere Milchstraße und die Menschen flüchten aufs Festland. Ende der Geschichte!“
„So einfach ist das nicht…“, gab Daniel ruhig zu bedenken, nahm seine Brille von der Nase und drehte sie zwischen den Händen.
„Ach? Und wieso bitte nicht?“
„Das Wissen der Heiler…“, sagte Sheppard und verstand Daniels Einwurf. „Gerasija sagte Janus hätte das Wissen der Heiler gestohlen… was wollte er damit?“
Daniel sagte nichts. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren um die einzelnen Puzzleteilchen Sinn gebend zusammenzusetzen. Sie waren schon weit gekommen, doch die letzten Verbindungen fehlten noch.
„Der Diskos wurde nicht in Knossos gefunden, sondern in Festos…“, überlegte er laut und erntete von seinen Freunden fragende Blicke.
„Als Janus klar wurde, dass die Katastrophe auch vor Knossos nicht halt machen würde, hat er vielleicht die Scheibe und das ZPM in Sicherheit gebracht. Ja, das wäre möglich… Und von Festos aus ist er mit der Zeitmaschine geflohen. Das würde so einige Lücken in unseren Geschichtsbüchern schließen.“
„Wovon zum Teufel reden sie da eigentlich?“, fragte McKay unwirsch.
„Knossos – Das Haus der Doppelaxt“, meinte Daniel schlicht, als läge diese Schlussfolgerung auf der Hand. „Das neue Atlantis bestand aus einer kleinen runden und einer großen, lang gestreckten Insel. Santorin und Kreta. In den frühen Jahren trug Santorin den Namen Strongili – die Runde. Und Knossos ist hinreichend bekannt, als das Haus der Doppelaxt!“
Sheppard verzog das Gesicht zu einem Grinsen und schüttelte den Kopf.
„Ts, Wissenschafter…“, murmelte Sheppard und meinte dann lauter. „Eine Frage haben wir aber noch nicht beantwortet.“
„Und die wäre?“, wollte Rodney wissen.
„Wie können wir den Schutzschild wieder aktivieren, oder was auch immer es sonst noch zu aktivieren gilt, um eine weitere Katastrophe zu verhindern?“
„Also die Antwort ist leicht“, meinte McKay. „Wir brauchen ein ZPM!“
„Und den der das Gen der Heiler in sich trägt“, gab Daniel zu bedenken. „Mir ist nur immer noch nicht ganz klar, warum Janus den Diskos mitgenommen hat… was wollte er damit? Er brauchte das Wissen nicht, um seine Zeitmaschine zu bauen!“
„Er wusste, dass sie Gerasija in die Verbannung schicken würden…“, erklang plötzlich O’Neills Stimme.
„Jack!“
Daniel sprang auf, hielt sich jedoch zurück und beobachtete wie O’Neill auf wackligen Beinen und mit ziemlich bleichem Gesicht näher kam. Er stützte sich schwer – nunmehr wieder auf zwei Unterarmkrücken – und es war schließlich Colonel Sheppard, der ihm auf einen der Liegestühle half.
Daniel setzte sich wieder. Sie warteten, gaben Jack ein wenig Zeit, folgten seinem Blick zu Nea Kameni hinüber und beobachteten eine Weile still wie sich die Lava zähfließend ihren Weg ins Meer bahnte. Es war ein beunruhigender Anblick – beunruhigend und faszinierend zugleich. Daniel ertappte sich bei dem Gedanken, dass es damals vor tausenden von Jahren wohl ähnlich begonnen hatte. Waren die Menschen von damals ebenso fasziniert von diesem Anblick gewesen? Nein, sie waren wohl eher in Panik ausgebrochen, hatten zu ihren Göttern gebetet und um Gnade gefleht… und sich gefragt, warum ihre Hohepriesterin nicht in der Lage war dieses Unheil von ihnen abzuwenden.
Und das war es was Jack mit seinen Worten meinte. Eine Göttin, die ihre Kraft verloren hatte war unnütz. Die Menschen haben sie verdammt, weil sie nicht mehr in der Lage gewesen war, sie vor Krankheit und Naturgewalten zu schützen. Und der Hohe Rat schickte sie in die Verbannung, weil sie gegen die Regeln verstoßen hatte.
„Sie hat ihn geliebt“, sagte Jack plötzlich.
„Wer?“, fragte McKay unnötigerweise.
„Gerasija… sie hätte alles für ihn getan. Hat ihm erlaubt das ZPM für seine Experimente mit der Zeitmaschine zu benutzen. Aber er hat sie betrogen… und als sie es erkannte war es zu spät…“, erklärte Jack abwesend.
„Woher…“
„Rodney“, mahnte Sheppard und erntete einen dankbaren Blick von Daniel.
„Wir verstehen dass Janus das ZPM gestohlen hat, aber wieso den Diskos? Was wollte er mit dem Wissen der Heiler?“, fragte Daniel und sah Jack gebannt an.
„Er glaubte, er könnte es nutzen um das Haus der Doppelaxt zu schützen. Doch er hatte nicht das Gen…“, meinte Jack niedergeschlagen. „Von Festos aus floh er mit der Zeitmaschine und ließ die Scheibe dort zurück…“
Daniel beobachtete Jack. Er sah müde aus, blass, ein leichter Schweißfilm lag auf seiner Stirn. Doch seine Augen wirkten klar und die Unruhe schien völlig von ihm gewichen zu sein. Daniel fragte nicht, woher Jack all diese Dinge wusste. O’Neill hatte in direkter Verbindung mit dem Hologramm gestanden. Wer wusste schon welche Informationen dabei in Jacks Geist übertragen worden waren…
„Gerasija sagte, wir können das Unheil aufhalten… ich denke, sie meinte wir können den Schild wieder aktivieren und vielleicht auch das Schutzprogramm gegen die Seuche… Weißt du wie?“
Jack nickte.
„Wir brauchen ein ZPM. Und damit müssen wir in das Haus der Doppelaxt…“
„Knossos…“, bestätigte Daniel.
Wieder nickte Jack.
„Es muss dort einen Kontrollstuhl geben…“, meinte er leise und blickte wieder zu Nea Kameni hinüber. Sein Blick verdunkelte sich und plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper und neue Energie und Kraft schien ihn zu erfassen, denn er richtete sich entschlossen auf und sagte mit fester Stimme:
„Colonel Sheppard bringen sie mir das Telefon, ich habe mit D.C. zu sprechen…“
***
Die Nacht war schwül und Jack konnte nicht schlafen. Es musste an der Hitze liegen, denn Nervosität hätte er nie zugestanden. Es lagen drei ereignisreiche Tage hinter ihnen. Sie hatten endlose Diskussionen mit den Wissenschaftlern geführt. Natürlich hielt er sich dabei meist im Hintergrund, während sich Daniel und McKay in Debatten mit Dr. Lees Team verloren. Sie brüteten über Plänen des Palastes Knossos, berechneten wann es zu einem großen Ausbruch von Nea Kameni kam und verglichen die Ergebnisse mit historischen Daten, die ihnen zur Verfügung standen.
Während McKay mit Daniel die Pläne von Knossos studierte um das Versteck des Kontrollstuhls zu lokalisieren, und Jack und Sheppard die Verhandlungen mit dem Pentagon und der griechischen Regierung übernahmen, stand nicht nur Nea Kameni, sondern der etwa sieben Kilometer entfernte Unterwasservulkan Kolumbos im Fokus der Wissenschaftler. Dr. Lee hatte ihnen erklärt, dass der Kraterrand des Kolumbos bisher unter der Meeresoberfläche lag, seine Caldera erreichte eine Tiefe von hunderten von Metern. Der Krater besaß einen Durchmesser von über einem Kilometer.
Nun hatte sich der Vulkan soweit erhoben, dass er über die Wasseroberfläche ragte. Dr. Lee und sein Team unternahmen einen Ausflug in die Unterwasserwelt und entdeckten am Nordostende der Kratergrundfläche hydrothermale Quellen, die den von einer dicken Bakterienschicht bedeckten Meeresboden durchbrachen. Das dort ausströmende stark überhitzte, metallhaltige Wasser bildete hier seit Jahrhunderten heute bis zu vier Meter hohe Schlote aus denen permanent Schwefel und andere Gase ausströmten. Nun drängten dicke Lavablasen nach oben und bildeten bizarre Unterwassergebilde.
Der Kolumbos als auch Nea Kameni wurde von dem gleichen Magmastrom gespeist, der nun anscheinend brodelnd nach oben drängte. Sie saßen auf einem Pulverfass oder wie es Dr. Lee formulierte: Sie standen vor dem wohl stärksten Vulkanausbruch im östlichen Mittelmeer. Die mit starken Erdbeben einhergehende Eruption würde auf Santorin große Schäden anrichten, der zu erwartende Ascheregen brächte Ackerbau und Tierzucht zum Erliegen. Der Kollaps der Vulkane in ihre Caldera würde einen Tsunami auslösen, der noch auf Inseln in über hundert Kilometern Entfernung Schäden verursachen könnte.
Und das war noch das harmloseste Szenario. Würde Meerwasser in den Magmastrom eindringen, flögen ihnen die Vulkane buchstäblich um die Ohren und die pyroklastische Wolke, die zweifelsohne entstünde, würde weite Teile des südöstlichen Europas überrollen.
Jack schauderte bei dieser Vorstellung und war froh, dass die Griechen zumindest auf die Warnungen reagierten und die Insel inzwischen evakuiert hatten. Für Kreta und die umliegenden Inseln wurde immerhin eine Frühwarnstufe gesetzt. Jack wusste, dass der Vulkan ausbrechen würde – und er würde es bald tun. Er konnte es nicht erklären, aber er fühlte wie die Hitze in ihm loderte. Und genau so wie das Fieber in ihm stieg und nach einem Ventil suchte, so brodelte es tief unter der Meeresoberfläche der Caldera und Nea Kameni zischte und spukte Lava und Schwefel um den unsagbaren Druck loszuwerden. Die Abstände zwischen den Erdstößen verkürzten sich, inzwischen konnte man fast die Uhr nach ihnen stellen und sie nahmen deutlich an Heftigkeit zu. Es grenzte an ein Wunder, dass die Villa noch nichts abbekommen hatte. Santorin trotzte diesen Naturgewalten, so wie er in den letzten Tagen gegen das Fieber kämpfte, das ihn nicht verlassen wollte. Ja, er fühlte eine seltsame Verbundenheit mit dieser Insel. Und er fragte sich zum wiederholten Male ob dies nur an dem Gen in ihm lag.
Nein, an Schlaf war nicht zu denken. Er schwitzte, sein Herz raste und sein Kopf dröhnte, als würde er gleich zerspringen. Morgen war ein großer Tag für ihn. Morgen bekamen sie das ZPM. Es hatte ihn stundenlange Telefonate gekostet, das Pentagon davon zu überzeugen, dass ein ZPM aus Atlantis gebraucht wurde. McKay war extra deswegen heute schon nach Kreta rüber geflogen, um das wichtige Paket am Flughafen in Empfang zu nehmen. Das griechische Militär unterstützte sie in jeder Hinsicht, sorgte für eine Verbindung zwischen Santorin und Kreta und hatte Knossos bereits weiträumig abgesperrt.
Knossos - morgen würde er im Haus der Doppelaxt stehen. Der minoische Palast war bisher nicht mehr für ihn gewesen als eine interessant restaurierte Ausgrabungsstätte, in dem der sagenumwobene König Minos regiert hatte. Oder sollte er besser sagen Janus? Würden sie in Knossos finden wonach sie suchten? Daniel schien überzeugt davon. Er behauptete sogar zu wissen, wo sich der Kontrollstuhl befand, mit dessen Hilfe er sowohl den Schutzschild als auch das Seuchenschutzprogramm reaktivieren sollte…
Daniel verließ sich dabei voll und ganz auf die Baupläne des Palastes, auf subtile Hinweise gewisser Artefakte und auf ihre Erfahrungen die sie inzwischen mit Antiker Städten gesammelt hatten. Jack dagegen würde sich – erst einmal in Knossos angekommen – auf seinen Instinkt verlassen. Das Gen würde ihn führen, das hatte es schon einmal getan…
Durch seine innere Unruhe getrieben, rollte er sich aus dem Bett, zog ein Shirt über, schlüpfte in seine kurze Jeans, griff nach den Krücken und betrat wenig später die große Terrasse. Eine leichte Brise wehte vom Meer herauf und kühlte seine erhitzte Haut. Der Wind, der den Schweiß auf seinen bloßen Armen und Beinen trocknete ließ ihn ein wenig frösteln.
Tief atmete er die Nachtluft in seine Lungen. Er hob das Gesicht in den Himmel und war wie immer fasziniert von den vielen Sternen die hier klar und strahlend am Firmament standen. Er fühlte sich ihnen hier sehr viel näher als in D.C. Sicher lag dies daran dass die Nächte in diesem Teil der Erde dunkler waren und klarer als über einer Großstadt. Dennoch erschien ihm der Himmel weiter, endloser und die eigene Nichtigkeit wurde ihm schmählich bewusst. Es ging in diesem Spiel nicht um ihn. Es ging nicht um Jack O’Neills Zukunft, nicht um seine Beine, nicht um seine Gesundheit – nicht einmal um sein Leben. All das war nichts wert im Vergleich zu den tausenden von Leben die er retten würde, wenn er es schaffte, den Schild zu aktivieren. Und mehr noch… er würde diese Insel retten. Santorin, sein Atlantis würde nicht untergehen – kein zweites Mal.
War es nicht das, was er sich immer erträumt hatte, seit er in D.C. ein ereignisloses Leben hinter dem Schreibtisch führte? Einen Unterschied bewirken – vielleicht ein letztes Mal, etwas Bedeutendes tun, ein Held sein… ja, vielleicht auch das. Gott, was war er doch für ein Macho. Schrie er wirklich nach einem glorreichen Abgang? Nein, er wollte nicht sterben, aber wenn es der Preis war, den er zahlen musste, wenn es die Demut war, die man von ihm verlangte, dann war er bereit dazu - wie sehr spürte er erst jetzt in diesem Augenblick. Und durch die Gewissheit, dass er damit auch die Menschen schützte, die ihm am wichtigsten waren, erschien ihm das Risiko lohnenswert.
Ein Geräusch in der Dunkelheit erregte seine Aufmerksamkeit. Er lauschte den schlurfenden Schritten, die sich ihm näherten und die indirekte Beleuchtung warf einen zweiten Schatten neben ihm auf die Terrasse.
„Es geht mir gut, Daniel.“, sagte er keinen Zweifel hegend, wer sein Gesellschafter war.
Ein leises Glucksen bestätigte seine Annahme und wenig später spürte er Daniels Anwesenheit neben sich.
„Wieso bist du dann hier draußen?“, fragte Daniel mit einem herzhaften Gähnen und zog den Gürtel seines Morgenmantels etwas enger.
„Ich hab nachgedacht…“, gab Jack zu und setzte sich zur Entlastung seiner Beine auf die Mauerbrüstung. „Konnte nicht schlafen. Hab den Vulkan beobachtet…“
Er legte die Krücken zu seinen Füßen auf den Boden und bemerkte sehr wohl, dass Daniel jede seiner Bewegungen verfolgte und bemüht war, nicht allzu gebannt auf seine vernarbten Knie zu starren. Nein, einen Schönheitswettbewerb konnte er mit seinen Beinen wirklich nicht mehr gewinnen. Im Normalfall hätten die Wunden inzwischen gut verheilt, fast weiß und glatt sein müssen. Doch die Narben waren noch immer rot und wulstig, so als schienen sich die Wunden einfach nicht richtig schließen zu wollen… sie beide kannten den Grund.
„Warum, Jack?“, fragte Daniel plötzlich, riss den Blick von Jacks Beinen los und sah ihm streng ins Gesicht.
„Was meinst du…“, wollte Jack irritiert wissen.
Er hatte keine Ahnung, was Daniel von ihm wollte, doch er sah die Sorge in den Augen seines Freundes und die Härte seiner Züge verriet O’Neill Daniels emotionalen Aufruhr.
„Warum willst du den Helden spielen?“, fragte Daniel schließlich direkt. „Du musst das nicht tun. Sheppard kann genauso gut versuchen…“
„Du weißt, dass das nicht hinhaut, Daniel“, unterbrach ihn Jack sofort.
Er seufzte. Sie hatten das gestern x-mal durchgekaut. Sheppard besaß zwar von Geburt an das Antiker-Gen, doch sie waren sich darüber einig, dass das Gen der Heiler gefragt war um in diesem Teil der Welt das Gleichgewicht wieder herzustellen.
„Es wird deine Beine nicht retten. Im Gegenteil, die Wahrscheinlichkeit, dass du dabei drauf gehst, ist viel größer…“, begehrte Daniel plötzlich auf und überrumpelte O’Neill damit völlig.
Jack sah, wie sich Daniels Blick verdunkelte. Der Archäologe verschränkte trotzig wie ein kleines Kind die Arme vor der Brust und richtete sich zur vollen Größe auf. Mit einem abschätzenden Blick und auf die Brust gesenktem Kinn, schielte er über den Rand seiner Brille hinweg und meinte:
„Das ist es nicht wahr? Du hoffst, dabei drauf zu gehen… Du willst als Märtyrer in die Geschichte eingehen. Lieber sterben, als ein Leben als Krüppel zu führen, ist es das? Ist es das, Jack?“
„Daniel…“, meinte Jack beschwichtigend und fragte sich, warum Daniel auf einmal so aufgebracht war. Er war nicht bereit diese Diskussion zu führen und genau das brachte wohl auch sein Gesicht zum Ausdruck, denn Daniel polterte weiter:
„Du verdammter, egoistischer Mistkerl… Wann hörst du auf immer nur an dich zu denken…?“
„Das tu ich nicht“, wehrte Jack ab.
„Doch, tust du!“, meinte Daniel beharrlich, das Gesicht rot vor Zorn.
„Tu ich nicht“, hielt Jack stur dagegen.
„Das tust du doch…“
„Daniel.“
Jack hob die Hände, denn Daniel begann nun wie wild mit einem ausgestreckten Zeigefinger auf seine Brust zu hämmern.
„Tust du doch…“
„Daniel!“, schrie Jack, schlug Daniels Hand beiseite und wich etwas zurück.
Schon lange hatte er Daniel nicht mehr in einer solchen Verfassung erlebt. In den letzten Jahren hatte Daniel gelernt, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, war zu einem ernsten überlegt handelnden Menschen geworden. Doch nun schien diese Fassade zu bröckeln. Er verlor gänzlich die Fassung, gestikulierte wild mit den Händen und brüllte:
„Verdammt, Jack. Was dir passiert, passiert auch mir. Wir sind ein Team! Nach all der Scheiße die wir durchgemacht haben…, wir sind… wir sind Brüder! Wann geht das endlich in deinen Gott verdammten Dickschädel? Wir sind Familie, und Blut spielt dabei keine Rolle…“
Fassungsloses Starren und lähmende Stille folgten diesem Ausbruch. Daniels Blick bohrte sich tief in Jacks Herz. Es loderte nun keine Wut mehr in Daniels Augen, sondern Angst und Verzweiflung und allmählich schlich sich ein Hauch Bestürzung über die eigene Disziplinlosigkeit hinein. Daniel senkte verlegen den Blick, wandte sich ab und stützte sich schwer mit den Händen auf die niedrige Mauer.
Jack schluckte und starrte eine Weile verloren zu Boden. Er war nicht gut in diesen Dingen, nie gewesen und er musste feststellen, dass er in dieser Hinsicht verdammt wenig dazu gelernt hatte. Er wusste weder, wie er reagieren noch was er sagen sollte. Er stand Daniels Emotionen völlig hilflos gegenüber und das Ausmaß ihrer Bedeutung traf ihn unvorbereitet. Wer mochte sich schon gern mit den eigenen Unzulänglichkeiten auseinander setzen? Und über Gefühle reden, gehörte definitiv zu seinen Schwachpunkten.
Wusste Daniel denn nicht, was er ihm als Freund bedeutete? Nein, wie sollte er auch? Sie sprachen nicht über ihre Gefühle, als Mann - unter Männern - tat man das nicht. Man legte einen Deckmantel des Schweigens darüber, denn Schweigen war Männersache. Jack war einfach immer davon ausgegangen, dass Daniel wusste, wie wichtig er ihm war, welche bedeutende Rolle er in seinem Leben spielte. Genauso wie Jack annahm, dass er einen ähnlichen Stellenwert in Daniels Leben einnahm.
Diese Annahme hatte Daniel nunmehr mit seinem Ausbruch bestätigt. Und das machte den Unterschied. Es zu hören, es in Worte zu kleiden, machte es real, machte es zu einer Tatsache, die sich nicht mehr wegwischen ließ und die Verantwortung erzeugte. Was Daniel ihm gegeben hatte war kostbar und so fragil wie eine noch nicht ausgekühlte, frisch geblasene Glaskugel. Es war mehr als die meisten Männer hatten, viel mehr… Und Jack machte sich plötzlich Vorwürfe, weil sein Verhalten wohl nicht über jeden Zweifel erhaben gewesen war. Er räusperte den Druck von seiner Brust, legte Daniel vorsichtig eine Hand auf die Schulter und murmelte ein leises „Hey…“
Daniel zuckte unter der Berührung zusammen, hob den Kopf und starrte stur aufs Meer hinaus.
Jack seufzte und nahm langsam die Hand weg. Er wusste es war an ihm etwas zu sagen, denn wenn nicht jetzt wann dann? Vielleicht würde er nie wieder Gelegenheit dazu haben. Also versuchte er es erneut.
„Daniel… Du, Sam und Cassie, ihr seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben“, begann er leise. „Und wenn es für mich so etwas gibt wie Familie, dann seid ihr das! Tut mir leid, wenn ich das nie richtig zum Ausdruck gebracht habe… Ich dachte, du wüsstest das…“
Nun war es an ihm zu stammeln und er geriet schließlich ins Stocken, scheiterte an seinen eigenen Worten und an den Emotionen, die dabei in ihm hochkamen. Nein, er war wirklich nicht gut darin, sich den Menschen zu öffnen die er liebte…
„Ach verdammt, Daniel…“, meinte er schließlich resigniert. „Du kennst mich. Ich bin gern ein harter Mistkerl, aber ich meine es nicht so…“
Nun endlich sah Daniel ihn an. Jack erwiderte den Blick und zwang sich den gerührten Glanz in Daniels Augen zu ignorieren.
„Hast du nie Angst, dass uns unsere Glückssträhne mal verlässt, Jack?“, fragte Daniel traurig.
Jack überlegte. Welche Glückssträhne, dachte er und wollte schon zu einer sarkastischen Bemerkung ansetzen, besann sich jedoch eines Besseren. Dies war kein Zeitpunkt für dumme Scherze. Daniel war es ernst mit seiner Frage, sein Freund hatte Zweifel… Und wenn Jack den morgigen Tag überstehen wollte, war er auf Daniels Hilfe angewiesen.
„Vielleicht bin ich egoistisch, mag sein“, begann er ernst. „Denn natürlich würde ich lieber in Stiefeln sterben, als irgendwann als alter Mann im Rollstuhl… aber ich lege es nicht drauf an, hörst du!? Ich habe nicht vor, morgen den Löffel abzugeben, okay?“
Daniel holte Luft, doch Jack hob Einhalt gebietend die Hand. Er musste das jetzt loswerden.
„Ich hab keine Ahnung, was morgen passiert, Daniel. Aber ich weiß, dass ich es allein nicht schaffe. Ich brauch dich da draußen, okay?“
Daniel seufzte, hielt seinen Blick noch einen Moment fest und setzte sich dann neben ihn auf die Mauer.
„Ich hab dich nie im Stich gelassen, oder?“
„Nein, hast du nicht“, bestätigte Jack sofort.
Daniel nickte. Die Geister der Vergangenheit riefen nach ihnen und die gedrückte Stimmung ließ sie schwermütig werden. Dennoch wusste Jack, dass dieses Gespräch notwendig gewesen war. Sie beide brauchten die Sicherheit und die Gewissheit ihrer Freundschaft. Und es tat gut zu wissen, dass das Band zwischen ihnen vielleicht stärker war als jemals zuvor. Jack entschied, etwas zur Aufmunterung beizutragen, legte einen Arm um Daniels Schultern und sagte scherzhaft:
„Also wenn wir uns schon die Nacht um die Ohren schlagen, kannst du mir auch erzählen was mit dir und Vala ist.“
Daniel nickte wissend und verdrehte die Augen.
„Vergiss es, Jack!“
„Wieso?“, fragte Jack empört. „Ich dachte immer es entwickelt sich was bei euch. Wenn man sie mal besser kennt, ist sie doch gar nicht so übel. Ich glaube, du brauchst eine Frau, die dir sagt wo es langgeht…“
„Jack, ich warne dich“, grummelte Daniel und verkniff sich ein Grinsen.
„Ich mein ja nur“, stichelte Jack munter weiter. „Es wäre beruhigend für mich zu wissen, dass jemand auf meinen Space-Monkey aufpasst. Und du wirst schließlich auch nicht jünger…“
Daniel warf ihm einen entrüsteten Blick von der Seite zu.
„So alt kann ich gar nicht werden, um mich mit Vala einzulassen. Diese Frau ist das pure Gift.“
„Du musst es ja wissen…“
„Jack!“
„Was sich liebt das neckt sich…“, hielt Jack dagegen und musste über Daniels ungläubiges Gesicht lachen.
Daniel schüttelte nur den Kopf und murmelte mit einem breiten Grinsen:
„Wie wahr, wie wahr…“
TBC