Seite 1 von 2 12 LetzteLetzte
Ergebnis 1 bis 20 von 23

Thema: Das Erbe der Antiker

  1. #1
    Senior Airman
    Registriert seit
    25.12.2009
    Beiträge
    33

    Standard Das Erbe der Antiker

    Dies ist das 1. Kapitel von 6
    Es ist eine FF, die schon seit über einem Jahr fertig auf meiner Festplatte schlummert und seither die ein oder andere Veränderung durchgemacht hat.
    Nun möchte ich sie endlich teilen und hoffe Ihr habt Spass dran.


    ************************************************** ********

    Rating: M
    Pairing: Jack/SG-1/Atlantis
    Staffel: Future
    Inhalt: Jack macht bittere Erfahrungen mit dem Antiker-Gen, die sein künftiges Leben verändern.

    Anmerkung
    Die Ereignisse dieser FF finden nach Continuum und
    SGU statt.Sie zeigen eine mögliche Zukunft. Mein Dank
    geht an Sethos, dafür dass sie schon die
    erste Rohfassung mochte und an die FF glaubte. Dein Rat ist mir stets eine Hilfe. Was an Mängeln verblieben ist, geht ganz allein auf mein Konto.


    ************************************************** ********


    Das Erbe der Antiker




    Prolog


    In einer fernen Galaxie weit hinter den Grenzen unserer Milchstraße lebte einst ein hoch entwickeltes Volk. Sie nannten sich Alteraner, und im Laufe ihrer Entwicklung spalteten sie sich in zwei Hälften: In Himmel und Hölle, Engel und Teufel, Gut und Böse, Wasser und Feuer, Antiker und Ori.

    Um dem Einfluss des Bösen zu entgehen verließen die Antiker ihre Heimatgalaxie auf der Suche nach einem neuen Planeten. Sie fanden ihn und gaben ihm den Namen Avalon.

    Das Volk war sehr erfinderisch und strebte nach Höherem. Die Antiker bauten Tore, durch die man zu fernen Sternen reisen konnte, Ringe die einen von einem Ort zum anderen transportierten, und Sarkophage, die Tote zum Leben erweckten.

    Auf ihren Forschungen verbündeten sie sich mit anderen Völkern, schlossen eine Allianz mit den Asgard, Nox und Furlingern. Sie machten es sich zur Aufgabe, über ihre neue Heimatgalaxie zu wachen, damit diese von den Ori nicht unterworfen wurde, machten sich aber dennoch die Nichteinmischung zum Prinzip. Sie beobachteten uns als eine noch sehr junge Rasse, sie wachten über unsere Entwicklung und hielten die Existenz der Menschen vor den Ori geheim. Sie verschrieben sich der Wissenschaft und dem endlosen Lernen, öffneten ihren Geist und strebten danach ihr Leben zu verlängern…

    Als eine Seuche durch die Milchstraße fegte, lernten einige von ihnen in eine höhere Ebene der Existenz aufzusteigen. Andere wiederum zogen aus in eine neue Galaxie und bauten dort eine Stadt im Meer. Sie säten menschliches Leben auf hunderten Planeten, so wie sie es in unserer Galaxie getan hatten und lebten für Millionen von Jahren, bis sie auf eine dunkle Gefahr in der Evolution stießen. Sie suchten nicht den Krieg, doch der Krieg kam zu ihnen.

    Als die Antiker ihr Ende kommen sahen, versenkten sie die Stadt im Ozean und die, die nicht aufstiegen flohen durch das Sternentor auf die Erde – kehrten zurück nach Avalon, suchten und fanden einen Ort, der der alten Mutterstadt sehr ähnlich war. Sie schlugen Brücken über Ringe aus Wasser, um sich so einen Weg von und zum Palast der Doppelaxt zu schaffen.

    Dort lebten sie fortan, vermischten sich mit den Menschen und gaben ihre Wurzeln von Generation zu Generation weiter. Das Antiker-Gen war ihr Erbe an die Menschheit, das wenigen Auserwählten heute noch erlaubte, die Technologie des alten Volkes zu nutzen. Einige dieser Auserwählten besaßen eine besondere Gabe: die Gabe des Heilens.
    Sie lernten die Seuche zu beherrschen, die einst so vielen den Tod gebracht hatte und setzten, mit Hilfe des Gens, eine Energie frei, die alles durchwirkte, ins Sein brachte und am Sein erhielt.

    So wurde ein Gleichgewicht geschaffen, das die Welt in ihre Angeln hob. Doch Macht und Reichtum im Übermaße führte schnell zu Hochmut und dieser wiederum zu Unachtsamkeit. Und so kam es, dass an nur einem Tag und in nur einer Nacht die Wiege des Lebens den Untergang fand. Unter Donnergrollen verflüssigte sich die Erde und eine Stadt versank für immer im brennenden Meer. Jahre der Dunkelheit folgten und zurück blieben nur Legenden. Legenden von einer Stadt, die im Meer versank und von Menschen, die Herrscher über Leben und Tod waren. Zurück blieb die Mär von Atlantis und vom Erbe der Antiker…



    ***





    1. Kapitel: Inseln des Lichts



    „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier!“

    Seltsam wie sehr dieses Sprichwort gerade auf ihn in der letzten Zeit zutraf. Sein Job war auf einmal zur Routine geworden. Es gab keine großen Herausforderungen oder Aufregungen mehr. Souverän bewältigte er die an ihn gestellten Anforderungen und genoss sein hohes Ansehen, sowohl im Pentagon als auch bei IOA und im Weißen Haus. Ja, er steuerte sein Schiff mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Wogen der Bürokratie und hatte sogar gelernt, seinen Spaß dabei zu haben. Seine Aufgaben füllten ihn aus und ließen ihm dennoch genügend Freiraum für Privates.

    Ihr Kampf gegen die Ori hatte ein gutes Ende genommen, der letzte Ba’al Klon war schon lange seiner Bestimmung zugeführt worden, die Ikarus-Krise war bewältigt und der Aufstand der Luzianer Allianz abgewehrt worden. Seither war wieder etwas mehr Ruhe eingekehrt ins Stargate Programm und somit auch in seinen Fachbereich der Homeworld Security. Ihre Aufgabe bestand nunmehr nur noch darin, die Kontakte zu ihren Verbündeten weiter zu pflegen und zu festigen und die SG-Teams gingen durch das Tor der reinen Forschung wegen, um letztlich dorthin zu gehen ‚wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen war’! Manchmal kam es ihm so vor, als bestünde das SGC nur noch aus Wissenschaftlern und gehörte eigens der Form halber noch zur Air Force.

    Ja, die Zeiten hatten sich geändert. Und Veränderung war gut. Er füllte die dazu gewonnene Freizeit mit Aktivitäten, die ihm Freude bereiteten und gleichzeitig dafür sorgten, dass er den Boden unter den Füßen nicht verlor. Er wollte sich feste Konstanten schaffen, die ihn weder die Verbindung zu seiner Vergangenheit verlieren ließen, noch seinen Blick für die Zukunft trübten.

    Eine dieser Konstanten sollte sein Jahresurlaub sein, den er in diesem Jahr zum ersten Mal mit Daniel Jackson verbrachte.

    Kaum einer seiner alten Freunde war für ihn in erreichbarer Nähe geblieben. Die Mitglieder des alten SG-1 Teams – seines Teams – waren in alle Winde verstreut worden, selbst die ‚neuen’ Mitglieder von SG-1 hatten andere Aufgaben übertragen bekommen.

    Teal’c lebte heute bei seinem Sohn und stand dem SGC nur noch als Verbindungsmann für Sondermissionen zur Verfügung. Er sah den Jaffa kaum noch.
    Vala war Mitglied eines anderen SG-Teams. Mitchell hatte eine neu geschaffene Position als Führer aller SG-Teams im SGC übernommen, womit klar war, dass er eines Tages die Nachfolge von Hank Landry antreten würde, der immer öfter seine Sehnsucht nach dem Ruhestand kundtat. Sam Carter hielt noch immer das Kommando über die „Hammond“. Und Daniel war inzwischen wissenschaftlicher Leiter des SGC und vereinte entsprechend alle Forschungsarbeiten und Expeditionen unter seiner Führung. Es war eine Aufgabe, die Daniel gut tat. Schließlich war der Archäologe und Linguist in seinem Freund nicht klein zu kriegen. Und Jack war stolz auf sich, weil es seine Idee gewesen war, Daniel diese Aufgabe zu übertragen. Auch wenn er diese Entscheidung nicht ganz uneigennützig gefällt hatte. Erlaubte Daniels Tätigkeit ihm doch, zumindest einen seiner alten Freunde in der Nähe zu haben und dann und wann zu Gesicht zu bekommen.

    Nähe war wichtig um einer Freundschaft Bestand zu geben.
    Das zumindest wusste er heute. Über lange Monate hinweg war es ihm schließlich mühevoll gelungen eine lockere Freundschaft zu Paul Davis aufzubauen. Auf seine alten Freunde weitestgehend zu verzichten war eine leidvolle Erfahrung für ihn gewesen, die ihm viel Entbehrung und Einsamkeit beigebracht hatte. Und nur das Knüpfen neuer sozialer Kontakte machte den Alltag hier in D.C. erträglich für ihn.

    Urlaub gehörte dazu. Und da er keine Lust hatte diese drei Wochen des Jahres allein zu verbringen fragte er kurzerhand Daniel.
    Er erinnerte sich noch gut daran wie überrascht Daniel von seinem Vorschlag gewesen war. Schließlich verband sie in den letzten Jahren nur unregelmäßige Treffen, Telefonate und E-Mails. Ihr Kontakt zueinander hatte sich auf ein oberflächliches Minimum reduziert. Doch nun reiste er mit Daniel in der Welt herum und Jack war froh, dass sie schnell wieder zu der Vertrautheit aus den alten SG-1 Tagen zurückzufinden schienen. Eine Tatsache, die ihm deutlich machte, dass Daniel diese Männerfreundschaft genau so sehr brauchte wie er selbst – auch wenn sie dies natürlich nie voreinander zugeben würden…

    „Jack!“

    ‚Wenn man vom Teufel spricht’, dachte er beim Klang der Stimme, war aber nicht bereit darauf zu reagieren.

    „Jaaaack…“

    Wieso konnte ihn dieser Störenfried nicht einfach in Ruhe lassen!?

    „Geh weg“, nuschelte er in sein zusammengeknülltes Handtuch hinein, das ihm als Kopfkissen diente und kniff weiter fest die Augen zusammen.

    „Komm in den Schatten, Jack. Zu viel Sonne ist ungesund!“

    „Mir egal…“

    „Dein Rücken ist schon ganz rot…“

    Jetzt endlich war es soweit. Was war dieser Dr. Jackson doch für ein elender Klugscheißer. Träge richtete Jack O’Neill den Oberkörper halb auf und blinzelte missmutig in Daniels Richtung. Der saß brav im Schatten, eine Flasche Sun Lotion in greifbarer Nähe und schielte ihn über den Rand seiner Brille an. Ein tadelloser Anblick, der ihn noch wütender machte.

    „Wer bist du, verdammt? Meine Mutter?“, fragte er mit gespielter Empörung.
    „Geh im Sand spielen, Daniel. Grab einen gottverdammten Stein aus oder lies ein Buch. Tu irgendwas, aber lass mich in Ruhe!“

    Daniel schenkte ihm ein spöttisches Grinsen.

    „Was ist los, Jack? War der letzte Ouzo von gestern Abend schlecht?“

    Er war versucht, Daniel einfach die Zunge herauszustrecken, doch auf diesem Niveau waren sie noch nicht angekommen.

    „Ja, du mich auch“, grummelte er stattdessen, wartete jedoch Daniels gutmütiges Lächeln ab, das ihm zeigte, dass seine Übellaunigkeit nicht falsch verstanden wurde und vergrub zufrieden das Gesicht wieder in den Armen.

    Ja, manche Veränderungen waren gut. Und die Reise mit Daniel zählte definitiv dazu. Anfangs hatte er geglaubt, sie würden nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen, doch auch Daniel war älter und kompromissbereiter geworden. Und so brachte sie ihre gemeinsame Reise an eine Stelle der Erde, wo sie beides fanden: Sand und Steine an denen sich Daniel austoben konnte und Strand, gutes Essen, Bier und Musik für den gestressten Dreisterne General, der einfach nur die Seele baumeln lassen wollte.

    Soweit zumindest lautete die Abmachung.

    Die Realität sah so aus, dass Daniel ihn eine Woche lang bei sengender Hitze über irgendwelche Ausgrabungsfelder geschleppt hatte, bevor er auch nur einen Zeh ins kühle Nass bekam oder seinen Körper auf einer Strandliege ausstrecken konnte. Doch er genoss die Zeit und wollte sie um nichts auf der Welt eintauschen…

    Ihre Wahl war auf Kreta gefallen.
    Daniel beschäftigte sich schon seit geraumer Zeit mit den Ursprüngen der Minoischen Kultur und hoffte auf der Insel einige neue Erkenntnisse zu finden, die seine Theorie untermauerten, dass die alten Minoer nichts anderes als Antiker gewesen waren. O’Neill hingegen freute sich auf das klare Wasser des kretischen Meeres.

    Und so lag er nun bäuchlings auf einer Liege und Griechenlands Sonne brannte wie Feuer auf seiner Haut. Nie hatte er geglaubt auf diese Art Erholung und Entspannung zu finden. Letztere dachte er früher nur beim Fischen zu erlangen. Einfach loszulassen, die Seele auf Wanderschaft zu schicken ohne krampfhaft an irgendwelchen Aktivitäten festzuhalten, hatte er in den letzten Tagen sehr zu schätzen gelernt. Was vielleicht auch daran lag, dass er älter wurde und träger. Schließlich feierte er in wenigen Wochen seinen Sechzigsten…

    Eine Tatsache, die er gerne verdrängte. Auch jetzt wollte er nicht darüber nachdenken. Stattdessen konzentrierte er sich auf das Tosen der Brandung, inhalierte die feuchte, salzige Luft und genoss den Geruch nach Tang und Fisch - er roch das Meer, er roch die Weite und ein Hauch von Fernweh breitete sich in seinem Herzen aus. Er saugte das neue Lebensgefühl tief in sich auf und plötzlich spürte er, wie sich seine Perspektiven von ganz alleine verschoben. Alles was ihm in D.C. noch so wichtig erschienen war, wurde auf einmal belanglos und dumm.
    Seine Gedanken drehten sich und die Prioritäten waren plötzlich andere. Die einzige Entscheidung, die es nun zu treffen galt, war was er zum Frühstück nahm, ob er an den Pool oder doch lieber an den Strand gehen sollte und ob zum Abendessen Weiß- oder doch besser Rotwein passte. Alles hier war so anders als daheim. Und er ertappte sich wie so oft in den letzten Tagen bei dem Gedanken, wie es wohl wäre, einfach hier zu bleiben, auszusteigen, ein neues Leben zu beginnen…

    Die Menschen hier waren zurückhaltend und stolz, hilfsbereit und liebenswürdig und Daniel meinte, nur derjenige der ihre Geschichte kannte, würde sie je wirklich verstehen. Und Daniel kannte diese Geschichte, davon war O’Neill nicht nur überzeugt, sondern er erfuhr durch seinen Freund jeden Tag ein wenig mehr davon. Er konnte nur ahnen wie es sein musste nach jahrhundertlanger Unterdrückung und Herrschaft ständig wechselnder Besatzermächte ein heute selbst bestimmtes Leben zu führen. Selbst bestimmt war hier für Jack das ausschlaggebende Stichwort, das einen ganz besonderen Reiz für ihn in sich barg. Und er fühlte sich den Kretern seltsam verbunden, die ihren Besatzern zum Trotz, ihrem Glauben und ihrer Kultur treu geblieben waren und gerade durch diesen Glauben an sich selbst ihren Widerstandswillen geprägt und gestärkt hatten.

    In dieser Hinsicht konnte er noch viel von den Menschen hier lernen…

    …und dieser Gedanke beschäftigte ihn auch noch, als er am nächsten Morgen im Schatten eines Olivenbaumes saß und Daniel dabei zusah, wie der Archäologe in bereits sengender Hitze, ein paar Inschriften in einer Steintafel studierte.

    Sie befanden sich ein paar Kilometer südlich von Iraklion am Nordrand der Mesara-Ebene. Daniel bezeichnete Gortis als die wichtigste griechisch-römische Ausgrabungsstätte auf Kreta mit dem ältesten schriftlich fixierten Gesetzestext des Abendlandes. Der Archäologe war fasziniert von diesen Inschriften.

    O’Neill beeindruckten höchstens die großartigen Überreste der Titus-Kirche, wo der erste Bischof Kretas enthauptet worden war oder der Mythos, dass Zeus seine Hochzeitsnacht mit der schönen Europa unter einer immergrünen Platane in der fruchtbaren Mesara verbrachte und dabei Minos zeugte. Gortis rühmte sich damit, diese Platane zu besitzen, wenn sich der Baum auch als äußerst mickrige Ausgabe seiner Gattung fragwürdigen Alters offenbarte. Doch O’Neill wollte kein Spielverderber sein und so war er Daniel willig durch die Ruinen gefolgt und hatte sich die endlosen Ausführungen seines Freundes angehört. Manchmal fragte er sich, woher Daniel all dieses Wissen nahm. Für ihn war dies hier nichts anderes als ein Trümmerfeld, kaputte Steine für dessen Besichtigung er auch noch Eintritt zahlen musste. Und während Daniel nun im angrenzenden Olivenhain – ein Bereich, der für die Touristenhorden nicht zugänglich war - die übrigen freigelegten Bauten der römischen Stadt erkundete und links und rechts vom Weg die Ruinen des Isis- und Serapis-Tempels, des Apollon-Tempels und des Prätoriums katalogisierte, faszinierte O’Neill dieser Ort weniger wegen der Ruinen, als vielmehr wegen der beharrlichen Kraft, mit der die Natur die einst so mächtige Metropole zurückeroberte. Unter dem kniehohen Blütenteppich der Kronenmargeriten lagen Statuen von Göttern und Kaisern, Fragmente von Säulen und Mosaikböden als stumme Zeugen einer längst vergangenen glorreichen Zeit.

    Jack schloss die Augen, lehnte den Kopf an den Stamm des knorrig verwachsenen Baumes und atmete tief die staubige Luft in seine Lungen. Es war bereits ungewöhnlich heiß für diese Tageszeit, Schweiß rann ihm in dünnen Rinnsalen den Rücken hinab. Dennoch empfand er das Klima hier als überaus wohltuend. Das Zirpen der Grillen war ihr ständiger Begleiter, irgendwo hörte man das Meckern einer Ziege, doch sonst erinnerte kein Geräusch daran, dass es auf dieser Insel auch so etwas wie Zivilisation gab. Die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verwischten und ließen die Geschichte greifbar und spürbar werden.

    Abwesend griff er nach einem der herumliegenden Steine und umschloss ihn fest mit seiner Hand. Wohlige Wärme erfasste ihn, die nichts mit der herrschenden Temperatur gemein hatte. Es war als würde der Stein sich einen Weg durch seinen Arm bis hinauf in sein Herz brennen. Eine vage Erinnerung durchzuckte seinen Geist, verwaschene Bilder tanzten vor seinen Augen, die ihn immer beharrlicher in ihren Bann zogen. Er drehte den Stein gedankenverloren in den Händen und drängte die Reminiszenzen eines uralten Wissens tief in sein Unterbewusstsein zurück. Und plötzlich traf ihn der Gedanke wieder, irgendwann hier zu bleiben, einfach in D.C. alles stehen und liegen zu lassen und für immer fort zu gehen, hierher zu kommen, heim zu gehen… Ein fantastischer, unglaublicher Gedanke, fern von jeder Logik…

    „Wovon träumst du?“

    Daniels Stimme riss ihn in die Realität zurück. Jack hob den Kopf, blinzelte in die inzwischen schon hoch am Himmel stehende Sonne und schirmte die Augen mit der Hand gegen das grelle Licht ab um Daniel sehen zu können, der als dunkler Schatten über ihm stand.

    „Wie kommst du darauf, dass ich träume?“

    Daniel grinste, setzte sich neben ihn in den Schatten und kramte die Wasserflasche aus dem Rucksack. Nachdem er getrunken hatte, reichte er sie an Jack weiter und meinte:

    „Ich hab dich beobachtet. Du hattest einen so weggetretenen Gesichtsausdruck…“

    O’Neill nahm die Flasche aus Daniels Hand und bedachte seinen Freund mit einem skeptischen Blick. War er inzwischen so leicht zu durchschauen? Oder kannte ihn Daniel einfach zu gut? Er trank, reichte die Flasche zurück und warf den Stein in hohem Bogen in die Margeriten.

    „Ich hab nachgedacht…“

    „Hört, hört…“, warf Daniel dazwischen und erntete damit O’Neills Ellbogen in den Rippen.

    „Im Ernst, Daniel. Ich kann das! Ich denke sehr viel nach in letzter Zeit musst du wissen…“

    Daniels Grinsen wich einem interessierten Gesichtsausdruck und seine Augen ruhten ernst auf O’Neills Gesicht.

    „Worüber, Jack?“, wollte er vorsichtig wissen.

    Es gab Zeiten, da hätte er Daniel auf eine solche Frage keine Antwort zugestanden. Zeiten, in denen er ausgewichen wäre und sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als auch nur irgendetwas von seinem Innenleben preiszugeben. Und dennoch hatte Daniel ihn fast immer durchschaut und dabei viele Dinge erkannt, vor denen er selbst gerne die Augen verschlossen hielt. Doch auch hier lebte die Veränderung. Ihre Freundschaft hatte eine andere Ebene erreicht. Früher verstanden sie sich oft ohne Worte, Blicke, Gesten reichten aus um eine stumme Kommunikation entstehen zu lassen. Danach folgten lange Jahre des eher oberflächlichen Kontakts, in denen sie kaum noch etwas über den anderen wussten. Seit sie aber auf der Insel waren suchten sie geradezu das Gespräch, nutzten Worte um die alte Verbindung wiederherzustellen, das Band der Freundschaft neu zu knüpfen. Und so lernte sogar ein Jack O’Neill, sich mit Worten auszudrücken – was nicht die schlechteste aller Veränderungen war.

    „Hast du schon mal daran gedacht auszusteigen? Alles hinzuschmeißen, auszubrechen und etwas völlig anderes zu tun?“

    Seinen Worten folgte gespanntes Schweigen und noch immer fühlte er Daniels prüfenden Blick auf sich ruhen. Er seufzte, wandte den Kopf und suchte in Daniels Augen nach einer Antwort, fand jedoch nur einen Anflug Belustigung darin.

    Nein, Daniel würde nie etwas anderes tun wollen…
    Daniel war zufrieden damit, im Sand zu wühlen, Mysterien aufzuklären, durch das Universum zu hüpfen und nebenbei mal eben schnell die Welt zu retten. Und warum auch nicht? Daniel war noch jung genug. Er hatte noch Zeit, viel Zeit für all die Dinge, die ihm längst verwehrt waren durch Status, Alter, Pflicht und Ruhm. Daniel jedoch besaß noch viel Potential, schöpfte weiterhin aus dem Vollen und war auch noch gut dabei. Mehr noch, er war ein Held, und was Jack ihm nie gesagt hatte, er war sein persönlicher Held. Und er war stolz darauf Daniel mit geformt und letztlich zu dem Mann gemacht zu haben, der er heute war.

    „Vergiss die Frage“, sagte er nur, lachte über Daniels beschämtes Schweigen und fügte nach einer Weile hinzu:

    „Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber… im Pentagon dreht sich alles nur um Macht und Geld. Und manchmal frage ich mich, warum ich mich eigentlich so plage, so schrecklich abmühe… Warum ziehe ich mich nicht zurück aufs Altenteil? Es gibt genügend Anwärter, die auf meinen Stuhl ganz heiß sind. Ich könnte schon längst irgendwo mit einer Flasche Rotwein am Strand liegen und die Füße in den weißen Sand stecken. Ich müsste nicht viel zurücklassen…“

    „Und warum tust du es dann nicht?“

    Es war eine einfache Frage, geradeheraus gestellt, so wie es Daniels Art war. Und der Archäologe kannte bereits die Antwort, denn noch bevor O’Neill das Wort ‚Eitelkeit’ in den Mund nahm, nickte Daniel wissend.

    „Weil es mir die Eitelkeit befiehlt weiter zu machen“, bestätigte er. „Ich kann noch nicht nichts tun. Außerdem gefällt mir meine verdammte Uniform…“

    Er grinste breit und wurde plötzlich wieder ernst. Sein Blick richtete sich in die Ferne, er hob das Gesicht in den stahlblauen Himmel und murmelte:

    „Aber irgendwann ist es soweit, Daniel. Egal wie viel Zeit auch noch vergeht bis dahin. Irgendwann bin ich raus aus dem Spiel, und dann suche ich mir einen Platz wie diesen hier, darauf gebe ich dir mein Wort!“

    Daniel bedachte ihn noch eine Weile mit einem nachdenklichen Blick. Dann sah er auf seine Uhr.

    „Wir sollten uns auf den Weg machen. Ich hab eine Verabredung im Archäologischen Museum“, gab er zu bedenken, packte den Rucksack und erhob sich mühelos.

    „Hast du es immer noch nicht aufgegeben?“, fragte Jack. „Denkst du dieser Diskos hat all die Jahre nur darauf gewartet, dass Daniel Jackson vorbei kommt und seine Inschrift entziffert…“

    Jack erinnerte sich noch gut an ihren Besuch im Museum und an die in Festos gefundene Tonscheibe mit beidseitig ein gestempeltem Text, den bis heute keiner deuten konnte. Wenn er es recht überlegte, konnte er sogar Daniels Faszination verstehen, war es ihm doch ähnlich ergangen, als er vor der großen Glasvitrine stand und das Artefakt von allen Seiten betrachtet hatte. Fast war er sogar der Versuchung erlegen, die Scheibe zu berühren, ganz einem inneren Drang folgend, der jetzt plötzlich wieder leise wie eine weitentfernte Trommel in ihm schlug.

    Daniel zuckte die Achseln, warf den Rucksack über die Schulter und rückte seinen Hut zurecht. Er wirkte gleichgültig, doch Jack ahnte, dass der Ehrgeiz in seinem Freund brannte und er hatte Daniel schon viele unmögliche Dinge tun sehen. Wenn es also jemand schaffte diese komischen Hieroglyphen auf einer uralten Tonscheibe zu entziffern, dann war das nicht Indiana Jones sondern Dr. Daniel Jackson. Und Jack wollte ganz sicher nicht der Grund für ihr zu spät kommen sein. Ja, er empfand sogar eine gewisse Vorfreude darauf, den Diskos noch einmal zu sehen. Eine Tatsache, die ihm eigentlich Sorgen machen müsste, entsprach es doch so gar nicht seinem Naturell, alten Steinen auch nur irgendetwas Interessantes abzugewinnen.

    Mühsam rappelte er sich hoch, kam auf die Beine und sackte gleich darauf wieder in sich zusammen. Ein stechender Schmerz jagte durch sein rechtes Knie, sobald er das Bein streckte und als er sein Gewicht darauf verlagern wollte, kippte das Gelenk nach außen weg und er verlor den Halt. Ein Stöhnen entwich seinen Lippen dicht gefolgt von einem lauten Fluchen.

    „Au, verdammt noch mal…“

    Er presste die Kiefer aufeinander, massierte sein schmerzendes Knie und vermied es Daniel anzusehen.

    „Was ist?“, fragte Daniel alarmiert.

    „Nichts“, wehrte O’Neill stur ab. „Hab wohl zu lange in der gleichen Position gesessen. Sag doch immer, dass mir der Schreibtischjob nicht gut tut. Ich muss mehr Zeit für mein Training finden, das ist alles…“, suchte er nach Erklärungen und versuchte erneut aufzustehen. Diesmal vermied er es bewusst, dass Knie zu belasten, verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein und nahm den Stamm des Olivenbaumes als Stütze. Er ignorierte dabei bewusst, Daniels helfend ausgestreckte Hand.

    „Soll ich dir helfen?“, fragte Daniel dennoch und bedachte ihn mit einem skeptischen Blick, als Jack auf ziemlich wackligen Beinen an ihm vorbei humpelte. Daniel griff nach seinem Ellbogen, doch Jack wehrte ihn mit den Worten ab:

    „Geh, ich bin doch kein Greis!“

    Aber im Moment fühlte er sich so. Jeder Schritt bereitete ihm höllische Schmerzen, er schaffte es kaum, sein ganzes Gewicht auf das Knie zu geben und war unendlich froh, als er schließlich auf dem Beifahrersitz des Wagens saß. Schweigend fuhren sie nach Iraklion zurück. Ab und zu bemerkte er Daniels forschenden Blick, doch der Jüngere hütete sich davor ihn mit Fragen zu löchern. Heimlich massierte Jack sein Knie, fühlte die Schwellung unter seiner Hand und ignorierte verbissen die Bedeutung des Ganzen.

    Seit Monaten schon plagten ihn diese Schmerzen von Zeit zu Zeit. Morgens beim Aufstehen, hatte ihn die Belastbarkeit seines Knies schon mehrmals verlassen, beim Treppensteigen jagten kleine Stiche durch seine Kniescheibe und wenn er viel auf den Beinen war, bekämpfte er die abendliche Schwellung des Gelenks mit Umschlägen. Er schob diese Dinge auf sein Alter, auf seinen Job, auf mangelndes Training. Schon immer waren seine Knie seine Schwachstelle gewesen. Kein Wunder also, dass sich hier die ersten Macken bemerkbar machten. Einmal zurück in D.C. würde er sein regelmäßiges Training wieder aufnehmen, vielleicht auch ein paar Kilo abspecken und schon würde die alte Beweglichkeit in sein Knie zurückkehren.

    Kein Grund zur Sorge also… kein Grund zur Sorge!

    ***

    Dies sagte sich Jack auch noch, als er zwei Stunden später hinter Daniel in das gut klimatisierte Archäologische Museum in Iraklion humpelte. Nach der staubigen Hitze draußen empfand er die Kühle fast schon als unangenehm. Der Schweiß trocknete auf seiner Haut und das noch feuchte Hemd lag kalt auf seinem Rücken, ließ ihn sogar etwas frösteln. Wenigstens galt nun Daniels Aufmerksamkeit nicht mehr ihm, sondern war gespannt auf den eigentlichen Grund ihres hier seins gerichtet: Der Diskos von Festos!

    Man hatte das Exponat aus seiner Glasvitrine im Ausstellungsraum geholt und es stand nun vor ihnen auf einem Tisch in einem staubfreien Raum im Keller des Museums. Der Diskos war eine unscheinbare Scheibe aus gebranntem Ton, bei deren Anblick man sich kaum erklären konnte, dass es sich um eines der bedeutendsten Fundstücke aus der Bronzezeit handelte. Dennoch faszinierten die spiralförmig angeordneten Menschen-, Tier- und Pflanzenmotive den Betrachter und zogen auch Jack unweigerlich wieder in ihren Bann. Der Diskos war einzigartig, da bislang kein weiteres Fundstück seiner Art entdeckt werden konnte. Nahezu alle Fragen, wie die nach seinem Zweck, seiner kulturellen und geographischen Herkunft, der Leserichtung und der Vorderseite waren umstritten. Selbst seine Echtheit, und ob es sich bei den Zeichen überhaupt um Schriftzeichen handelte, wurde bereits angezweifelt.

    Daniel hielt gebührenden, fast ehrfürchtigen Abstand zum Tisch, schob seine Brille in einer für ihn so typischen Geste gerade und meinte dann leise zu Jack:

    „Der Diskos wurde 1908 in einem Raum der Palastanlage von Festos von Luigi Pernier ausgegraben. Was du hier siehst sind insgesamt 242 Stempeleindrücke, die durch Trennlinien zu 61 Zeichengruppen zusammengefasst sind. Seine beiden Seiten werden mit A und B benannt, da bislang unbekannt ist, welches die Vorderseite ist.“

    Daniel verschränkte die Arme vor der Brust, während Jack sich dem Tisch langsam näherte und interessiert die Nase über das Artefakt hielt, um die Symbole genauer betrachten zu können. Einzelne von ihnen tauchten wirklich gehäuft auf - so zum Beispiel der Mann mit Kopfschmuck oder sieben Punkte in einem Kreis – weswegen manche auf eine rhythmische Anordnung der Zeichen und damit auf eine Art religiösen Hymnus schlossen, wie Daniel ihm weiter erklärte.

    „Andere wiederum versuchen, den Zeichen phonetische Laute zuzuordnen und damit die minoische Sprache zu rekonstruieren.“, fuhr Daniel fort. „Die Bildhaftigkeit der Zeichen lässt jedoch eher vermuten, dass sie unmittelbar für die dargestellten Objekte und Personen stehen und noch keine abstrakten Zeichen für menschliche Laute darstellen. Einflüsse aus dem ägyptischen und semitischen Sprachraum sind aber sehr wahrscheinlich.“

    Daniel vermied es bewusst das Wort „antikisch“ in den Mund zu nehmen, solange noch andere Leute mit ihnen im Raum waren und erzählte Jack stattdessen von den vielen Übersetzungsversuchen, die über die Jahrhunderte hinweg gemacht worden waren.

    „Einer der vielen Übersetzungsversuche stammt von Victor J. Kean. Er entschied sich die Zeichen zu einer Geschichte eines Mannes zusammenzusetzen, der sich als Sesshafter auf den Weg macht, um die immer noch umherziehenden Nomadengruppen davon abzuhalten, die Viehbestände der Niedergelassenen zu töten und deren Feldfrüchte zu rauben.“

    Daniel lachte leise ob der Absurdität einer solchen Deutung, was Jack sehr gut nachvollziehen konnte. War die Geschichte doch zugegeben ein recht phantasievolles Produkt das durchaus zu eigenen Deutungen anregte. Und Daniel hatte inzwischen seine eigenen Hypothesen zu der kleinen Tonscheibe, das wusste O’Neill nur zu gut. Doch solange es nicht gelang, diesen Fund in seiner Funktion für die minoische oder seinetwegen auch antikische Gesellschaft zu erklären, würde es bei mehr oder weniger nachvollziehbaren Spekulationen bleiben. Und der Diskos blieb ein ungelöstes Rätsel, welche ja bekanntermaßen eine magische Anziehungskraft besaßen.

    Und eben diese Anziehungskraft spürte Jack in diesem Augenblick ganz deutlich. Vergessen waren auf einmal die Schmerzen in seinem Knie. Er hatte plötzlich nur noch Augen für diese unscheinbare Tonscheibe. Daniels Worte, der sich mit einem der Museumsangestellten unterhielt, drangen nur noch vage an sein Ohr. Die Welt versank um ihn herum in undeutlichen Wahrnehmungen und noch ehe er denken konnte, streckte er die Hand aus und berührte den Diskos, ganz einem inneren Zwang folgend, der ihn antrieb und unweigerlich vorwärts drängte.

    Er ignorierte Daniels warnendes „Jack“ und hielt schließlich die Scheibe zwischen beiden Händen. Und wie im Olivenhain von Gortis flutete Wärme über ihn hinweg und entwickelte sich zu beißender Hitze die ihn zu verbrennen drohte. Fernes Grollen dröhnte in seinen Ohren und vor seinen Augen tanzten die Schriftzeichen des Diskos, manifestierten sich zu Bildern von Menschen und Gebäuden, Straßen mit großen Steinplatten gepflastert, Werkstätten in den angrenzenden Häusern, Handwerker die in glühender Hitze im freien Arbeiteten… Und so wie die Stempel ihren Weg in den ursprünglich nassen weichen Ton gefunden hatten, so brannten sie nun tief und unbarmherzig ihren Abdruck in sein Bewusstsein.

    Das Grollen kam näher, der Boden unter seinen Füßen begann zu beben, irgendwo zerbrach ein Glas und er verlor den Halt. Undeutlich nahm er wahr, dass Daniel zu ihm wankte, den Diskos aus seinen Händen riss und ihn unter einen schützenden Türsturz zog. Dies alles passierte in Sekunden und genau so schnell wie das Beben gekommen war, verebbte es auch wieder.

    „Was zum Teufel war das?“, fragte Daniel atemlos, presste die Tonscheibe mit beiden Armen an seine Brust und sah Jack fassungslos an.

    „Nur ein leichtes Erdbeben“, erklärte der Museumsangestellte in gebrochenem Englisch. „Haben wir hier öfter…“

    Der Grieche maß dieser kurzen Episode keine weitere Bedeutung bei. Er tat als sei dieser kleine Vorfall das Normalste von der Welt, nahm von Daniel den Diskos entgegen, bedankte sich sogar für die „Rettung“ des Artefakts und setzte ihn auf den Ständer zurück. Was blieb war Daniels fragender Blick, der noch immer forschend auf Jack O’Neills Gesicht ruhte.

    „Geht es dir gut?“, fragte er überflüssigerweise und Jack ahnte woran Daniel in diesem Moment dachte. Schließlich erging es ihm ähnlich und nur allzu deutlich tobten die Erinnerungen an seine früheren Begegnungen mit Antiker-Technologie in ihm.
    Seine Hände zitterten, er fror plötzlich erbärmlich, so als sei ihm mit dem Diskos alle Wärme geraubt worden und er war sicher kreidebleich.

    Jack nickte lahm, denn er war auf einmal nicht sicher, ob er in der Lage war auch nur ein englisches Wort über die Lippen zu bringen und er wollte keine böse Überraschung erleben. Gebannt starrte er in Daniels Augen und versuchte sich darüber klar zu werden wer er war und wo er war. Und als er sich seiner selbst einigermaßen sicher sein konnte, brachte er ein schwaches „Okay“ über die Lippen. Doch Daniel ließ sich nicht so leicht beruhigen.

    „Wir fahren ins Hotel zurück“, meinte er entschieden und Jack war nicht in der Lage zu widersprechen.

    Schweigend verließen sie das Museum. Die Sonne, die Hitze und der schwache Wind, der vom Hafen zu ihnen herüber wehte, hauchte Jack neues Leben ein und mit sicheren Schritten folgte er Daniel zum Parkplatz. Selbst die Schmerzen im Knie kehrten zurück und machten ihm mehr als deutlich, dass nichts von dem was Daniel vielleicht befürchtete passiert war.

    Er war immer noch er selbst. Kein fremdes Wissen war in ihn eingedrungen, keine geheime Waffe hatte ihn verletzt, keine Alien-Technologie hatte seinen Geist aus ihm herausgesaugt… All das lag weit hinter ihm. Diese Art von Abenteuer gab es nicht auf der Erde… und nicht mehr für ihn.
    Kein Anlass zur Sorge also… kein Anlass zur Sorge!
    Er entschied für sich, nicht länger darüber nachzudenken und stattdessen die letzten Urlaubstage zu genießen.

    Doch so einfach war es diesmal nicht.

    Die folgenden Tage brachten für sein Knie keine Besserung. Er nahm unbewusst eine Schonhaltung ein, ging oft ins Wasser, schwamm verbissen seine Bahnen, weil er hoffte, es würde die Muskulatur sowohl stärken als auch lockern und ließ sich auch nicht davon abhalten, die 18 Kilometer lange Samaria Schlucht mit Daniel zu durchwandern.

    Er wusste, er wollte sich damit selbst etwas beweisen und schon nach den ersten paar hundert Metern auf dem engen Serpentinenweg, der am Kiefer bewachsenen Hang hinab zu einer kleinen Kapelle führte, bedauerte er seine Entscheidung. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch wenn Daniel nicht hinsah, stützte er sich schwer auf die Wanderstöcke und humpelte, um das schmerzende Knie zu entlasten. Ein paar Mal rutschte und schlitterte er auf dem groben Schotter und jeder Ausfallschritt ließ ihn fester die Zähne zusammenbeißen.

    Daniel tat so, als würde er nichts bemerken und O’Neill war ihm unsagbar dankbar dafür. Auch war er erleichtert darüber, dass Daniel den Zwischenfall im Museum nicht mehr ansprach. In stummer Akzeptanz waren sie zu ihrem Urlaubsalltag zurückgekehrt und die Tatsache, dass Jack ihn nicht mehr ins Museum zur Vervollständigung seiner Studien begleitete nahm Daniel ohne Nachfrage hin.

    Dennoch bemerkte Jack sehr wohl die Sorge in den Augen seines Freundes und er wusste, dass Daniel nichts lieber tun würde, als ihn über den Vorfall auszufragen. Aber vielleicht machte er sich auch nur Gedanken um seinen Zustand, denn nach halber Wegstrecke, schlug Daniel sogar vor umzukehren oder zumindest in Samaria eine längere Pause einzulegen. Doch Jack hatte sich nun mal in den Kopf gesetzt, die „Eisernen Pforten“ zu sehen, die engste Stelle der Schlucht, an der sich die Felswände bis auf drei Meter einander annäherten.

    Am Abend konnte er dann kaum noch gehen und er verbrachte die Nacht mit einem heißen, geschwollenen Knie, einem Eisbeutel und wirren Träumen, in denen die Zeichen des Diskos ihre Kreise zogen.

    Daniel beschwor ihn zu einem Arzt zu gehen, ließ sich jedoch mit dem Versprechen beruhigen, dass er zur Untersuchung ginge sobald er wieder zurück in D.C. war. Eine Zusage, die sich Daniel beim Abschied auf dem Flughafen noch einmal in die Hand schwören ließ.

    Den Diskos von Festos erwähnten sie mit keinem Wort mehr.

    ***

    Seitdem waren nun schon wieder über drei Wochen vergangen.
    Erst einmal zurück an seinem Schreibtisch hatte ihn der Alltag bald wieder eingeholt um nicht zu sagen überholt. Alle schienen nur auf ihn gewartet zu haben. Und obwohl sich seine Sekretärin redlich Mühe gegeben hatte Unwichtiges von ihm fernzuhalten, stapelten sich die zu bearbeitenden Unterlagen auf seinem Schreibtisch. Es war inzwischen Mitte Oktober, was bedeutete dass die Budgetrunde für das kommende Jahr bereits eingeläutet war und sein Terminkalender platzte.

    Der Sonnenbrand verblasste, die Erholung war nach wenigen Tagen wie weggeblasen und gehörte alsbald genauso der Vergessenheit an wie sein kleines Abenteuer mit dem geheimnisvollen Diskos von Festos. Die Erinnerung daran verwehte wie die Sonne und die Düfte Kretas, die Träume wichen ruhigen Nächten, in denen er meist durchschlief.

    Er machte Überstunden, nahm oft Arbeit mit nach Hause und schaffte es kaum an etwas anderes zu denken, als an die Termine und Aufgaben des nächsten Tages.

    Die Schmerzen begleiteten ihn dabei vom Aufwachen bis zum Schlafengehen. Doch sie rückten in den Hintergrund. Er arrangierte sich mit der Pein. Wenn er Stunden an seinem Schreibtisch verbrachte, merkte er gar nichts davon und ansonsten vermied er das Treppensteigen wo er nur konnte. War das Gelenk abends geschwollen, bandagierte er es über Nacht mit einem Salbenverband und tagsüber behalf er sich mit einer Stützmanschette. Man gewöhnte sich an alles. Und er hatte sich bereits an vieles gewöhnen müssen in seinem Leben.

    Heute gingen die Budgetmeetings in die vorerst letzte Runde, morgen war sein Geburtstag und nach dem Wochenende würde er sich beim Arzt anmelden. Es stand ohnehin sein jährlicher Checkup an. Das Pentagon würde ihm nicht erlauben diesen Routine- und Pflichttermin ausfallen zu lassen…

    Ja, die Pflicht rief auch jetzt nach ihm. Doch er machte sich nur zögerlich auf den Weg.

    Er warf einen hastigen Blick auf seine Uhr. Wahrscheinlich wartete sein Stab bereits ungeduldig auf ihn im Konferenzraum. Er kam zu spät. Verdammt, er war Leiter der Homeworld Security, er hatte ein Recht darauf zu spät zu kommen…

    Nein, er war wirklich nicht versessen auf dieses Meeting, in dem es um die Verteilung der Fördermittel für das nächste Jahr ging.

    Vor der Tür des Konferenzraumes, blieb er stehen, atmete ein paar Mal tief durch, straffte seine Haltung und kontrollierte noch einmal den Sitz seiner Uniform. Er sah gut aus – tadellos, wie es sich für einen Offizier seines Rangs gehörte. Selbstsicher öffnete er die Tür und betrat den Raum.

    Er eröffnete die Sitzung und obwohl seine Gedanken hin und wieder abschweiften, blieb er bei der Sache. Sie kamen gut voran – auch wenn die ein oder andere hitzige Diskussion nicht ausblieb. Es ging wie immer um Geld und Zahlen. Die Wissenschaftler feilschten um jeden Dollar, den der IOA unbedingt einsparen wollte. Doch im Großen und Ganzen kamen sie auf einen Nenner und verabschiedeten schließlich einen Etat, mit dem alle Beteiligten zufrieden sein konnten.

    Zwei Stunden später waren die Fakten zu Papier gebracht und Davis schloss zufrieden die Akten. Diese würden spätestens am Montag aufbereitet und abgabefertig auf seinem Schreibtisch liegen, dessen war Jack sich sicher. Paul Davis war ein sehr gewissenhafter Offizier und er nahm ihm vieles aus dem Kreuz. Entschlossen erhob er sich von seinem Stuhl und erklärte die Sitzung damit für beendet.

    „Verzeihen Sie, Sir…“, die Worte gefolgt von einem um Aufmerksamkeit heischenden Räuspern, veranlassten ihn in der Bewegung innezuhalten und am Kopf des Konferenztisches stehen zu bleiben.
    Paul Davis war an seine Seite getreten.

    „Was gibt es noch, Davis?“

    „General, es tut mir leid, dass ich den Entscheid über das Kommando der neuen Raumbasis nicht bis zu ihrer Rückkehr hinauszögern konnte. Aber der IOA bestand auf eine zügige Benennung und ich dachte, Sie hätten sicher nichts gegen eine Beförderung Colonel Carters einzuwenden…“

    „Die neue Raumbasis… “, stotterte Jack verwirrt und blickte zu Davis.

    „Das Memo, Sir. Es müsste auf ihrem Tisch liegen...“

    Sam Carter erhielt das Kommando über die neue Mondbasis?
    Jack versuchte fieberhaft sich an dieses verdammte Memo zu erinnern.
    Okay, Carter hing an der Wissenschaft, keine Frage, sie war immer bereit für etwas neues aber…
    Hatte sie nicht immer betont wie schwer es ihr gefallen war, sich auf Atlantis einzuleben, wie froh sie trotz aller Umstände war zurück auf der Erde zu sein – wenigstens zeitweise und so oft es ihr das Kommando über die ‚Hammond’ erlaubte? Und jetzt wollte sie den Planeten verlassen – auf Dauer?

    Welches Memo verdammt? Er hatte keines gesehen. Allerdings war er auch noch längst nicht den ganzen Berg Akten auf seinem Tisch durchgegangen. Was hatte er während seines Urlaubs noch alles verpasst? Wieso hatte man ihn nicht dazu gehört? Was wurde noch alles hinter seinem Rücken entschieden?
    Er war im falschen Film, eine andere Erklärung gab es nicht.
    Sein Kopf schwirrte und seine Gedanken drehten sich im Kreis. Ihm wurde schlagartig übel und er brauchte frische Luft.

    „Ja, sicher das Memo… Sie hat es verdient, Davis“, brachte er mühsam beherrscht hervor. „Sie entschuldigen mich? Mein Terminkalender ruft…“

    Mit diesen Worten wandte er sich abrupt ab, schnappte seine Akten und stürmte aus dem Konferenzraum wohl ahnend, damit einige erstaunte Blicke auf sich zu lenken. Doch selten war ihm etwas so gleichgültig, wie in diesem Augenblick eventuell aufkommendes Gerede. Er musste hier weg. Raus aus diesem Raum, weg von dieser überraschenden Neuigkeit.

    Mit großen Schritten hastete er durch die Gänge, mied den Fahrstuhl, nahm stattdessen die Treppe. Mit zusammengebissenen Zähnen nahm er drei Stufen auf einmal, wohl wissend, dass diese Belastung nichts für sein Knie war, doch er genoss den Schmerz geradezu und mit jedem Schritt, mit jeder Stufe, mit jedem lauten Protest seines Kniegelenkes wuchs der Zorn in ihm.

    Wie konnte sie ihm das antun?
    Wieso ausgerechnet die Mondbasis?
    Gab es auf der Erde keine Herausforderungen für sie?
    Wie konnte er nur übersehen, dass sie Anwärterin auf dieses Kommando gewesen war?

    Und warum zum Henker hatte ihm niemand etwas davon gesagt? Warum hatte sie ihm nichts gesagt?

    Als er endlich seine Büroräume erreichte, dampfte er auf allen Kesseln – vor Wut, vor Enttäuschung und vor Schmerz und Erschöpfung. Inzwischen protestierten beide Knie lautstark gegen die Belastung, doch es war ihm gleichgültig. Er riss die Tür auf, stürzte durch das Vorzimmer an seiner entsetzt dreinschauenden Sekretärin vorbei und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Schwer atmend lockerte er seine Krawatte und riss die obersten Knöpfe seines Kragens auf. Er brauchte Luft und er brauchte was zu trinken, denn er war kurz vorm Durchdrehen. In Ermangelung von etwas Stärkerem nahm er den Krug und goss sich ein Glas Wasser ein. Er stürzte es in einem Zug hinunter und füllte es erneut, dabei bemerkte er, dass seine Hände zitterten. Sein Herz raste und sein Puls pochte schmerzhaft in den Schläfen.

    Was passierte hier gerade?

    Er meldete Besitzansprüche, die ihm verdammt noch mal nicht zustanden. Er hatte noch nicht einmal ein Recht darauf verletzt zu sein.
    Sam Carter war weder Mitglied seines Stabs noch stand sie unter seinem direkten Kommando. Sie konnte tun und lassen was sie wollte, war ihm keine Rechenschaft schuldig…
    Was also hatte er erwartet?
    Dass sie brav weiter das Kommando über die „Hammond“ führte, somit in der Nähe blieb, und weiter darauf wartete, dass er sich endlich pensionieren ließ, sich vor ihr auf den Boden warf, ihr einen Antrag machte und sich bis dahin geduldig in die Wissenschaft verkroch?

    Sei kein chauvinistisches Arschloch, O’Neill, schalt er sich selbst und ignorierte dabei kräftig sein gekränktes Ego, das ihm beharrlich bestätigte, dass er genau das geglaubt hatte.

    Bullshit!

    Es war nie mehr zwischen ihnen gewesen als Freundschaft.
    Eine platonische Liebe vielleicht, keine Affäre, schon gar kein Verhältnis, sondern vielmehr eine verkorkste Beziehung, die sich Jahrelang von unterschwelligem Verlangen und träumerischen Sehnsüchten ernährte. Nichts hatte daran etwas geändert. Weder seine Versetzung nach D.C. noch Carters Jahr auf Atlantis hatte sie einander näher bringen können. Sie waren Offiziere der Air-Force, waren es gewohnt ein Leben mit Abstrichen zu führen und sie waren erwachsen. Sie hatten sich damit abgefunden, dass sie sich den Regeln unterwerfen mussten ohne jemals wirklich darüber gesprochen zu haben und heute lebten sie beide ihr eigenes Leben, völlig unabhängig voneinander und sie waren sich nichts, aber auch rein gar nichts schuldig. Sie hatte ein Recht auf Glück, Karriere, Erfolg…

    … aber sie hätte es ihm verdammt noch mal sagen müssen!

    Ja, ganz sicher…
    Darauf hätte er ein Recht gehabt. Es von ihr zu erfahren, persönlich und nicht durch einen dummen Zufall aus dem Mund eines völlig Unbeteiligten. Und deswegen war er wütend. Er fühlte sich betrogen und hintergangen – nicht als Mann, auch nicht als ihr ehemaliger kommandierender Offizier, sondern als Freund. Im Augenblick meinte er der Einzige zu sein, der es nicht gewusst hatte, der es als letzter erfuhr.

    Wieso?
    Bedeutete er ihr wirklich nur noch so wenig?
    War das was zwischen ihnen gewesen war nichts mehr wert?
    Und dabei dachte er nur an die Jahre der Zusammenarbeit, der Freundschaft und des Vertrauens – an die Jahre, in denen sie ein Team gewesen waren, eine Familie.

    Ein beharrliches Klopfen an der Tür zog ihn in das Hier und Jetzt zurück.

    „Nicht jetzt“, murmelte er nur und ignorierte das Klopfen vehement. Egal was seine Sekretärin von ihm wollte, es musste warten bis er sich wieder einigermaßen gefangen hatte.

    „Du bist nicht Nabel der Welt, Jack“, sagte er sich selbst. Carter hatte einfach ihr Leben wesentlich besser im Griff als er, so einfach war das.
    Dieser letzte Gedanke traf Jack wie ein Schlag unter die Gürtellinie. So einfach war das? War es das wirklich? Nun, für ihn nicht. Hatte er ihr das nie gesagt?

    Zugegeben, reden war etwas was in seinem bisherigen Leben immer zu kurz gekommen war. Er hatte sich immer damit herausgewunden darin keine Übung zu haben und sein Schweigen war von seinen Mitmenschen immer viel zu bereitwillig akzeptiert worden. Vieles war dadurch schief gelaufen, ungesagt geblieben und hatte letztlich nur zu Missverständnissen geführt.

    Es war eine Erkenntnis, die viel zu spät kam! Wie vieles in seinem Leben…

    Es gab nichts mehr zu sagen. Er konnte ihr noch nicht einmal alles Gute wünschen, denn laut Davis war sie bereits auf dem Weg zur Mondbasis.

    Sein Handy piepte. Er kramte es aus der Hosentasche und schaute auf das Display: eine SMS von Cassie. Er las die wenigen Worte und tippte dann schnell eine Antwort: „hole dich vom Flughafen ab.“

    Er war um Normalität bemüht. Schließlich ging es um Cassie. Und sie war im Augenblick das einzige Bindeglied zu einer Vergangenheit, die ihn mit Sam Carter verband.

    Doch die Einladung zum Dinner schlug er aus. Er hatte wirklich keine Kraft für einen Abend auf ‚heile Familie’. Sicher, er freute sich darauf Cassie wiederzusehen, doch sie würde ein paar Tage in D.C. bleiben und so blieb ihm noch genügend Zeit, die er mit ihr verbringen konnte. Schließlich kam sie öfter mal zu Besuch, seit sie ihr praktisches Jahr in New York absolvierte. Und so wie es im Moment aussah würde er den Vorabend seines Sechzigsten alleine mit ein paar Bier verbringen.

    Er dachte an morgen.

    Ja, morgen war ein großer Tag nicht wahr?

    Gott, manchmal hasste er sein Leben!

    ***

    Das Morgen brachte rasende Kopfschmerzen, einen Anrufbeantworter der überquoll, eine Türklingel, die nicht still stand, jede Menge Post, Glückwünsche, Blumen, Geschenke und Menschen… Menschen auf dem offiziellen Empfang zum Brunch im Weißen Haus – ihm zu Ehren, angeordnet vom Präsidenten persönlich. Jede Menge Menschen, von denen Jack nur wenige wirklich gut kannte, geschweige denn seine Freunde nannte. Umso mehr freute er sich über die Anwesenheit derer, die ihm wirklich wichtig waren und der anschließenden Party in seinem Appartement beiwohnten: Davis, Mitchell, Vala, Daniel… und Cassie.

    Nur Teal’c fehlte. Aber Jack hatte sich in den vergangenen Jahren daran gewöhnt, dass der Jaffa immer mehr den Menschen fernblieb und stattdessen die Gesellschaft seinesgleichen vorzog. Schließlich hatte Teal’c inzwischen eine stattliche Familie. Und Jack konnte es ihm nicht verübeln, dass er seine Zeit lieber mit vier Enkelkindern verbrachte, als auf einer fadenscheinigen Geburtstagsparty den Stangenspargel zu spielen.

    Es war sein Sechzigster!

    Gott, Jack wollte wirklich nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. Er konnte sich noch gut an seinen Fünfzigsten erinnern…
    Vieles hatte sich verändert seit damals… zum Guten und auch wieder zum Schlechteren.
    Dies zumindest hatte sich nicht verändert: sein Leben war eine Achterbahn. Es ging stetig rauf und runter. Und im Augenblick befand er sich definitiv auf einer Talfahrt.

    Wie lange würde er so noch weitermachen können?
    Er hatte den Zenit seines Lebens bereits weit überschritten. Wie viele Jahre würden ihm noch beschieden sein?
    Zehn?
    Vielleicht zwanzig oder mehr?
    Besser er wusste es nicht…
    Er grübelte auch so genügend darüber nach, was er anstellen sollte mit seinem letzten Lebensabschnitt. Wie lange würde ihn die Air Force noch dulden, ihn auf seinem Posten belassen, bevor man ihn in den „wohlverdienten“ Ruhestand komplimentierte? Der Chief of Staff hatte ihm bereits mehrfach nahegelegt einen Nachfolger zu benennen… Wie lange konnte er seinen Abschied noch hinauszögern?
    Fünf Jahre?
    Vielleicht zehn, wenn man ihn auf einen Beraterposten schob…

    Und dann?

    Wieder dachte er an seinen Ausstieg.
    Nichts hielt ihn in D.C., nichts hielt ihn in Amerika oder auf diesem Planeten…
    Dennoch würde er die Erde nicht verlassen. Erde war Heimat. Und Jack war altmodisch was das Wort Heimat betraf. Seine Gedanken schweiften zurück zum Urlaub auf Kreta. Und je mehr er darüber nachdachte, umso deutlicher sah er sich als Aussteiger… Sonnenuntergänge mit Frau und Kindern? Nun, diese Möglichkeit hatte er sich ja wohl gründlich verbaut.
    Aussteigen also… allein.
    Ein kleines Häuschen am Meer, ein Boot zum Fischen… was brauchte er mehr für seinen Ruhestand?

    Sein Blick glitt durch das nun wieder menschenleere Appartement. Nie hätte er gedacht, dass 140 Quadratmeter so viel Fassungsvermögen boten. Mindestens 50 paar Füße waren über seinen Teppich getrampelt, hatten Flecken und Krümel hinterlassen, die Räume mit Lachen und Gesprächen erfüllt und sich am kalten Buffet gedrängt. Nun stapelten sich in der Küche leere Bier- und Champagnerflaschen und die Spüle quoll über vor dreckigen Tellern, die im Geschirrspüler keinen Platz mehr fanden, und die der Partyservice hoffentlich abholte, bevor seine Haushälterin morgen der Schlag traf. Doch man wurde schließlich nur einmal Sechzig! Wie wahr…

    Er klammerte sich an seine Flasche Bier und zog sich auf die Dachterrasse zurück. Er brauchte frische Luft. Seine Wohnung roch nach fremden Menschen, die ihm nichts sagten und nichts gaben. Und die wenigen, die ihm etwas bedeuteten hatten nichts von Dauer hinterlassen.

    Die frische Nachtluft tat gut, befreite Lungen und Geist. Er lehnte sich an das Geländer und schaute durch die große Glasfront in sein Wohnzimmer.

    Abstand!

    Ja, wie nötig hatte er den ganzen Abend danach gesucht. Mit Abstand betrachtete er nun das Geschehen des Tages, fühlte sich immer mehr wie ein Zuschauer seines eigenen Lebens, der ganz zufällig vorbeikam und einen Augenblick innehielt…

    Cassie!
    Mit echter Freude war sie ihm um den Hals gefallen. Er hatte sie wie früher durch die Luft gewirbelt und seine Kniegelenke hatten lautstark protestiert und ihn nicht nur an sein Alter sondern auch an die Tatsache erinnert, dass Cassie längst kein kleines Mädchen mehr war. Die junge Ärztin in ihr hatte sofort gemerkt dass etwas mit ihm nicht stimmte. Sofort schlich sich dieser forschende argwöhnische Ausdruck auf ihr Gesicht, den er von Janet so gut kannte, und den Cassie von ihrer Mutter unbewusst übernommen hatte. Es war ihm gelungen sie abzulenken und die größte Geburtstagsüberraschung war die Ankündigung, dass sie einen Job als Stationsärztin in D.C. annahm. Insgeheim hegte er die Hoffnung, sie nun noch öfter zu Gesicht zu bekommen…

    Sam Carter fehlte natürlich in ihrer Runde.
    Sie lebte ihr Leben ohne ihn weiter… Und endlich begriff er, dass es genau das war, was ihm am meisten zusetzte. Im Gegensatz zu ihm hatte sie ein Leben! Sie ging weiter, suchte neue Inhalte, ließ das Alte los und warf Ballast ab.

    Jack verzog unweigerlich das Gesicht und nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche. Okay, er mochte den Gedanken nicht besonders, dass sie letztlich das schaffte, was er all die Jahre nicht bewerkstelligen konnte. Sie konnte Vergangenes loslassen…

    Er vermisste George Hammond!
    Es war der zweite Geburtstag, den er ohne seinen väterlichen Freund feiern musste. Und es verging noch immer kaum ein Tag, an dem er nicht an ihn dachte. George war sein vertrauter Berater gewesen hier in D.C.
    Sein plötzlicher Tod vor gut zwei Jahren hatte sie alle aus der Bahn geworfen und in Jacks Leben eine große Lücke hinterlassen. Wenigstens war dem alten General ein schneller Tod beschieden gewesen: Herzschlag von einer Sekunde auf die Andere. Er hatte nicht lange gelitten…
    Er selbst wollte auch einmal so schnell aus dem Leben scheiden, am liebsten in Stiefeln, durch eine Kugel, sauber und schnell… Doch das Schicksal schrieb sein eigenes Drehbuch und Rücksicht auf die Wünsche des Betroffenen kam selten darin vor.

    Jack nahm einen Schluck Bier und würgte das aufkeimende Selbstmitleid hinunter. Selbst dafür war es zu spät. Die Flasche war leer im wahrsten Sinne des Wortes.

    Er kehrte zurück in die Küche, betrachtete eine Weile das Chaos und beförderte halbherzig die Reste des kalten Buffets in den Kühlschrank.

    „Ich glaube du bekommst am Montag eine Krankmeldung…“

    Jack erstarrte und warf vor Schreck die Kühlschranktür zu.
    Daniel lehnte mit einem Päckchen im Arm an der Wand und grinste ihn an.
    Klar, Daniel war noch da.

    „Davis?“, fragte er nur, setzte sich mit einer Schüssel Kartoffelsalat auf die Arbeitsplatte und begann mit einer Gabel darin herumzustochern.

    „Ich hab ihn in ein Taxi gesetzt, denke er kommt gut nachhause. Wusste gar nicht, dass Paul noch weniger verträgt als ich…“

    Jack lachte und schob sich weiter Kartoffelsalat in den Mund.

    „Ja, er ist eher der Schirmchentyp. Mit Schampus und Bier hat er es nicht so…“, meinte Jack kauend.

    Daniel stellte grinsend das Päckchen ab und hockte sich dann neben Jack auf die Arbeitsfläche. Jack reichte ihm wie selbstverständlich eine Gabel und eine ganze Weile herrschte nichts als gefräßiges Schweigen.

    Hatte sich das Päckchen nicht eben bewegt?
    Irritiert schüttelte Jack den Kopf. So viel hatte er doch gar nicht getrunken… obwohl seine Heißhungerattacke das glatte Gegenteil bewies. Egal, Essen war Beschäftigung. Und so lange sein Magen was zu tun hatte, musste er nicht denken.

    Der späte Mitternachtsimbiss schien auf Daniel jedoch eine ganz andere Wirkung zu haben. Zwischen zwei Gabeln Kartoffelsalat betrachtete er O’Neill neugierig und schließlich konnte sich der Archäologe nicht mehr zurückhalten und sagte geradeheraus:

    „Tut mir leid, dass mit Sam!“

    Jack ließ die Gabel sinken, würgte den letzten Bissen hinunter und sah Daniel an.

    „Du warst auch schon mal feinfühliger…“, stellte er vorwurfsvoll fest.

    Daniel verzog betroffen das Gesicht und zuckte die Achseln.

    „Willst du darüber reden“, fragte er statt einer Entschuldigung ob seiner Taktlosigkeit und häufte wieder Kartoffelsalat auf seine Gabel.

    „Was gibt es da noch zu reden, Daniel? Carter geht ihren Weg. Jacob wäre stolz auf sie…“, gab Jack leise zu. „Es ist okay... Es geht mir gut!“

    Daniel nickte.

    „Klar, deswegen sitzen wir auch hier und Schaufeln mitten in der Nacht bergeweise Kalorien und Cholesterin in uns hinein…“

    Jack rutschte von der Arbeitsfläche und warf seine Gabel in die Spüle.

    „Was willst du von mir, Daniel? Soll ich mich beklagen, weil ich es nie geschafft habe über meinen Schatten zu springen?“

    „Du kannst immer noch mit ihr reden…“

    „Es würde nichts ändern…“, gab Jack zurück. „Aber du hast Recht, es ist nicht okay und es geht mir nicht gut… gar nicht gut! Zufrieden, Dr. Freud?“

    Daniel hörte auf zu essen, schob die Schüssel von sich und zog stattdessen das Päckchen zu sich heran. Jack beobachtete ihn dabei und hätte schwören können, dass der Inhalt Laute von sich gab…

    „Sechzig Jahre und doch ein bisschen weise, Jack?“, fragte Daniel mit einem mitleidigen Lächeln.

    Jack lachte leise, kam zurück und hockte sich wieder neben seinen Freund.

    „Nicht weise genug, mein Freund. Bei weitem nicht genug…“

    Das Päckchen stand nun zwischen ihnen und wieder meinte Jack eine leichte Bewegung wahrzunehmen. Er lauschte. Das Päckchen machte eindeutig Miau.

    „Also krieg ich jetzt endlich mein Geschenk bevor es verhungert oder anfängt zu riechen?“

    Unsicher beäugte Jack das Paket von allen Seiten. Daniel würde nicht soweit gehen ihm eine Katze zu schenken, oder doch!?
    Er selbst hielt sich für keinen Katzentyp. Hunde, ja mit Hunden konnte er etwas anfangen. Aber ein Hund war nichts für die Stadt, nichts für sein Appartement, nichts für seinen Terminkalender.
    Ungeduldig entfernte er die Schleife und hob vorsichtig den Deckel.

    Grüne Augen funkelten ihn aus einem kleinen, schwarzen, pelzigen Gesichtchen an. Frech hob das kleine Kätzchen das Köpfchen, sagte selbstbewusst Miau und als Jack die Hand nach ihm ausstreckte zeigte es die Zähne, fauchte wie ein Tiger und hob die kleine Pfote mit ausgefahrenen Krallen zum Schlag.
    Jack fuhr zurück.

    „Wow!“

    „Scheint so, als hättest du deinen Meister gefunden, Jack“, lachte Daniel.

    Jack bedachte ihn mit einem argwöhnischen Blick. Er wusste nicht so recht, ob er sich nun über dieses spezielle Geschenk freuen sollte oder nicht. Auch wenn Daniel damit nur die besten Absichten verfolgte, obwohl so sicher war er sich da im Moment auch nicht mehr.

    Der kleine Kater hatte sich inzwischen selbständig gemacht, war aus der Schachtel gepurzelt und stapfte nun wagemutig über die Arbeitsplatte der Küche. Mit großem Interesse spielte er mit einem Petersiliensträußchen und ließ sich durch nichts stören.

    „Du musst ihm noch einen Namen geben“, meinte Daniel mit breitem Grinsen und Jack hätte schwören können, es lag eine gehörige Portion Schadenfreude in Daniels Gesicht.

    Sein Freund angelte sich zwei Bierflaschen, köpfte sie am Rand der Tischplatte und reichte eine davon an Jack weiter, dann prostete er ihm zu.

    „Auf dich Jack. Alles Gute zum Geburtstag, mein Freund!“

    Sie tranken und beobachteten eine Weile schweigend den kleinen schwarzen Kater, der neugierig seine neue Umgebung erkundete und mit viel Übermut und Selbstüberschätzung Jack beim ersten Annäherungsversuch die Hand zerkratzte. Mit frechem herablassendem Blick und grünen funkelnden Augen sah er zu Jack hinauf und demonstrierte falsche Überlegenheit.

    „Ba’al“, meinte Jack einer plötzlichen inneren Eingebung folgend. Und auf Daniels fragenden Blick hin erklärte er. „Ich nenne ihn Ba’al. Der kleine Racker erinnert mich an ihn und ob ich es zugeben will oder nicht, dieser Schlangenkopf fehlt mir irgendwie…“

    Daniel erwiderte nichts, sah ihn nur an und machte sich seinen eigenen Reim auf diese ungewöhnliche Namensgebung.

    Jack hätte seinem Freund jetzt einen Vortrag über Vergangenheitsbewältigung halten können, stattdessen trank er schweigend sein Bier. Manche Dinge veränderten sich, andere nicht. Sein „besonderes“ Verhältnis zu Ba’al gehörte zweifelsfrei zur letzten Gattung. Die Rechnung zwischen ihnen war nie beglichen worden und das Schicksal bot ihm auch keine Gelegenheit mehr dazu. Dennoch gehörte Ba’al zu einem Leben, an das er sich gerne zurückerinnerte und das mit dem Leben das er heute führte so ziemlich nichts mehr gemein hatte. Und nun begann ein neuer Abschnitt für ihn – mit ziemlicher Sicherheit sogar sein letzter. Und so klammerte er sich an Verbindungen zur Vergangenheit und war gespannt auf die Veränderungen die dieser neue Lebensabschnitt für ihn bereit hielt.

    ***

    TBC


  2. #2
    Wächter und Techniker Avatar von Am17
    Registriert seit
    25.01.2010
    Ort
    An Rhein und Mosel
    Beiträge
    681
    Blog-Einträge
    7

    Standard

    Genial.
    Super Story.
    Das alles aus JAcks sicht zu erzählen, das hast du sehr gut gemacht.
    Bei einigen stellen muzsste ich schmunzeln.

    „Ba’al“, meinte Jack einer plötzlichen inneren Eingebung folgend. Und auf Daniels fragenden Blick hin erklärte er. „Ich nenne ihn Ba’al. Der kleine Racker erinnert mich an ihn und ob ich es zugeben will oder nicht, dieser Schlangenkopf fehlt mir irgendwie…“
    Einfach zum grinsen.
    Man merkt doch wie alte JAck schon ist.
    Bin schon aufs nächste Kapitel gespannt.

    Lg Am17

  3. #3
    Lieutenant General Avatar von Antares
    Registriert seit
    16.09.2007
    Beiträge
    4.809
    Blog-Einträge
    1

    Standard

    Und Jack war stolz auf sich, weil es seine Idee gewesen war, Daniel diese Aufgabe zu übertragen. Auch wenn er diese Entscheidung nicht ganz uneigennützig gefällt hatte. Erlaubte Daniels Tätigkeit ihm doch, zumindest einen seiner alten Freunde in der Nähe zu haben und dann und wann zu Gesicht zu bekommen.

    ----Ein cleverer Schachzug!!

    Nähe war wichtig um einer Freundschaft Bestand zu geben.
    Das zumindest wusste er heute. Über lange Monate hinweg war es ihm schließlich mühevoll gelungen eine lockere Freundschaft zu Paul Davis aufzubauen.


    ---schön zu wissen, dass er in Washington auch Leute kennt, mit denen er mal reden oder weggehen kann.


    „Was zum Teufel war das?“, fragte Daniel atemlos, presste die Tonscheibe mit beiden Armen an seine Brust und sah Jack fassungslos an.
    „Nur ein leichtes Erdbeben“, erklärte der Museumsangestellte in gebrochenem Englisch. „Haben wir hier öfter…“

    ------Nun, als misstrauische Leserin frage ich mich natürlich, ob nicht doch etwas Anderes dahinter steckt?



    „Ich hab ihn in ein Taxi gesetzt, denke er kommt gut nachhause. Wusste gar nicht, dass Paul noch weniger verträgt als ich…“
    [...]
    „Ja, er ist eher der Schirmchentyp. Mit Schampus und Bier hat er es nicht so…“, meinte Jack kauend.


    ------*lol* Was für eine Beschreibung von dem armen Paul!


    Na, dann bin ich ja mal gespannt wie es weiter geht und hoffe nur, dass es nicht zu melancholisch wird.

  4. #4
    Senior Airman
    Registriert seit
    25.12.2009
    Beiträge
    33

    Standard

    Vielen Dank für Eure Feedbacks. Ich weiß, es ist eine lange Sache umso mehr freue ich mich über jeden Leser, der die Ausdauer hat dranzubleiben.
    @ Antares: kann Dir nicht versprechen, dass es nicht zu melancholisch wird - zumindest das zweite Kapitel neigt dazu. Es ist aber wichtig für den restlichen Storybogen, deshalb kann ich es nicht auslassen. Sorry.

    Hier also das 2. Kapitel:

    ************************************************** ****************

    2. Kapitel: Feuer über dem Meer


    Seit Stunden hatte Jack sich nicht gerührt. Es wurde bereits dunkel und nur die Leselampe auf seinem Schreibtisch erhellte das Büro. Undeutlich erinnerte er sich daran, dass seine Sekretärin vor einiger Zeit den Kopf zur Tür hereingesteckt hatte um sich zu verabschieden und ihm noch einen schönen Abend zu wünschen.
    Konnte es sein, dass dies schon wieder drei Stunden her war?
    Wie lange brütete er nun schon über einem Berg Akten und studierte Berichte und segnete Anträge ab?

    Er arbeitete zu viel. Seine Tage waren zu lang, die Nächte zu kurz. Es fiel ihm schwer abzuschalten, er lebte ungesund und vernachlässigte sein Training. Viel zu oft führte ihn sein Heimweg im Hawk & Dove vorbei und viel zu oft blieb er dort länger als gut für ihn war. Darüber hinaus hatte er die letzten freien Wochenenden darauf verwandt Cassie bei der Renovierung ihres neuen Appartements und beim Umzug zu helfen, so dass kaum freie Zeit für ihn übrigblieb.
    Müde rieb er sich die Augen und massierte seinen schmerzenden Nacken. Jack wusste, er sollte Feierabend machen, Ruhe finden, schlafen…

    Vorsichtig streckte er sich und wollte aufstehen, doch ein stechender Schmerz in beiden Knien ließ ihn sofort in den Stuhl zurücksinken. Er versuchte es wieder, energischer diesmal, kam mit zusammengepressten Kiefern zum Stehen und musste überrascht feststellen, dass seine Beine ihn nicht mehr trugen. Es war ihm unmöglich, die Knie durchzudrücken, geschweige denn Belastung auf die Gelenke zu geben. Atemlos, stöhnend vor Schmerz und völlig verstört gab er seine Bemühungen auf und sank in seinem Stuhl zusammen.
    Er massierte seine Knie und seine Gedanken drehten sich dabei im Kreis.
    Wann waren die Schmerzen so schlimm geworden?
    Seit Wochen hielt er sich mit Umschlägen und Schmerztabletten über Wasser. Und da er eine überwiegend sitzende Tätigkeit hatte, bemerkte er die Schmerzen kaum. Den Gang zum Orthopäden schob er schon eine Weile vor sich her.
    Und jetzt konnte er noch nicht einmal mehr aufstehen, geschweige denn auch nur einen Schritt machen. Er überlegte angestrengt ob ihm etwas entgangen war, irgendein Ereignis, das seine momentane Situation für ihn plausibel machte. Er brauchte eine Erklärung, suchte fieberhaft danach, nur um nicht in Panik zu verfallen.

    Hatte er sich etwas ausgerenkt, war etwas verrutscht, Knorpel, Kniescheibe, Meniskus? Ein geklemmter Nerv vielleicht?

    Er versuchte erneut aufzustehen und gab schließlich schwer atmend auf. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, und jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Er wurde panisch – was selten bei ihm vorkam… Er konnte sich nicht vom Fleck bewegen, verdammt. Er wusste nicht was los war und schlimmer noch, er wusste nicht was er tun sollte…
    Er konnte nicht hier sitzen bleiben bis morgen Früh.
    Er sah hektisch auf die Uhr. Es war bereits nach 21.00 Uhr. Das Pentagon war sicher inzwischen menschenleer.
    Ein Notruf?
    Nein, keine Option.
    Nur kein Aufsehen erregen. Das letzte was er wollte, war zum morgigen Tagesgespräch zu werden, also kam auch nicht in Frage, den Wachmann zu verständigen.

    Cassie!
    Er griff nach dem Telefon und mit hektischen Fingern tippte er ihre Nummer.
    Mit jedem Klingeln betete er, dass sie rangehen möge, doch nach dem fünften Klingeln hörte er nur ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter.
    Sie war sicher noch in der Klinik. Doch die Nummer ihres Piepsers war in seinem Handy gespeichert und das lag in seiner Aktentasche, und seine Aktentasche wiederum stand im Wandschrank.

    Meisterhaft, O’Neill, schalt er sich selbst. Er hatte es wieder mal geschafft, sich in eine unmögliche Situation zu bringen.
    Fieberhaft überlegte er, wen er anrufen sollte und scheiterte an seinen wenigen sozialen Kontakten hier in D.C.

    Davis! Doch obwohl er inzwischen recht viel Zeit mit dem Colonel verbrachte wusste er dessen Privatnummer nicht.
    Einer plötzlichen Eingebung folgend wählte er die Büronummer von Colonel Paul Davis und hoffte, sich in dem pflichtbewussten Mann nicht getäuscht zu haben. Und wahrhaftig, der Ruf wurde weitergeleitet auf Davis Handy…

    ***

    Colonel Paul Davis parkte seinen Wagen in vorderster Reihe und legte den Weg zum Eingang im Laufschritt zurück. Nach dem Anruf war er so schnell wie möglich hergekommen. Dennoch hatte er durch D.C.’s Innenstadt fast eine Stunde gebraucht. Er stürzte in die Halle, grüßte kurz die Wachhabenden, wartete erst gar nicht auf einen der Aufzüge, sondern nahm gleich die Treppe. Drei Stufen auf einmal nehmend hastete er durch das Treppenhaus nach unten in die richtige Etage. Er hatte keine Ahnung was los war, doch General O’Neills knappe Anweisungen ließen keinen Zweifel offen, dass es sich um einen Notfall handelte. Er war noch nicht lange zuhause gewesen, trug sogar noch seine Uniform und hätte der elende Verkehr ihn nicht aufgehalten, wäre er noch schneller hier gewesen.

    Etwas außer Atem erreichte er die Etage mit O’Neills Büro und mäßigte seine Schritte erst als er vor den Räumen des Generals stand.
    Völlige Stille herrschte, alles was er vernahm war sein eigener Atem. Die Gänge wurden nur von der Notbeleuchtung erhellt und die Atmosphäre trug nichts zu seiner Beruhigung bei.
    Er hatte mehr Aktivität erwartet, hektisches Treiben in den Nachbarbüros vielleicht, offen stehende Türen und laute Gespräche in O’Neills Büro, die auf einen entsprechenden Ernstfall schließen ließen. Doch nichts von alledem war anzutreffen.
    Entsprechend beunruhigt hob er die Hand und klopfte an die Tür.
    Nichts. Keine Antwort. Er klopfte noch einmal, erhielt aber auch diesmal keine Aufforderung einzutreten. Im ersten Moment glaubte er, jemand hatte sich einen Spaß mit ihm erlaubt. Doch die Stimme am Telefon gehörte eindeutig zu Jack O’Neill. Er würde sie unter Tausenden immer wieder erkennen. Und das fahle Licht das unter dem Türspalt hindurch drang bestätigte seine Vermutung, dass O’Neill da war. Dennoch, die Tatsache, dass der General nicht auf sein Klopfen reagierte, machte ihn nervös.

    Vorsichtig öffnete er die Tür, was zwar nicht höflich war, aber er hatte schon genügend Türen eintreten müssen, um nun auf falsche Höflichkeit Rücksicht zu nehmen. Er betrat das Büro und überzeugte sich mit einem schnellen, umfassenden Blick, dass soweit alles in Ordnung war.

    Jack O’Neill saß an seinem Schreibtisch. Sein Kopf ruhte auf seinen ineinander verschränkten Armen auf der Tischplatte. Er schien zu schlafen – eine Tatsache, die noch mehr Fragezeichen in Davis auslöste. Es war keine Seltenheit, dass O’Neill die Abende in seinem Büro verbrachte, aber schlafend hatte Davis ihn noch nie angetroffen, schon gar nicht nach einem solchen Anruf…

    Vorsichtig näherte er sich, blieb dann vor dem Schreibtisch stehen und räusperte sich vernehmlich. Er war unsicher was er tun sollte.

    „Sir“, versuchte er sich Gehör zu verschaffen. „General…“

    Er wagte nicht O’Neill zu berühren. Doch wenn er weiterhin keine Reaktion erhielt, musste er sich überlegen…

    „Jack!?“ Nur selten machte Davis von O’Neills Vornamen Gebrauch, wenn überhaupt dann nur in privatem Rahmen, doch dieser Moment bildete eine Ausnahme.

    „Davis“, brummte Jack und hob langsam den Kopf. „Wird auch Zeit…“

    Davis stand unwillkürlich stramm und versuchte seinen Vorgesetzten nicht allzu neugierig zu mustern.
    O’Neill sah müde aus, abgespannt, wie so oft in den letzten Tagen und Wochen.
    Was auch kein Wunder war. Davis wusste, dass Jack jede freie Stunde mit Cassandra Fraiser verbracht hatte und nebenbei zwölf Stunden Tage schob. Davis wusste auch, dass sich O’Neill gerne in die Arbeit flüchtete, was in den letzten Monaten oft genug der Fall gewesen war.

    „Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte, Sir. Darf ich fragen, was passiert ist, General?“, fragte Davis vorsichtig und fand wie selbstverständlich zum steifen Reglement zurück.

    O’Neill sah schrecklich aus. Wenn Davis es nicht besser wüsste, würde er sagen der General hatte geweint. Gerötete Augen sahen ihn aus einem aschgrauen Gesicht an.

    „Geht es Ihnen gut?“, fragte er überflüssigerweise.

    „Ich kann nicht aufstehen!“

    Davis glaubte sich verhört zu haben.

    „Sir?“

    „Sie haben schon richtig gehört, Davis. Ich kann nicht aufstehen. Hab es versucht, geht nicht.“, meinte O’Neill inzwischen hellwach und vermied es ihn direkt anzusehen.

    „Sir?“, fragte Davis wieder, völlig hilflos und nicht begreifend was hier vor sich ging. War O’Neill betrunken? Doch Jack wirkte völlig nüchtern und die Augen, die ihn nun allmählich ungeduldig und streng ansahen wirkten klar.

    „Verdammt, Paul. Hören Sie auf mit diesem SIR“, brüllte O’Neill auf einmal.
    „Irgendwas ist mit meinen Beinen…“, erklärte er dann beherrschter. „Würden sie bitte Dr. Fraiser anrufen? Ihre Nummer ist in meinem Handy gespeichert. Aktentasche. Wandschrank!“

    Davis Gedanken arbeiteten fieberhaft. Er zählte eins und eins zusammen und verstand plötzlich was O’Neill meinte. Er hätte es wissen müssen, kommen sehen müssen…

    „Aber, soll ich nicht lieber einen Krankenwagen…“, begann er vorsichtig.

    O’Neill schüttelte heftig den Kopf.

    „Dr. Fraiser, Davis. Keinen Krankenwagen!“, beharrte er stur.

    Davis wollte widersprechen, aber O’Neills Blick ließ ihn verstummen. Er war es gewohnt, Befehle zu befolgen ohne sie zu hinterfragen. Darüber hinaus kannte er Jack O’Neill inzwischen gut genug um zu ahnen, warum er kein öffentliches Aufsehen wollte. Also ging er ohne ein weiteres Wort zum Wandschrank und suchte in O’Neills Aktentasche nach dem Handy.

    ***

    „Erklär mir die Symptome, Jack“, forderte Cassandra Fraiser sachlich und erinnerte sich immer wieder an die Regel ihrer Mutter alle Emotionen auszublenden, erst recht wenn es um einen Patienten ging, den man persönlich gut kannte. Sie war neben Jack O’Neill in die Hocke gegangen und sah ihn ernst an.

    Sein Zustand gefiel ihr nicht. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, er hatte alle Farbe verloren und durch seine Augen huschten Schatten der Panik. Er wich ihrem Blick aus, klammerte sich an die Armlehnen seines Stuhls und meinte leise:

    „Stechende Schmerzen. Ich kann die Knie nicht durchdrücken und belasten. Kann nicht stehen, hab es versucht…“

    „Seit wann hast du Probleme mit den Knien?“

    „Seit ein paar Wochen“, gab Jack kleinlaut zu.

    „Seit ein paar Monaten“, entfuhr es Davis und erntete einen erstaunten Blick von Dr. Fraiser als auch einen ziemlich missbilligenden von O’Neill.

    „Ich arbeite hier und ich bin nicht blind!“

    Cassandra war keine Orthopädin, aber was sie hörte gefiel ihr nicht.

    „Colonel, helfen Sie mir den Stuhl herumzudrehen“, sagte sie kurz entschlossen, jede weitere Diskussion unterbindend und brachte Jack mit einem scharfen Blick zum Schweigen. Jetzt war keine Zeit für falschen Stolz und Rücksichtnahme auf sein Ego. Und das brachte sie deutlich zum Ausdruck. Er schwieg, während Davis an der Rückenlehne zog und den Stuhl zu ihr herum rollte. Jack versuchte dabei mitzuhelfen und Cassie sah den Schmerz, der bei jeder Bewegung seiner Beine durch sein Gesicht zuckte.
    Sie untersuchte ihn kurz, testete seine Reflexe und tastete die Muskeln ab bis sie dann schließlich versuchte ein Bein langsam in die Streckung zu bringen. Doch sie gab ihre Bemühung sofort auf, als Jack leise fluchte und ein Stöhnen unterdrückte.

    „Okay, das hat so keinen Sinn. Du musst in eine Klinik Jack, damit ich deine Beine eingehend untersuchen kann!“

    Jack schüttelte heftig den Kopf.

    „Keine Klinik. Ich will nach Hause.“

    „Jack“, widersprach Cassie. „Ich kann dir so nicht helfen. In der Klinik können wir röntgen und…“

    Er packte ihre Hände und hielt sie fest.

    „Cass“, sagte er eindringlich. „Ich werde dieses Büro nicht auf einer Trage verlassen, um mit einem Krankenwagen in irgendeine Klinik gefahren zu werden.“

    Seine Stimme war voller Nachdruck und Autorität – niemand hätte ihm in diesem Augenblick widersprochen außer vielleicht Janet Fraiser. Aber Janet war tot, und sie war nicht ihre Mutter. Sie kannte Jack als ihren guten Onkel, dem man vertraute und… ja, und gehorchte. In dieser Rolle hatte er sie durch ihre Kindheit und Jugend begleitet und sie verdankte ihm viel. Nicht nur finanzielle Unterstützung für ihr Studium. Sie sah von seinen Händen, die die ihren immer noch fest umklammert hielten, in seine Augen und sie bemerkte das hilflose Flehen darin. Er wusste, er war ihr ausgeliefert. Wenn sie auf einen Krankentransport bestand hatte er nichts weiter dagegenzusetzen als seinen Zorn. Doch sie wollte nicht seinen Willen brechen – nicht jetzt. Stattdessen hoffte sie, später an seine Vernunft appellieren zu können, denn die Klinik würde ihm nicht erspart bleiben, so viel stand fest.

    Sie hielt seinem Blick stand und sagte dann in Davis Richtung: „Colonel Davis, helfen sie mir ihn nach Hause zu schaffen, dann sehen wir weiter…“

    ***


    Paul Davis stand auf der großen Dachterrasse von O’Neills Appartement und wartete. Cassandra Fraiser war schon seit über einer halben Stunde bei ihrem Patienten und er hatte sich diskret zurückgezogen.

    Sein Verhältnis zu O’Neill hatte sich zwar in den letzten Jahren stark verbessert, dennoch wurde er das Gefühl nicht los, schon tief genug in Jacks Privatsphäre eingedrungen zu sein und beschloss daher, den Mann nicht all seiner Würde zu berauben. Der General war ein stolzer Mann, der es nur wenigen Menschen erlaubte ihn schwach zu sehen. Und Davis gehörte ganz bestimmt nicht zu diesem erlesenen Kreis. Auch wenn sie schon mal das ein oder andere Problem privater Natur nach Feierabend wälzten, so besaß ihre lockere Freundschaft doch noch lange nicht diese Tiefe. Paul seufzte.

    Gemeinsam mit Dr. Fraiser hatte er O’Neill zunächst zum Aufzug und dann in seinen Wagen geschafft. Es war ein mühsames Unterfangen gewesen. O’Neill hatte zwar soweit es ihm möglich war mitgeholfen, dennoch lag fast sein ganzes Gewicht auf Pauls Schultern. Während dieser ganzen Aktion war kein Wort gesprochen worden und Davis hatte es bewusst jeden Blickkontakt vermieden. Er machte sich Sorgen und mehr noch, er machte sich Vorwürfe. Seit Monaten schon war ihm aufgefallen, dass O’Neill immer schlechter ging und offensichtlich unter Schmerzen litt. Doch er hatte es unterlassen etwas zu sagen, wahrte heute noch brav die Distanz, die O’Neill zwischen ihnen aufrecht hielt.

    Dabei kamen sie inzwischen wirklich gut miteinander aus. Davis spürte, dass O’Neill ihm vertraute. Er sparte auch nicht mit Lob ihm gegenüber und Davis zählte sich zu den engsten Vertrauten in O’Neills Stab. Manchmal trafen sie sich nach Feierabend noch auf ein Bier oder liefen gemeinsam ihre Runden im Park. Durfte er es aufgrund dieser Dinge wagen, sich zu O’Neills Freunden zu zählen? Meist blieben die Gespräche zwischen ihnen oberflächlich, beschränkten sich auf Themen wie Sport, Politik und die Arbeit. Themen eben die Ablenkung vom sturen Alltag brachten, die einem eine entspannte Stunde bescherten aber die emotionale Seite des Lebens gründlich aussparten – meistens jedenfalls. Es kam nur selten vor, dass der Alkohol ihre Zungen lockerte und sie ein wenig ihre Hemmungen vergaßen. An solchen Abenden konnte ein Außenstehender sie durchaus für Freunde halten und in einem solchen ausgelassenen, unbeschwerten Moment hatte O’Neill ihm auch angeboten ihn beim Vornamen zu nennen.

    „Colonel“

    Davis fuhr herum und blickte zurück ins Wohnzimmer.

    Cassandra.

    Er hatte sie schon als Kind gekannt. Und die Tatsache, dass nun eine junge kompetente Ärztin vor ihm stand, machte ihm nur allzu deutlich, dass sie alle älter wurden.

    „Wie geht es ihm?“, fragte er leise und kam zu ihr.

    „Er möchte Sie sehen“, sagte Cassie sanft und lächelte ob der Überraschung die wohl in seinem Blick liegen musste.

    Jack O’Neill wollte ihn sehen? In einem schwachen Moment, in seinem Schlafzimmer?
    Der General lud ihn in das Heiligste seiner Privatsphäre und Paul wusste beim besten Willen nicht, was er davon halten sollte.
    Dennoch folgte er Cassie zögerlich, die ihn bis zur Tür brachte und die beiden Männer dann allein ließ.

    Es brannte nur eine kleine Nachttischlampe, doch die Straßenbeleuchtung spendete genügend Helligkeit um einen Eindruck von dem Zimmer zu erlangen. Die Möbel beschränkten sich auf Zweckmäßigkeit, waren aus verschiedenen Stilrichtungen zusammengewürfelt. Dennoch strahlte der Raum Gemütlichkeit aus und Wärme, nicht zuletzt durch die vielen gerahmten Fotografien, die auf diversen Kommoden und Regalen standen. Eine große bunte Patchworkdecke lag über dem Fußende des breiten Bettes auf dem O’Neill – gestützt von ein paar Kissen im Rücken - auf ihn wartete. Ba’al, der schwarze Kater des Generals, lag zusammengerollt neben ihm und schlief. Ein seltsames Bild, das plötzliche Bedrückung auslöste…

    Davis räusperte sich nervös und interessierte sich einen Moment sehr für seine Schuhspitzen, dann endlich wagte er O’Neill anzusehen und näher zu treten. Er konnte nicht sagen was er erwartet hatte, doch bestimmt nicht einen Jack O’Neill der mild lächelte.

    „Kommen Sie schon, Davis. Sie werden doch jetzt nicht peinlich berührt sein, oder!? An meinem Geburtstag haben Sie mir noch den Teppich im Wohnzimmer vollgekotzt. Das war Ihnen auch nicht peinlich!“

    Okay, das war ein Schlag. Aber O’Neill hatte Recht. Sie kannten sich lange genug, hatten gemeinsam gegen ihre Feinde gekämpft, die ein oder andere Debatte miteinander ausgefochten und waren oft genug konträrer Meinung gewesen, als dass Peinlichkeit Platz zwischen ihnen hätte. Also fasste er sich ein Herz, trat ein paar Schritte näher an das Bett heran und blieb dann unsicher stehen. Es war ihm unangenehm auf O’Neill herabblicken zu müssen, doch es gab keinen Stuhl auf den er sich hätte setzen können und die Bettkante kam nicht in Frage. Er entschied sich etwas ungelenk für eine steife aufrechte Haltung und fixierte statt O’Neills Gesicht einen imaginären Punkt an der Wand.

    „Okay, Davis, machen wir es kurz…“, begann O’Neill mit einem Hauch Belustigung in der Stimme, und Davis glaubte, dass dem General diese Situation nicht halb so unangenehm war wie ihm.
    „So wie es aussieht, werde ich für ein paar Tage in die Klinik müssen, nicht ins Militärkrankenhaus. Ich werde mich von Dr. Fraiser behandeln lassen. Sie müssen also all meine Termine absagen. Wenn jemand fragt, ich bin auf Reisen, Ort und Dauer unbekannt, Grund unterliegt der Geheimhaltung. Ich verlasse mich da auf ihre Diskretion, Davis!“

    Davis war irritiert und hatte Mühe diese Fülle von Anweisungen zu verarbeiten. Niemand im Pentagon sollte wissen was los war, schon klar, das hatte er verstanden. Aber…

    „Verstanden, Sir, aber… was sage ich dem SGC, wenn jemand nach Ihnen…“

    „Sie haben meine Anweisungen gehört, Davis“, unterbrach ihn O’Neill schroff.

    „Ja, aber gilt das auch für General Landry und Dr. Jackson?“

    „Keine Ausnahmen.“, bestätigte O’Neill und als Davis erneut widersprechen wollte, packte ihn O’Neill am Arm und zog ihn etwas zu sich herunter.

    Davis war ob der Stärke von O’Neills Griff überrascht. Überhaupt überrumpelte ihn die Tatsache dass Jack ihn berührte völlig. Okay, O’Neill hatte ihn einmal als er völlig betrunken war nach Hause und ins Bett geschafft, aber dies hier war etwas völlig anderes. Davis war nun gezwungen in Jacks Gesicht zu sehen und die dunklen Augen sahen ihn durchdringend an.

    „Das war kein Befehl, Paul, sondern eine Bitte!“

    Eine Bitte? Paul?
    General Jack O’Neill stellte eine Bitte an ihn und nannte ihn beim Vornamen?
    Ein Kloß bildete sich in Davis Kehle und er schluckte hart. War der Mann vor ihm wirklich so verzweifelt?

    „Keine Ahnung wie lange ich weg sein werde, keine Ahnung was sie mit mir vorhaben… Aber bis ich es weiß, gibt es keinen Grund irgendwen zu beunruhigen, Paul! Und noch etwas…“, fügte O’Neill etwas ruhiger hinzu und kraulte den Kater hinter den Ohren.

    „Sie werden Ba’al zu sich nehmen. Er hasst es alleine zu sein…“

    Davis nickte lahm. Er vermied es auf seine Katzenallergie zu verweisen, und erst nachdem er sein Versprechen gegeben hatte, lockerte sich der Griff um seinen Arm. Die Hand verschwand und Paul richtete sich erleichtert auf. Es waren keine Worte mehr nötig und O’Neill schien ihm auch nichts mehr zu sagen zu haben. Vielleicht erwartete er nun, dass Davis ging, doch er forderte ihn nicht dazu auf. Stattdessen schloss er die Augen und seufzte zufrieden. Und Paul blieb. Auch als Cassie Fraiser zurück ins Zimmer kam, sich zu O’Neill auf die Bettkante setzte und bestätigte, dass der Krankenwagen unterwegs sei, zog er sich lediglich ans Fenster zurück und wartete mit ihnen. Vielleicht war es anmaßend von ihm, aber er hoffte durch seine bloße Anwesenheit, die Unsicherheit die auf einmal spürbar in der Luft lag, etwas mildern zu können.

    ***

    Alles umsonst!

    Es war der erste und einzig bleibende Gedanke, den Jack O’Neill hegte seit er aus der Narkose erwacht war und er konnte nicht einmal sagen warum. Er litt Schmerzen und hegte das unbestimmbare Gefühl, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Dabei hatte er nach allem was er schon über sich ergehen lassen musste auf Besserung gehofft…

    Zwei Wochen dauerte inzwischen sein Martyrium: Tagelange Untersuchungen, Spritzen, Blutproben…
    Eine Kernspin-Tomographie und schließlich eine Gelenkspiegelung beider Knie hatten das Schädigungsausmaß seiner Knorpelstrukturen zum Vorschein gebracht. Nachdem Cassie ihm die Möglichkeiten erklärt hatte, entschieden sie sich für eine Knorpelzelltransplantation. Er verstand nicht wirklich genau was dabei passierte, schließlich war er kein Wissenschaftler, aber er kapierte zumindest so viel um zu wissen, dass sie ihm irgendwo gesunden Knorpel entnommen hatten, um im Labor Knorpelzellen zu züchten, die ihm dann in einer erneuten OP wieder eingesetzt worden waren. Eine Bioprothese hatte es dieser Starorthopäde genannt, der Cassies Chef war, und dabei ein ganz stolzes Gesicht gemacht.

    Tagelanges Warten war die Folge gewesen. Doch anscheinend schien der neue Knorpel nicht stabil genug gewesen zu sein, um die kranken Knorpelstrukturen genügend zu unterstützen, denn er hatte immer noch beträchtliche Bewegungs- und Belastungsdefizite. Also entschied man, es erneut zu versuchen – gestern...

    Die dritte OP innerhalb von zwei Wochen…

    Es war jetzt mitten in der Nacht. Er nickte zwar immer wieder ein, aber richtig schlafen konnte er nicht. Die Schmerzen ließen ihn keine Ruhe finden und nun war er drauf und dran sich mit der Nachtschwester anzulegen, weil die ihm keine Schmerzmittel mehr geben wollte.

    „Halten Sie durch. Morgen beginnen Sie mit der Physio, dann wird alles besser“, meinte sie wie beiläufig.

    „Ach, und woher wissen Sie das? Haben Sie etwa mitten in der Nacht mit einem Arzt gesprochen?“

    „Ich habe keine Zeit mit ihnen zu diskutieren, Mr. O’Neill. Geben Sie Ruhe und schlafen Sie, dann spüren Sie auch Ihre Schmerzen nicht.“, erwiderte die Nachtschwester nur lapidar und rauschte ohne weiter auf ihn einzugehen aus dem Zimmer.

    Toller Vorschlag! Er hasste diese Frau!
    Natürlich wusste er, dass sie nur ihren Job erledigte und außer ihm noch circa zwanzig andere Patienten ihre Aufmerksamkeit erforderten, aber Jack O’Neill war nun mal kein einfacher Patient, war es nie gewesen und würde es nie sein.
    Also versuchte er den Schmerz auszublenden, schaltete den Fernseher ein und schaffte es wirklich zwischen zwei Spielshows weg zu dösen.

    Am nächsten Morgen kam dann endlich die erhoffte Erlösung. Sie nahmen ihm die Verbände ab und lagerten seine Beine, indem sie ein großes Kissen unter seine Fersen schoben und zwei schwere Sandsäcke auf seine operierten Knie legten. Die Belastung kam so unvermittelt, die Streckung des Gelenks so brutal, dass er an die Decke ging vor Schmerzen. Er schrie auf, obwohl er das nicht wollte, fluchte und verlangte nach Cassie. Die Ärzte waren irritiert, ob der Heftigkeit seiner Reaktion.

    „Sie müssen jetzt die volle Streckung schaffen, sonst erreichen Sie sie gar nicht.“ Ende der Ansage.

    Jack sah in das blasierte Gesicht des jungen Arztes und fragte sich in diesem Moment wirklich, ob er die volle Streckung erreichen oder lieber für immer darauf verzichten wollte, solche Schmerzen empfand er.
    Und dann meinte Mister Wunderorthopäde noch zu ihm: „Lassen Sie sich nicht vom Schmerz bestimmen.“

    O’Neill blickte starr und mit zusammengebissenen Zähnen auf seine Beine. Wenn er die Kraft hätte, würde er diesem Klugscheißer gerne erst einmal einen Vortrag über Folter und Schmerzen halten. So ein oberschlauer Spruch fehlte ihm jetzt gerade noch.

    Gott sei Dank tauchte in dem Moment Cassie auf und unterband jeden Mordversuch seinerseits. Sie schlug vor, ihm ein starkes Schmerzmittel zu spritzen. Gesagt getan. Mister Wunderarzt spritzte ihm ein dickes rotes Ei auf seinen Bauch. Wirkliche Erleichterung brachte ihm das Mittel aber nicht.

    Jack konnte sich die massiven Schmerzen nicht erklären. Er musste schon größere Pein in seinem Leben ertragen, doch diesmal war der Schmerz kaum zu beherrschen. Also erinnerte er sich an alle erlernten Taktiken, biss auf die Zähne und hielt die Streckung durch. Schließlich war es sein größter Wunsch, die volle Streckung zu erreichen. Und dieser Wunsch war doch verdammt noch mal stärker als der Schmerz. Cassie lächelte ihm aufmunternd zu und hielt seine Hand. Sie lächelte auch noch, als ihre Finger ganz weiß wurden, weil er sie ihr fast zerquetschte.

    ***

    In den nächsten beiden Tagen sah soweit alles gut aus…

    Jack kämpfte sich durch die Physio, die Schmerzmittel betäubten die größten Qualen und mit Unterarmgehstützen machte er mit Hilfe von Cassie erste Gehversuche auf dem Flur. Doch die Kniescheibe war immer noch stark druckempfindlich und schmerzte. Selbst wenn er nur mit dem Finger leicht darüber strich, könnte er schon an die Decke gehen. Bei der Mobilisation der Gelenke schossen ihm regelmäßig die Tränen in die Augen. Daneben überkamen ihn ständig merkwürdige Krämpfe und Zuckungen am ganzen Körper, wofür auch Doktor Oberschlau keine Erklärung fand. Er kannte sich selbst nicht mehr.

    Dann kam der Tag, an dem sie die Drainagen zogen. Endlich ohne Schläuche – wie sehr hatte er diesen Tag herbeigesehnt, doch auf das was dann kam, war er nicht gefasst.

    Eigentlich hätte ihn schon die Tatsache, dass Cassie seine Schultern fest umklammert hielt stutzig machen müssen, doch er war viel zu naiv, um sich darüber Gedanken zu machen. Als aber dann die erste Drainage gezogen wurde, wusste er wieso! Nie würde er den Reflex vergessen, aufzuspringen und den Arzt zu töten. Es hielt nur für den Bruchteil von Sekunden an, aber der Schmerz war so vernichtend, dass er glaubte, noch nie etwas Schlimmeres empfunden zu haben. Er lehnte sich schwach und schwitzend an Cassie und war kaum noch er selbst.

    Verdammt er hatte Schlimmeres erlebt, tiefere Wunden davongetragen, mehr Blut verloren, größere Agonie ertragen.
    Was passierte mit ihm?
    War er mit den Jahren so weich geworden, dass er einfach nur weg wollte, raus aus diesem Zimmer?
    All seine Sinne waren auf Flucht programmiert und er sollte verflucht sein, noch einmal etwas derart Schmerzhaftes über sich ergehen zu lassen. Doch da war noch sein anderes Knie, und obwohl er beim Ziehen der zweiten Drainage wusste wie es sein würde, konnte er nicht verhindern, dass er schrie vor Schmerz – eine Tatsache, die nicht nur sein Ego verletzte, sondern dem Arzt ein mitleidiges Grinsen entlockte, welches ihm mehr zusetzte als seine offensichtliche Schwäche.

    Am nächsten Tag waren die Gelenke wieder stark angeschwollen. Die Wunden heilten nicht gut. Eine weitere Kernspin-Tomographie brachte dann das Unfassbare zutage. Der neu heran gezüchtete Knorpel hatte sich aufgelöst. Einfach so… als wäre er nie da gewesen. Die Ärzte standen vor einem Rätsel und zogen sich zur Beratung zurück.

    Jack wartete. Stunden, fast einen ganzen Tag. Erst gegen Abend setzte sich Cassie zu ihm ans Bett und meinte leise:

    „Ich habe mit Colonel Davis gesprochen. Wir glauben es ist besser, wenn wir dich ins Militärkrankenhaus verlegen. Man kann sich dort besser um dich kümmern, hat für deinen speziellen Fall bessere Möglichkeiten.“

    Er wusste, sie sprach von Geheimhaltung und „speziellen“ Forschungen, ahnte worauf sie anspielte, aber er wollte es nicht wahrhaben. Dennoch folgte er ihrem Rat unter der Bedingung, dass sie sich versetzen ließ und mit ihm kam und Colonel Davis organisierte innerhalb weniger Stunden seine Verlegung. Nun standen nicht nur die besten Ärzte seines Landes zu seiner Verfügung, sondern
    Dr. Fraiser war zu seiner persönlichen Leibärztin geworden.

    Fast wie in alten Zeiten…

    Die eingehenden Untersuchungen begannen also von vorn, welche ausführliche Gespräche über seine medizinische Vorgeschichte, aktuellen Symptome, sowie die Prüfung der Beweglichkeit und Röntgenaufnahmen seiner Gelenke umfassten. Er kam sich inzwischen vor wie ein Versuchskaninchen. Und obwohl sich Cassie und Paul Davis wirklich die größte Mühe gaben ihn bei Laune zu halten, verließ ihn bald die Geduld. Nach drei ihm endlos vorkommenden Tagen erschien dann Cassie wieder an seinem Bett. Ihr Gesichtsausdruck gefiel ihm nicht. Und er war wirklich nicht sicher, ob er hören wollte was sie ihm zu sagen hatte.

    „Komm schon, raus damit“, munterte er sie trotzdem auf und versuchte sogar ein schiefes Grinsen zustande zu bringen.

    Sie atmete tief durch und erklärte schließlich: „Unter Berücksichtigung aller Untersuchungsergebnisse sehen wir in einem einseitigen Gelenkersatz beider Knie die einzige Lösung.“

    Jack betrachtete seufzend seine Knie, die diese Bezeichnung allmählich nicht mehr verdienten, dicke Verbände versteckten Schwellungen und OP-Narben. Keine Ahnung, wieso Cassie sich für Fachchinesisch entschied. Er runzelte die Stirn.

    „In einer mehrstündigen OP werden wir dir sogenannte Schlittenprothesen einsetzen.“ Cassie erklärte ihm die mechanischen Vorgänge anschaulich anhand von Röntgenaufnahmen. „Diese Prothesen werden genau auf die noch vorhandenen, funktionstüchtigen Teile deiner Gelenke auf der danebenliegenden Seite, sowie auf die Kniescheibe und Bänder abgestimmt. Die dem Knochen zugewandte Oberfläche der Prothese ist aufgeraut, so dass nach deren Einpassung in deinen Knochen neugebildetes Knochengewebe in das Material hineinwachsen kann und so wird die Prothese verankert.“

    Soweit die Theorie… Jack wagte nicht, sich vorzustellen, ob die Praxis auch nur annähernd so aussah. Zwar versicherte ihm Cassie, dass alles gut verlaufen würde, doch genau wie früher Janet, konnte auch sie ihre Sorge nicht vor ihm verbergen.

    „Wir haben die OP für morgen Früh angesetzt.“, fuhr Cassie fort. „Und einige Stunden nach der OP darfst du schon zum ersten Mal aufstehen. Danach noch ein wenig Lauftraining und eine Reha und du bist wieder ganz der Alte.“

    Cassie lachte und versprühte Zuversicht. Er wollte ihr sehr gerne glauben.
    Endlich wieder auf eigenen Beinen stehen, laufen, sich bewegen – schmerzfrei. Das alles klang verheißungsvoll, denn er wusste wirklich allmählich nicht mehr wie er liegen sollte – doch andererseits hatte er auch Angst davor. Nicht vor der OP, nein, eher vor einer Niederlage. Er wollte nicht versagen, wollte laufen, seine Knie wieder benutzen können wie früher, doch eine Stimme in ihm sagte, dass es diesmal nicht so einfach werden würde, und er hoffte wirklich das Glück verließ ihn nicht ausgerechnet jetzt.

    ***

    „Jack!“

    Er war eingeschlafen… und hatte geträumt. Er erinnerte sich an wirre Bilder vom Inneren seines Körpers, an Symbole und Zeichen auf einer Scheibe, ähnlich denen auf dem Stargate, die er aber dennoch nicht zu deuten vermochte…

    Nur mühsam fand er in das Wach sein zurück, wehrte sich dagegen, denn wenn er wach war litt er unter Schmerzen und er wollte keine Schmerzen mehr haben…

    „Jack…“

    Diese Stimme…
    Sie war vertraut und hatte dennoch hier nichts zu suchen. Die Stimmen der Ärzte und Pfleger, ja. Sogar Paul Davis Stimme war inzwischen vertraut und akzeptiert in seiner Nähe, aber…

    „Daniel!?“

    Jack öffnete widerstrebend die Augen. Er hatte lange geschlafen, denn das Zimmer war nur noch in dämmriges Licht getaucht. Draußen ging die Maisonne unter und tauchte den Himmel in ein feuriges Orangerot. Er drehte etwas den Kopf und sah in das streng blickende Gesicht seines Freundes Daniel Jackson.

    „Hey“, sagte Daniel leise zur Begrüßung und verschränkte die Arme vor der Brust. Doch der strenge Gesichtsausdruck blieb und Jack wusste, Daniel wollte damit lediglich seine Sorge verbergen.

    „Davis hat geplappert, hm?“, stellte Jack leise fest und nahm sich fest vor sauer auf den Colonel zu sein. Doch in Wahrheit war er froh darüber Daniel zu sehen, so froh, dass sich ein breites Grinsen über sein Gesicht zog.

    „Wir haben uns Sorgen gemacht“, tadelte Daniel munter drauf los. „Seit Wochen wusste keiner wo du steckst. Kein Lebenszeichen von dir, keine Nachricht. Landry bekam immer nur zur Antwort, dein Aufenthaltsort sei derzeit unbekannt und du befändest dich auf einer streng geheimen Mission… Du kannst wirklich stolz auf Paul sein, Jack!“

    „Wohl nicht stolz genug“, konterte Jack und hievte sich mühsam in eine etwas aufrechtere Position „wie dein Hier sein deutlich macht…“

    Daniel lachte gequält.

    „Du hast echt Nerven, Jack. Was soll das? Wieso meinst du das hier ganz allein durchstehen zu müssen?“, redete sich Daniel in Rage. „Freundschaft ist keine Einbahnstrasse, schon vergessen?“

    „Ich wollte niemanden beunruhigen…“, gab Jack kleinlaut zu.

    „Beunruhigen?“

    Daniel war immer noch sauer und er schien vorzuhaben, Jack in seine Schranken zu verweisen, denn er baute sich regelrecht vor dem Bett auf, stützte die Hände in die Hüften und meinte hinter knirschenden Zähnen:

    „Du wolltest, dass niemand von uns deine Schwäche sieht, Jack. Aber damit ist jetzt Schluss, hörst du? Ich bin da, Cassie und Paul sind da, und ich soll dir von Hank und Vala ausrichten, dass sie verdammt noch mal auch da sind, ob es dir nun passt oder nicht.“

    Jack war für einen Moment völlig sprachlos. Schon lange hatte er Daniel nicht mehr so wütend erlebt und seltsamerweise wurde ihm bei dieser Wut regelrecht warm ums Herz. Sie hatten sich alle Sorgen gemacht – um ihn! Das war nicht gerade eine der schlechtesten Erfahrungen… Er lächelte und um die Situation ein wenig aufzulockern fragte er:

    „Äh… wenn du sagst, Hank und Vala sind da… ich meine, ich hab nichts gegen Hank, aber… du willst damit nicht etwa sagen, dass Vala vor der Tür…?“

    Er machte eine vage Handbewegung und verzog angewidert das Gesicht. Und damit war das Eis gebrochen. Daniel musste lachen und schüttelte den Kopf. Dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und meinte:

    „Nein… im Ernst, Jack. Du musst das nicht alleine schaffen, weißt du?“

    Ja, er wusste es. Und genau deshalb, hatte er Daniel da raushalten wollen… Er wollte nicht, dass sich irgendjemand Sorgen um ihn machte, wollte nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein. Es genügte schon, dass Cassie seine schwachen Momente erleben musste, selbst Paul Davis war ihm in den letzten Wochen näher gekommen, als er es jemals unter normalen Umständen erlaubt hätte.

    Doch es waren keine normalen Umstände… und er hatte Angst. Existenzielle Angst, die er so schon lange nicht mehr empfunden hatte. Irgendetwas stimmte nicht – er fühlte es. Irgendetwas raubte ihm seine Kraft, langsam aber stetig. Und wenn er das hier überstehen wollte, würde er alle Hilfe brauchen, die er kriegen konnte. Er sah Daniel in die Augen und fand dort die Bestätigung dafür, dass er nicht alleine war.

    „Ich warne dich, Daniel. Ich bin kein einfacher Patient. Cassie kann dir das bestätigen…“

    Daniel grinste.

    „Das muss sie nicht. Ich kenn dich, Jack. Schon vergessen…? Wir kriegen dich schon wieder auf die Beine!“, meinte er bestimmt und ignorierte dabei vehement den Anblick von Jacks Knien, aus denen nun wieder die verhassten Drainageschläuche ragten und links und rechts aus dem Bett hingen.

    Daniel Jackson konnte stur sein und wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann zog er das auch bedingungslos durch. Und so half er Jack durch die ersten Laufübungen, begleitete die speziellen Krankengymnastischen Übungen, ließ sich genaue Anleitungen erteilen, um die Physiotherapie auch in den ersten Tagen in denen Jack zuhause war mit ihm fortsetzen zu können. Cassie ließ sich beurlauben um Jack in die fünfwöchige Reha begleiten zu können, ließ geduldig Jacks Ungeduld und regelmäßige Wutausbrüche über sich ergehen und setzte auch nach der Reha das Training mit ihm fort, unterstützte damit maßgeblich die schnelle Wiedererlangung von Jacks Mobilität.

    Und so konnte O’Neill schon wenige Monate nach der OP seine normalen Aktivitäten wie leichte Bürotätigkeit, Autofahren, Spazierengehen usw. wieder aufnehmen und alle Beteiligten fanden allmählich zu einem geregelten Alltag zurück. Cassie überließ es Paul Davis dafür Sorge zu tragen, dass Jack die ärztlichen und krankengymnastischen Vorschriften auch während der Dienstzeit einhielt und darauf zu achten welche Belastung der Kniegelenke zu welchem Zeitpunkt erfolgen durfte und in welcher Form bestimmte Bewegungen auszuführen waren. Und Jack arbeitete unter Murren und Knurren bereitwillig mit, unterwarf sich den Anweisungen und nahm zum ersten Mal in seinem Leben Befehle eines Colonels entgegen.

    Alles schien gut, bis auf die Tatsache, dass Jack beim Gehen immer noch Schmerzen hatte. Doch er hielt sie aus, redete nicht darüber und freute sich stattdessen bereits auf seinen Urlaub mit Daniel. Sie wollten die Reise vorziehen, da Daniel noch immer intensiv seine Forschungen über das Leben der Minoer betrieb und eine Erlaubnis erwirkt hatte, auf der Insel Santorin die antike Stadt Akrotiri zu besuchen.

    Jack sehnte sich nach Sonne und Meer und er sehnte sich nach Griechenland und so erhielt er nach endlosen Diskussionen von Cassie die Erlaubnis, Daniel zu begleiten.

    Fernweh und Tatendrang brannten in O’Neill und er erklärte sich damit das dumpfe Schlagen einer Trommel, welches erneut in seinem Geist den Takt vorgab der ihn durch seine Tage und Nächte trieb…


    TBC


  5. #5
    Senior Airman
    Registriert seit
    25.12.2009
    Beiträge
    33

    Standard

    +

  6. #6
    Turbo-Denker/Seher alias Beamter Avatar von Dakimani
    Registriert seit
    07.09.2007
    Ort
    Steiermark
    Beiträge
    633

    Standard

    Hy Grafield!

    Tolle Story!!!
    Ba´al der Kater....fand ich genailst
    Ja man sieht, jack wird nicht und nicht jünger....mal eine frage, wo hast du den die ganzen fachausdrücke der Ärzte her?

    Oh Griechenland, es ist echt genial, dass die Amys nach Griechenland kommen und ihr geld da lassen und urlaub machen

    bin ja gespannt, was dieses ding eigentlich mit Jack angestellt hat, und ob Dani-Boy mal endlich was nützliches in Griechenland findet

    lg

  7. #7
    Lieutenant General Avatar von Antares
    Registriert seit
    16.09.2007
    Beiträge
    4.809
    Blog-Einträge
    1

    Standard

    Ach der arme Jack, jetzt hast du ihn in diesem Kapitel aber doch ganz schön gebeutelt.

    Ich hoffe jetzt nur sehr, dass ihm die warme Sonne Griechenlands gut tun wird - und dass Daniel ihn nicht durch allzu viele Ausgrabungen schleppt.

    Dann bin ich ja mal gespannt, was es mir diesem minoischen Artefakt auf sich hat.

    (Ist das die Scheibe, die noch niemand entziffert hat bisher?)

  8. #8
    Senior Airman
    Registriert seit
    25.12.2009
    Beiträge
    33

    Standard

    @ Dakimani: mit den Fachausdrücken mußte ich mich leider auseinandersetzen, als mein Mann Probleme mit den Knien bekam. Dazu noch ein wenig Recherche und eigene leidvolle Erfahrungen, die Männe durchmachen mußte... et voila .

    Ich liebe Griechenland. Und während unseres letzten Urlaubs auf Kreta und einem kleinen Abstecher nach Santorin, kam mir die Idee zu dieser FF.

    @ Antares: ja, ich habe Jack gequält. Aber wie gesagt, dieses Kapitel war wichtig für den weiteren Storybogen, der wie Du wohl sicher schon ahnst viel mit diesem minoischen Artefakt auf sich hat. Der Diskos von Festos steht im archäologischen Museum in Heraklion. Ich fand diese Scheibe und die Geschichte dazu so faszinierend, dass ich damals sofort dachte, wenn einer den Sinn dieser Inschrift entziffert, dann ist das Daniel .

    Und hier das 3. Kapitel...

    ************************************************** ********

    3. Kapitel: Kallisti – Die Schöne


    Für Jack O’Neill war Santorin eine der schönsten Inseln des Mittelmeers. Er war überwältigt von der Caldera, die mit ihren hunderten von Metern steil aus dem Meer emporragenden Felswänden beeindruckte. Und die einzigartige Architektur, die Farben und das Licht nahmen ihn sofort gefangen.
    Santorin wurde im Altertum schon Kallisti genannt, die "allerschönste". Danach trug sie den Namen Thera und schließlich - seit der Zeit der Kreuzfahrer - Santorin.

    Sie hatten sich in Fira, dem Hauptort der Insel, eingemietet, der für Jack zweifelsfrei einer der bezauberndsten Orte Griechenlands war.
    Der Anblick der sich ihm bei ihrer Ankunft bot war schlichtweg atemberaubend.
    Ein Meer von schneeweißen, ineinander verschlungenen Häusern stand im scharfen Kontrast zu dem bizarren, steil abfallenden rotschwarzen Kraterrand.

    Der untere Teil Firas, der direkt am Kraterrand lag, war ein Gewirr von steilen Gässchen und Stufen, in das sich nur wenige Touristen verirrten. Das Appartement, in dem er mit Daniel wohnte, lag im ruhigen Herzen dieses Viertels. Von ihrer Terrasse aus hatten sie die Möglichkeit eines der wohl malerischsten Panoramen der Welt zu genießen.

    Jack lag entspannt auf einer Liege und sah von oben auf das Meer, den Vulkan, die umliegenden Inseln, sowie den idyllischen, kleinen Hafen. Von hier oben konnte er die Kreuzfahrtschiffe, die vor Santorin ankerten, die Serpentinentreppe, auf der sich unzählige Eselchen den Weg zum Dorf hinauf kämpften und die Seilbahn aus angenehmer Entfernung gut einsehen. Und er konnte das Blau genießen. Ein Blau, das auf dieser Welt wohl einmalig war. Die Intensität, die Wärme und Leuchtkraft der Farben bildeten die Magie mit der diese Insel bezauberte und die die menschliche Seele – so sagten zumindest die Einheimischen – in die Welt der Götter erhob.

    Er lächelte bei diesem Gedanken, war er doch wahrhaftig kein Träumer und besonders romantisch veranlagt war er auch nicht… Aber dieses Blau traf einen Nerv in ihm, es öffnete ihm das Herz und er fühlte sich seit langer Zeit geborgen und glücklich. Es war fast so, als sei er nach einer langen Suche endlich angekommen – daheim.

    Vergessen waren die Mühen und Schmerzen der vergangenen Wochen. Die letzte OP lag nun bereits über drei Monate zurück, und er konnte inzwischen wieder ohne Krücken gehen. Er absolvierte täglich sein Training und sichtbar zurückgeblieben waren nur die immer noch dicken roten Narben auf seinen Knien. Er war um Normalität bemüht, deswegen erzählte er auch niemandem von den Schmerzen, die er immer noch beim Gehen hatte und von den Träumen, die ihn fast jede Nacht plagten. In D.C. hatte er regelrechte Alpträume gehabt… hier bekamen die Bilder eine andere Qualität, waren weniger vernichtend, wenn auch immer noch bedrohlich. Und seine Träume bestätigten seine Vermutung, dass etwas mit ihm passierte, dass er nicht kontrollieren konnte. Es veränderte sich etwas in ihm, leise, schleichend und heimtückisch…

    …noch konnte er nicht sagen, was es war. Schon allein deshalb behielt er seine vagen Vermutungen für sich. Tatsache jedoch war, dass die Rastlosigkeit, die er noch in D.C. empfunden hatte mit seiner Ankunft auf Santorin von ihm abgefallen war. Nichts schien mehr geblieben, von der bohrenden Sehnsucht, der Hast und dem inneren Drängen zu gehen – irgendwohin…

    Etwas in ihm war hier zuhause. Anders konnte er es nicht umschreiben. Natürlich mochte das an den entspannten Tagen liegen, an der Sonne, der Wärme und der Magie der Kykladen…

    Die Inselgruppe in der südlichen Ägäis war nun mal ein besonderer Ort. Er hatte von Daniel gelernt, dass sich hier vor rund viertausend Jahren eine der schlimmsten Vulkankatastrophen ereignete, die die Menschheit bis dato erlebt hatte. Daniel nannte den Ausbruch „Minoische Eruption“, die mit ihrer Naturgewalt eine reich besiedelte blühende Insel zerstört hatte. Noch heute konnte man mit bloßem Auge einige Auswirkungen dieses Ausbruchs erkennen. Denn auch die Gestalt der Insel war durch den Ausbruch verändert worden. Einst hatte diese die Form eines fast geschlossenen Rings, heute waren davon nur noch drei kleine Landflecken übrig geblieben.

    Er erinnerte sich an das Bild, das ihm die Insel aus der Luft bot. Die runde Form des ehemaligen Vulkankegels war deutlich zu erkennen gewesen. Die Sichelförmige Gestalt der Hauptinsel bildete mit ihren gegenüber liegenden kleinen Inseln ein Halbrund das die ehemalige Ringform erahnen ließ. Seltsam vertraut wirkten diese Bilder auf ihn, obwohl er noch nie hier gewesen war. Und dann wurde ihm plötzlich bewusst, dass er genau diese Form in seinen Träumen gesehen hatte. Verwaschene Bilder des Stargates wechselten mit denen einer Ringförmigen Insel, Schriftzeichen, Formen und Fresken… Zunächst hatte er geglaubt, er träumte lediglich von Kreta und von dem was er dort erlebt und gesehen hatte, vor allem von seinem Erlebnis mit dem Diskos von Festos, doch bald schon gesellten sich Traumbilder hinzu, für die er keine Erklärung fand: ein Meer das in Flammen stand, Ascheregen, der dunkel und schwer auf flüchtende Menschen hernieder fiel, glühende Lavaströme, die alles mit sich ins Verderben nahmen, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte. Und er träumte immer wieder von Dunkelheit, die erfüllt war von Stimmen, die in einer fremden Sprache zu ihm drangen. Und in jedem dieser Träume, versuchte er zuzuhören, zu verstehen, zu helfen, zu heilen…

    Jack schüttelte bei diesen Erinnerungen den Kopf. Vielleicht wurde er allmählich senil, oder schlichtweg wahnsinnig. Keine Ahnung, was die vielen Medikamente und Betäubungsmittel mit ihm anstellten… Er sollte wirklich aufhören, darüber nachzugrübeln und stattdessen etwas Sinnvolles tun. Nur widerwillig erhob er sich von seiner Liege und ging in das Lichtdurchflutete Wohnzimmer zurück. Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und ehe er richtig darüber nachdachte, begann er in Daniels Sachen zu wühlen, bis er gefunden hatte wonach er suchte. Er zog das Buch aus Daniels Rucksack und betrachtete den Titel:

    „Santorin - Mittelpunkt der Atlantislegende?“

    Langsam schlurfte Jack auf die Terrasse zurück und machte es sich mit dem Buch wieder auf der Liege bequem. Er begann zu lesen und lernte dass der Ausbruch nicht nur die Insel zerstört hatte, sondern schwerwiegende Folgen für den gesamten östlichen Mittelmeerraum mit sich brachte. Flutwellen, Erdbeben, Ascheregen, Klimaschwankungen, führten zu Missernten, zerstörten Handelsbeziehungen, beschworen politische Umbrüche herauf. Der Minoische Ausbruch machte Geschichte und grub sich tief in das Gedächtnis des Abendlandes ein.

    Nach Stunden ließ Jack nachdenklich das Buch sinken und starrte in die inzwischen untergehende Sonne, die die vor gelagerten Inseln und das Meer in glühendes Rot tauchte. Das Wasser sah aus als ob es brannte…

    „Das sieht man gern… Ich sitze den ganzen Tag über der Arbeit und du lässt es dir gut gehen!“

    Erschrocken fuhr Jack zusammen. Er war wirklich weit weg gewesen mit seinen Gedanken und er ärgerte sich ein wenig, dass seine Reflexe mit der Zeit so nachgelassen hatten. Früher hätte Daniel ihn nicht überraschen können. Schon das Öffnen der Tür hätte ihn in Alarmbereitschaft versetzt, doch heute hatte er nicht einmal bemerkt, dass Daniel Jackson zurückgekommen war, geschweige denn dass er bereits geduscht und in der Küche gewesen war. Die letzten beiden Erkenntnisse offenbarten ihm Daniels noch immer nasses Haar, die legere Kleidung und nicht zuletzt die beiden Gläser Rotwein, von dem sein Freund ihm nun eines reichte.

    „Keiner zwingt dich den ganzen Tag im Museum herumzusitzen…“, gab Jack provokativ zurück und nahm mit einem schiefen Grinsen das Glas entgegen. Ihm entging dabei nicht, dass Daniels Blick auf dem Buch auf Jacks Schoß hängen blieb.

    „Bist du krank?“, fragte Daniel frech und ließ sich auf der zweiten Liege nieder.

    „Was meinst du?“

    „Naja, seit wann liest du freiwillig archäologische Literatur?“

    Jack zuckte die Achseln, prostete Daniel zu, murmelte „Yamaz“ und nahm einen Schluck von dem tiefdunklen Rotwein. Eigentlich war er Biertrinker. Aber im Laufe der Zeit hatte er den griechischen Wein schätzen gelernt… und fürchten…
    Sie tranken und schwiegen, doch Jack entging dabei nicht, dass Daniel ihn forschend musterte.

    „Also?“, versuchte es Daniel nach einer Weile erneut.

    Jack kämpfte mit sich. Wie weit konnte er gehen, um für Daniel nicht komplett irre zu erscheinen? Doch er musste ein paar Details wissen, die nur Daniel ihm unter den gegebenen Umständen erklären konnte… Also nahm er sich ein Herz, selbst auf die Gefahr hin Daniel damit zu beunruhigen und fragte geradeheraus:

    „Was hat Santorin mit Atlantis zu tun?“

    Daniel schien zu ahnen, dass dies seine Frage sein würde. Zumindest war er nicht allzu überrascht, denn er begann bereitwillig zu erklären:

    „Es scheint wahrscheinlich, dass die Minoische Eruption die Geburtsstunde des Mythos von Atlantis auf der Erde ist. Plato beschreibt Atlantis immer als reiches Land, das durch den Zorn der Götter über den Hochmut seiner Bewohner schließlich ins Meer versenkt wurde. Bemerkenswert ist dabei die Beschreibung, dass sich dieser Untergang an einem einzigen Tag und in einer einzigen Nacht abgespielt haben soll. Wissenschaftlich ist das nur durch eine Naturkatastrophe möglich. Platons Berichte geben darüber hinaus zahlreiche Hinweise, die zu Santorin und dem Minoischen Vulkanausbruch passen.“

    „Bist du deshalb der Meinung dass die alten Minoer Antiker waren?“, wollte Jack wissen.

    Daniel nickte.

    „Auch, ja… aber eigentlich darauf gebracht haben mich die archäologischen Funde, die hier immer wieder gemacht werden. Sie geben Hinweise auf eine hochentwickelte Kultur, die hier lange vor dem großen Ausbruch gelebt hat. In der Nähe von Akrotiri hat man Teile einer großen Stadt ausgegraben, die man heute das zweite Pompeji nennt. Doch im Gegensatz zu Pompeji hat man in Akrotiri keine menschlichen Überreste gefunden, was darauf schließen lässt, dass die Bewohner der Stadt gewarnt waren und vor der Katastrophe flüchten konnten. Ich glaube diese Menschen könnten Antiker gewesen sein. Wenn es in der Antarktis einen Außenposten gab, warum nicht auch im Mittelmeer?“

    „Keine Ahnung, sag du es mir?“, meinte Jack und nippte an seinem Wein.

    Daniel bedachte ihn mit einem kritischen Blick. Er schien sich zu fragen, warum Jack auf einmal so scharf auf Geschichtsunterricht war, entschied wohl jedoch noch zu warten und teilte stattdessen seine Erkenntnisse:

    „Atlantis war laut Platon reich an Rohstoffen aller Art, das war Santorin auch. Insbesondere Gold und Silber kamen von hier und es wird von Oreichalkos berichtet, einem angeblich feurig schimmernden Metall. Klingelt da was bei dir?“

    „Sollte es?“

    Daniel lächelte gutmütig und fuhr fort:

    „Dieses Oreichalkos soll das Material gewesen sein, das die Bewohner von Atlantis nach dem Gold am meisten verwandten. Allerdings gab Platon nicht genauer an, welcher Stoff damit gemeint ist und woher er stammt. Die Archäologen vermuten, dass es sich hier um Messing handelt, eine Legierung aus Kupfer und Zink, die in der Antike eher selten war und daher von Platon den Atlantiden zugeschrieben wird. Messing scheint sich vom Aussehen her mit Platons Beschreibung zu decken. Gegen Messing spricht allerdings, dass es kein abbaubares Erz, sondern eine Legierung ist und eigentlich erst in römischer Zeit breitere Verwendung fand. Fakt ist, dass jede Atlantis-Theorie ihre eigene Bedeutung des Oreichalkos bereithält. Man schreibt dem Stoff übernatürliche Kräfte zu. Es finden sich phantasievolle Bezeichnungen wie Elfengold dafür und auch hier werden gerne Verbindungen zu Atlantis gezogen, all dies ist jedoch sehr spekulativ und verworren und hält wissenschaftlicher Überprüfung nicht stand. In der Regel gilt heute Oreichalkos als seltenes Mineral haltiges Metall.“

    Daniel brach ab und sah Jack bedeutungsschwer an.

    „Du denkst an Naquadah“, stellte Jack leise fest und die Anspannung in ihm wuchs. Sein Herz begann schneller zu schlagen und eine Welle Adrenalin rauschte durch seine Adern.

    Daniel nickte.

    „Wenn es mir gelingt hier auf dieser Insel Naquadah zu finden, hätte ich einen Beweis für meine Theorie…“

    Daniel brach ab. Er wartete, forschte in Jacks Gesicht und O’Neill war nicht in der Lage seinen Augen auszuweichen. Er wollte es auch nicht. Im Gegenteil, er hielt Daniels Blick fest, hielt ihm stand mit allem was er noch an Selbstsicherheit aufbringen konnte.

    „Diese Stadt“, flüsterte er eine ganze Weile später. „Akrotiri… bring mich dahin…“

    Daniel stutzte, suchte in Jacks Augen nach einer Antwort.

    „Wieso, Jack?“

    Jack löste sich von Daniels Augen, nahm einen Schluck Wein und starrte auf das brennende Meer hinaus, in dem die Sonne als glutroter Ball allmählich versank.

    „Ich weiß es nicht… noch nicht!“

    ***

    Spyridon Marinatos, ein griechischer Archäologe, stellte als erster die These auf, dass der auf Kreta gefundene Bimsstein von einem Ausbruch des Vulkans auf Santorin stammen könnte und die Minoische Kultur durch Flutwellen als Folge dieser Eruption ausgelöscht wurde. Er sah in dieser Katastrophe den Kern der Legende von Atlantis. Beinahe dreißig Jahre später, erfolgte der erste Spatenstich an der heutigen Ausgrabungsstelle. Bereits die erste Grabungskampagne brachte spektakuläre Ergebnisse zutage. Marinatos und sein Team fanden eine Stadt aus der Bronzezeit, die der Minoischen Kultur nach kretischen Vorbildern nahe stand, doch auch sehr eigenwillige Merkmale aufwies. Durch einen Vulkanausbruch war die Stadt mit einem Schlag aus dem Leben gerissen worden und von den Schichten aus Bimsstein und Vulkanasche so gut konserviert worden wie sonst nur Pompeji und Herculaneum in Italien. Man nannte die Ausgrabung Akrotiri nach dem gleichnamigen Dorf, das oberhalb der archäologischen Stätte am Hang lag.

    Jack O’Neill folgte dem Rundweg, der von Süden am größten Gebäudekomplex entlang zum Hauptplatz und auf der längsten bisher freigelegten Straße über zwei kleine Plätze wieder aus der Ausgrabung heraus führte. Dabei offenbarten sich ihm Einblicke in Souterrain- und Erdgeschossräume der Häuser und er konnte die Architektur eines Treppenhauses und verschiedener Eingangsbereiche aus der Nähe betrachten.

    Jack sah Details der Konstruktion von Wänden wie die Anordnung von tragenden Balken und der Fassadengestaltung. Die Straße stieg von Süden mit dem Gelände in nördlicher Richtung den leichten Hang aufwärts. Bei einer durchschnittlichen Breite von zwei Metern erweiterte sie sich mehrmals zu Plätzen unterschiedlicher Größe. Werkstätten in den angrenzenden Häusern ließen vermuten, dass auf diesen Plätzen Handwerker bei gutem Wetter im Freien gearbeitet hatten. Die Plätze waren die einzigen offenen Flächen der Stadt; es gab keine Höfe oder Gärten. Jack folgte mit gemäßigten Schritten dem Verlauf der Straße. Die Hitze staute sich zwischen Staub und alten Steinen, und der leichte Anstieg ließ seine Kniegelenke protestieren. Doch er war gefangen von der Aura des Geheimnisvollen die ihn an diesem Ort umgab, dass er weder die Schmerzen noch die Hitze richtig wahrnahm. Er blieb einen Moment stehen und sah sich um.

    Nach über vierzig Jahren kontinuierlicher Grabung waren nur knapp zwei Hektar der wesentlich größeren Stadtfläche freigelegt. Ein Rundweg durch die gesicherten Teile der Stadt erlaubte eine Besichtigung, während am Rand des Geländes die Arbeiten weiterliefen. Dort hatte er Daniel zurückgelassen, der sich mit ein paar einheimischen Archäologen über die Ausgrabung unterhielt und ihnen sicher inzwischen zur Hand ging. Er war versessen darauf ein Stück Naquadah auszugraben und Jack ahnte, dass er nicht eher Ruhe geben würde bis er etwas gefunden hatte. Nur gut, dass sich Daniel nicht der Sonne aussetzte.

    Das Grabungsgelände war bereits kurz nach seiner Entdeckung mit einem Wellblechdach auf Stahlträgern überdacht worden, um die freigelegten Gebäude und anderen Funde vor Wetter und intensiver Sonneneinstrahlung zu schützen. In den späteren Jahren wurde die Überdachung durch eine neue Konstruktion ersetzt. Als es aber zu einem Unfall kam, bei dem ein Teil der neuen Überdachung einstürzte und einen Touristen tötete sowie sechs weitere Personen schwer verletzte, blieb die Ausgrabungsstätte für Touristen geschlossen. Jack fand nichts Schlimmes darin. Die bislang ausgegrabenen Teile erlaubten noch keine Beurteilung der Größe der Stadt und ihrer Einwohnerzahl. Vieles war noch unter Schutt und Asche begraben. Sicher war nur, dass es sich bei Akrotiri um weit mehr als nur dörfliche Strukturen handelte. Daniel meinte, die Einwohnerzahl ließ sich bei konservativen Annahmen auf ca. 2000 Einwohner schätzen, bei großzügigen Annahmen sogar auf bis zu etwa 9000 Einwohner. Anders als in Pompeji waren in den Asche- und Bimssteinschichten von Akrotiri keine menschlichen Überreste gefunden worden. Es gab in den Häusern keinen Schmuck und nur wenige aufwändig gefertigte Werkzeuge. Daniel hatte ihm erklärt, dass all dies darauf hindeutete, dass die Bewohner vor dem Vulkanausbruch noch Zeit hatten, ihre Wertsachen zusammenzusuchen und zu fliehen…

    Jack blieb am Westhaus stehen und sah sich um. Durch die lichtdurchlässigen Kunststoffdächer entstand ein diffus gelbliches Licht, das eine unwirkliche fast mystische Atmosphäre verströmte. Er lauschte – weniger auf die Geräusche seiner Umgebung – als auf das Rauschen des Blutes in seinen Adern, auf seinen etwas angestrengten Atem, den pochenden Schmerz in seinen Beinen. All das schwang in einem seltsamen Gleichklang mit dem Takt des Hämmerns und Klopfens der Archäologen. Die Welt um ihn herum versank in diesem Rhythmus, und er fühlte wie er hineingezogen wurde in einen Sog der Erinnerung an eine Geschichte, die nicht die seine war und doch seltsam vertraut und durchlebt wirkte. Die Warnung vor der Eruption des Vulkans geschah offenbar durch ein Erdbeben. Seine Spuren zeigten sich selbst Jacks ungeschultem Auge an Treppenstufen aus behauenem Stein, die alle mittig gebrochen waren, sowie in beschädigten Wänden der Gebäude.

    Nach dem Erdbeben waren wohl einige der geflüchteten Bewohner zurückgekehrt. Sie legten die Straßen wieder frei, rissen beschädigte Mauern ein und sortierten wieder verwendbares Baumaterial. Jack stellte sich vor, wie sie Möbelstücke und ihr Hab und Gut bargen und zum Abtransport bereitstellten. Die Stadt wurde planmäßig evakuiert. Vor dem Eingang der Mühle, stand noch immer die Bank, auf der wohl der Müller saß, ebenso wie der Bottich, in dem er das Mehl mischte, an seinem ursprünglichen Platz – fest und unverrückt. Doch zur Flucht kam es nicht mehr…

    Dunkles Grollen musste den Untergang der Stadt angekündigt haben. Dann begann der wohl schlimmste Alptraum, den man sich vorstellen konnte. Die Minoische Eruption begann mit dem Ausstoß von leichten Pyroklastika aus einem Vulkanschlot, der fast genau mittig im Inselrund lag. Der Ausbruch dauerte nur kurz, die Menge des ausgestoßenen lockeren Materials war gering, so dass die Bergungsteams sich in Sicherheit bringen konnten. Doch es war eine Flucht gegen die Zeit und die Naturgewalten. Giftige, gelbe Gaswolken nahmen ihnen die Luft zum Atmen und die einsetzenden Flutwellen wischten sie aus der Geschichte dieses Planeten. Dunkelheit wogte heran, schwarze Aschewolken und Regen verbargen die Sonne und brachten Verzweiflung, Kälte und Tod…

    Jack stockte der Atem, er schnappte unwillkürlich nach Luft und riss weit die Augen auf, als der Boden plötzlich unter seinen Füßen bebte. Noch eben dachte er sich das ferne Grollen nur eingebildet zu haben, doch es war real, wurde deutlich lauter und hob die Welt aus ihren Angeln. Erst jetzt bemerkte Jack, dass er beide Hände fest auf eine Wand presste. Und noch während er Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten, musste er mit ansehen, wie sich ein Teil der Überdachung unter der Daniel mit den Archäologen arbeitete aus der Verankerung löste, krachend in sich zusammenstürzte und alles was sich darunter befand unter Stahl und Wellblech begrub.

    „Daniel…“

    Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Krächzen. Wie in Zeitlupe setzte er sich in Bewegung nur um kurz darauf los zu sprinten und zur Unglückstelle zu laufen.

    „D A N I E L!“

    Jetzt schrie er den Namen so laut er konnte. Immer wieder rief er nach seinem Freund, auch als er die zusammengestürzte Überdachung längst erreicht hatte und hektisch damit begann, Bauteile hochzuheben und aus dem Weg zu hieven. Panik kroch seinen Nacken hinauf und verlieh ihm Kraft und Ausdauer. Inzwischen waren von anderen Teilen der Ausgrabung weitere Helfer herübergekommen und taten es Jack gleich, suchten in den Trümmern nach verletzten Kollegen. Und endlich, nach ihm endlos vorkommenden Minuten, sah Jack unter einem Gerüst Daniels rotes T-Shirt blitzen.

    „Daniel…“

    Er stürzte zu der Stelle und begann hektisch die Gerüstteile zu entfernen, mahnte sich selbst zur Vorsicht, um den Verschütteten nicht noch mehr in Gefahr zu bringen und hatte es nach weiteren kräftezehrenden Augenblicken geschafft, Daniel völlig von Wellblechteilen, Stangen und Steinen zu befreien. Atemlos sank er neben ihm auf den Boden und suchte Daniel nach Verletzungen ab. Er war bewusstlos, Staub und Dreck bedeckten seinen Körper, doch er atmete. Deutlich hob und senkte sich Daniels Brustkorb unter Jacks Händen, die hastig Rippen und Wirbelsäule abtasteten. Jacks Blick blieb auf Daniels Gesicht geheftet, er ignorierte vehement das spitze Metallstück, das aus Daniels Oberschenkel ragte und eine stark blutende Wunde verursachte, und tätschelte stattdessen Daniels Wange.

    „Daniel…“, versuchte er es laut und mit einem deutlichen Befehlston. „Komm schon mein Junge. Nicht schlapp machen…. Das kannst du mir nicht antun. Los, aufwachen!“

    Daniel antwortete mit einem leisen Stöhnen, öffnete langsam die Augen und drehte den Kopf.
    Als er realisierte was passiert war, wollte er sich hastig aufrichten, doch Jacks Hand drückte ihn auf den Boden zurück.

    „Sachte… Ganz langsam…“, beruhigte er seinen noch immer etwas benommenen Freund.
    „Bist du okay, ich meine, hast du irgendwo Schmerzen? Kopf, Nacken, Rücken?“

    Jack wollte sicher gehen, dass sich Daniel nicht einen Wirbel verletzt hatte, bevor er ihm erlaubte sich zu bewegen. Und erst als Daniel kopfschüttelnd verneinte, half er ihm sich aufzurichten. Daniels Blick fiel auf sein Bein und die wieder gewonnene Farbe schwand sofort wieder aus seinem Gesicht.

    „Oh Mann…“, stöhnte er und sank auf seine Ellbogen zurück.

    Das konnte Jack nur bestätigen. Die Wunde sah nicht gut aus und bei dem allgemein herrschenden Chaos war auf schnelle Hilfe nicht zu hoffen.

    „Was ist passiert?“, fragte Daniel tonlos.

    „Keine Ahnung…“, begann Jack und zerriss Daniels Hosenbein, um die Wunde freizulegen.
    „Muss ein Erdbeben gewesen sein… Helfer sind schon da, aber ich hab keine Ahnung, wann hier ein Rettungswagen eintrudelt…“

    Er blickte in die Runde, sah einen Mann mit einem Handy am Ohr und eine Handvoll weitere Männer, die Trümmer beseitigten, andere wieder kümmerten sich um bereits geborgene Kollegen. Die Leute schrien wild durcheinander, alle Anweisungen waren auf Griechisch und Jack gab sich erst gar keine Mühe etwas zu verstehen. Irgendwie schien sich auch keiner wirklich um sie zu kümmern. Man konzentrierte sich auf die noch immer verschütteten Archäologen und versuchte bereits die größten Teile der Überdachungselemente mit Hilfe von Seilwinden hochzuziehen.

    „Jack…“

    Der Klang seines Namens lenkte O’Neills Aufmerksamkeit zurück auf ihr eigentliches Problem. Er sah Daniels kalkweißes Gesicht und einen Anflug von Panik in den Augen seines Freundes.

    „Wir kriegen das hin, Daniel…“, sagte er leise und atmete ein paar Mal tief durch. „Sieh mich an“, forderte er. „Wir kriegen das hin!“

    Eindringlich sah er in Daniels Augen und fühlte nach wenigen Augenblicken, wie sich Daniel entspannte. Und Jack entspannte sich mit ihm. Er hielt den Blickkontakt, brach ihn auch nicht ab, als seine Hände einem Automatismus folgend nach dem Metallstück griffen und es aus der Wunde zogen. Er hörte Daniel auf keuchen und fühlte heißes Blut über seine Hände sprudeln. Erneut brannte Panik in Daniels Blick, doch Jack schüttelte nur stumm den Kopf, presste fest die Finger auf das Bein und schloss die Augen. Er wusste nicht was er tat, und wenn doch, konnte er es nicht erklären. Er wusste er hatte dies schon einmal getan… und wie damals flossen Energie und Lebenskraft aus ihm heraus und direkt in den Körper unter seinen Händen. Er stellte sich im Geiste vor, wie die Blutung zum Stillstand kam, wie sich die Wunde langsam schloss und schließlich ohne eine Narbe verschwand, heile, rosige Haut hinterlassend, darunter festes, gesundes Gewebe…
    Jack fühlte Schmerzen, heiß brannte die Pein durch seine Adern, nahm ihm den Atem und fast auch das Bewusstsein. Er kam ins Schwanken, hatte das Gefühl den Halt zu verlieren und zu fallen, bis ihn starke Hände fest an den Schultern packten und hielten.

    „Oh Mann“, hörte er Daniel atemlos sagen. „Ich glaube wir haben ein Problem!“

    Daniels Stimme war angespannt und drang nur allmählich zu seinem bewussten Denken vor, dass sich langsam, fast zögernd wieder in geregelte Bahnen schob. Ihm war noch immer schwindlig, das Blut rauschte in seinen Ohren und sein Herz hämmerte schmerzhaft gegen seine Rippen.

    „Jack…. Jack, hörst du mich?“

    Endlich schaffte er es die Augen zu öffnen und Daniel anzusehen. Sein Freund kniete nun vor ihm, hielt ihn immer noch aufrecht und sah ihn fasziniert und fassungslos zugleich an. Jacks Blick fiel auf Daniels Oberschenkel, der völlig unversehrt war, so als habe es nie eine Verletzung gegeben…

    „Wow“, war alles was Jack über die Lippen brachte und selbst diese Silbe kostete ihn Anstrengung und Kraft.

    „Ja, wow, ich sagte doch wir haben ein Problem. Bist du okay?“, bestätigte Daniel und schüttelte ihn leicht.

    Was sollte er darauf antworten? Er fühlte sich als hätte er einen Marathonlauf hinter sich gebracht, Tagelang durchgesoffen und nicht geschlafen… Er fühlte sich schwach, völlig ausgelaugt wie nach einer langen Krankheit und er war wirklich nicht sicher, ob er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte.

    Daniel versuchte ihn hochzuziehen, und sofort schossen spitze Stiche durch seine Kniegelenke, ließen ihn laut aufstöhnen und er sank auf den Boden zurück.

    „Was?“, fragte Daniel erschrocken.

    Jack hatte keine Ahnung. Er wusste nur, dass er nicht aufstehen konnte, dass die Schmerzen ihm fast den Verstand raubten und dass sich seine Knie gar nicht gut anfühlten. Er schnappte nach Luft und bestätigte dann leise:

    „Wie du schon sagtest, wir haben ein Problem… Ich kann nicht aufstehen…!“

    Er klammerte sich an Daniels Blick und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass die Angst allmählich seinen Nacken hoch kroch und ihm eine Gänsehaut verursachte. Er wusste was Daniel dachte, keiner von ihnen brauchte es auszusprechen…

    Er hatte die Fähigkeit zu heilen schon einmal besessen, vor langer Zeit, als er unter dem Einfluss der Antiker gestanden hatte, und es hatte für ihn kein gutes Ende genommen…

    Daniel suchte nach einer Erklärung, suchte in seinen Augen nach einer Bestätigung, doch war sein Zustand nicht Bestätigung genug? Daniel brauchte nicht mehr nach Beweisen für die Anwesenheit der Antiker auf Santorin zu suchen. Er war der Beweis dafür – ein ziemlich wackliger, schwacher Beweis zwar, den man in keinem Bericht der Welt belegen konnte, aber er war ein Beweis…

    Aus der Ferne waren nun deutlich Martinshörner zu hören, die die Ankunft von Sanitätern ankündigten. Bald würde es hier von Rettungsteams und Weißkitteln nur so wimmeln und das letzte was ihnen nun noch fehlte, war ein griechischer Arzt, der ihn in irgendein Krankenhaus verfrachtete. Sie hatten ohnehin Glück gehabt, dass in der allgemeinen Hektik niemand bemerkte, was gerade passiert war. Jack musste auf die Beine kommen, egal wie. Also biss er die Zähne zusammen und ließ sich von Daniel hochziehen. Auf wackligen Beinen kam er zum Stehen und bloße Willenskraft hinderte ihn daran, sofort wieder zusammenzuklappen. Jeder Schritt kam einem Gang durch die Hölle gleich, jede Bewegung verursachte ein verdächtiges Knacken in den Gelenken und der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen.

    „Ich glaube, diesmal habe ich etwas angefasst, wovon ich besser die Finger gelassen hätte“, nuschelte Jack in einem kläglichen Versuch sarkastisch zu wirken und erntete dafür von Daniel einen vernichtenden Blick.

    ***

    „Nach Abschluss aller Untersuchungen kommen wir zu dem Ergebnis, dass General O’Neills Organismus inkompatibel auf die Implantate in seinen Kniegelenken reagiert…“

    Dr. Lam brachte zwei Röntgenaufnahmen auf den großen Wandschirm. Sie zeigten Jacks Kniegelenke zwei Monate nach der OP und heute.

    „Auf diesem Bild sehen Sie deutlich, dass das Implantat fest im Knochen verankert ist. Das Knochengewebe hat die Schiene gut umschlossen.“, fuhr Dr. Lam fort und wies mit ihrem Laserpointer auf die entsprechenden Stellen.

    „Diese Aufnahme ist von gestern. Deutlich ist hier zu erkennen, dass sich sowohl Knorpel- als auch Knochengewebe zurückgebildet haben. Dadurch ist das Implantat nicht mehr richtig verankert und somit instabil. Der Patient hat Schmerzen bei Bewegung und Belastung! Darüber hinaus ist deutlich eine generalisierte Narbenbildung in den Gelenken zu erkennen.“

    „Wie ist das möglich?“, fragte General Landry, der wie immer am Kopf des Tisches saß und seiner Tochter aufmerksam zuhörte.

    Er sprach die Frage aus, die wohl allen Anwesenden durch den Kopf ging.

    Daniel Jackson verschränkte die Hände auf dem Konferenztisch des SGC und wappnete sich für den Rest von Dr. Lams Bericht. Er kannte bereits den Inhalt. Cassie hatte mit ihm darüber gesprochen…

    „Wir glauben, dass General O’Neill an einer primären Arthrofibrose erkrankt ist.“, erklärte Dr. Lam weiter. „Die Ursache dieser Krankheit ist immer noch weitgehend ungeklärt. Wir haben es im vorliegenden Fall mit einer Bindegewebsvermehrung zu tun. Hinzu kommt, dass das zu viel gebildete Bindegewebe in seiner Zusammensetzung verändert ist. Bindegewebsfasern werden untereinander regelrecht vernetzt, wodurch die Gelenkbeweglichkeit weiter reduziert wird.“

    „Wodurch verursacht?“, fragte Landry.

    Dr. Lam seufzte.

    „Als Folge einer Entzündungsreaktion im Rahmen eines immunreaktiven Prozesses zum Beispiel. Oder auch genetische Faktoren können die Ursache dafür sein…“

    Daniel hatte es bereits auf Santorin geahnt - nein, im Grunde genommen hatte er es sogar gewusst - , doch es nun schwarz auf weiß zu sehen und zu hören brachte eine gewisse Endgültigkeit mit sich, die nur schwer zu akzeptieren war. Zumal in ihm immer noch Unklarheit darüber herrschte, wieso dies alles passierte.

    Daniel wusste, es war richtig gewesen, Jack sofort ins SGC zu bringen, und nicht zuerst nach D.C. Hier standen den Ärzten ganz andere Möglichkeiten offen. Auf Jacks Drängen hin waren Cassie und Colonel Davis benachrichtigt worden und beide waren seit zwei Tagen hier. Cassie begleitete die umfassenden medizinischen Tests und Untersuchungen während Landry und Davis Erklärungen von ihm erwarteten, die er nicht geben konnte. Vage Vermutungen, ja die konnte er äußern, aber er hatte nichts in der Hand…

    „Wir können wie gesagt nur Vermutungen anstellen“, bestätigte Dr. Lam seine eigenen Überlegungen. „Es ist uns allerdings gelungen, das Antiker-Gen deutlich in General O’Neills DNA nachzuweisen.“

    „Was ist daran so ungewöhnlich? Wir alle wissen, dass Jack das Gen hat“, kommentierte Landry etwas erstaunt.

    „Das ist korrekt…“, bestätigte Dr. Lam und fügte sofort hinzu:
    „Aber bis vor einem halben Jahr war es kaum noch nachweisbar. Es schien sich zurückzubilden, keiner wusste genau warum und da sich General O’Neill nicht mehr im aktiven Außendienst befindet, ging man der Sache nicht näher auf den Grund. Heute aber ist das Gen aktiver denn je in O’Neills Organismus, und wir haben keine Erklärung dafür…“

    „Und was hat das mit seinen Knien zu tun?“, wollte Landry nun deutlich ungehalten wissen.

    Dr. Lam strafte ihn mit einem kurzen Blick und wandte sich dann wieder geduldig ihrem Bericht zu.

    „Das Gen könnte die Ursache für die Inkompatibilität sein und der Grund für die ungewohnt drastische Bindegewebsvermehrung. Hinzu kommt eine erhöhte Anzahl von Antikörpern, die sowohl im Knorpelgewebe als auch in der Knochenstruktur beider Kniegelenke nachweisbar sind. Wir stehen vor einem Rätsel…“

    Die Ärztin machte eine Pause, vergrub die Hände in den Taschen ihres Kittels und warf Daniel einen kurzen Blick zu. Er wich ihr aus, sah auf seine ineinander verschränkten Hände und wappnete sich für den Rest von Dr. Lams Bericht. Er wusste was nun kam, kannte die Konsequenz aus dem Ganzen bereits.

    „Wir können diesen Zustand nicht aufhalten, noch können wir ihn rückgängig machen. General O’Neill wird seine Gehfähigkeit verlieren, früher oder später!“

    Sie hatte es kurz und schmerzlos auf den Punkt gebracht und erntete damit atemlose Stille.

    Landry starrte seine Tochter fassungslos an, Colonel Davis fixierte einen imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Wand und Daniel… weigerte sich immer noch diese Prognose zu akzeptieren, selbst wenn sie im Bereich des Wahrscheinlichen lag, wenn nicht…

    … ja, wenn es ihm nicht gelang, den Grund für all das zu finden. Er dachte an die Proben, die er von Santorin mitgebracht hatte und die jetzt in seinem Labor im SGC warteten. Er fühlte, dass Jacks Zustand in direktem Zusammenhang mit seinen Forschungen stand, vielleicht sogar in direktem Zusammenhang mit ihren Besuchen auf den kretischen Inseln. Es konnte schließlich kein bloßer Zufall sein, dass das Gen seit ihrem ersten Kreta Urlaub wieder aktiv geworden war. Er glaubte jedenfalls fest daran, dass das Gen der Grund dafür war, dass sich das künstlich gezüchtete Knorpelgewebe wieder aufgelöst hatte. Aber beweisen konnte er es nicht. Und solange dies der Fall war, würde er auch nicht von den merkwürdigen Vorkommnissen sprechen, die er mit Jack in den vergangenen Monaten erlebt hatte. Er hatte weder von Jacks Begegnung mit dem Diskos gesprochen, noch von den Ereignissen auf Santorin geschweige denn von Jacks wiedergefundener Heiler-Fähigkeit. Dennoch schienen diese Dinge in direktem Zusammenhang zu stehen, eine Ereigniskette, die erst einmal in Gang gesetzt, keinen Einhalt fand, es sei denn sie bekamen Hilfe, von Menschen, die mit Antiker-Technologie inzwischen vertrauter waren als irgendjemand sonst auf der Erde es jemals sein würde…

    „Atlantis“, murmelte er und als ihm bewusst wurde, dass er laut gesprochen hatte, hob er den Kopf und sah die Anwesenden der Reihe nach an.

    „Wir brauchen die Hilfe von Atlantis!“

    Dr. Lam nickte bestätigend.

    „Wir haben bereits den Rat des Pentagons eingeholt. Die Ärzte und Wissenschaftler in Atlantis sind mit der Technologie und der Genstruktur der Antiker inzwischen sehr vertraut und treiben weitreichende Forschungen. Wir glauben, sie könnten General O’Neill helfen.“

    Wenn General Landry verärgert darüber war, dass diese Vorgänge hinter seinem Rücken geschahen, so ließ er es sich nicht anmerken. Es gab Situationen, da hielten andere die Fäden in der Hand und dies war jetzt der Fall. Die Entscheidung lag nicht bei ihm. Das machte auch Colonel Davis Anwesenheit deutlich. Er dachte an Jack. Landry wusste wie wichtig O’Neill für diesen Planeten war, wie viel das Weiße Haus und das Pentagon von ihm hielten. Man hatte ihn auf ein ziemlich hohes Podest gesetzt und präsentierte ihn gerne als lebendigen Helden. Doch wer wollte noch einen Helden im Rollstuhl sehen? Landry schüttelte sich innerlich bei diesem Gedanken. Er wusste zu gut, wie sein Land mit seinen Helden umging und so galt seine Sorge weniger dem Podest auf dem Jack O’Neill stand sondern vielmehr dem Menschen.

    „Weiß er es?“, fragte er niedergeschlagen.

    „Cassandra Fraiser ist gerade bei ihm…“, meinte Daniel und tauschte mit dem Leiter des SGC vielsagende Blicke.

    Landry nickte verstehend.

    „Und wenn er sich nicht helfen lassen möchte?“, fragte Landry herausfordernd. „Ich meine, wir alle kennen Jack… sollte er nicht gefragt werden?“

    Landry blickte provozierend in die Runde und erntete ausweichende Mienen. Colonel Davis räusperte sich verlegen und rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl.

    „Ja, Colonel?“

    Davis seufzte, nahm jedoch innerlich Haltung an und sah den ranghöheren Offizier an.

    „Ich fürchte, es ist keine Frage des Wollens, Sir. Das Pentagon hat keinen Zweifel daran offen gelassen, wie sehr das Weiße Haus wünscht, dass sich General O’Neill den Untersuchungen in Atlantis unterzieht.“

    Colonel Davis fühlte sich deutlich unwohl in seiner Haut, das konnte selbst Landry, der den jungen Colonel nicht so gut kannte, sehr gut erkennen. Sie wollten Jack also als Versuchskaninchen benutzen. Er hätte es wissen müssen…

    „Tja, Colonel“, begann Landry dienstlich und erhob sich, begleitet von eiligem Stühle Rücken der Anwesenden, die es ihm gleichtaten. „Dann wird es wohl Ihre Aufgabe sein, den General von den Wünschen des Pentagons zu unterrichten. Ich werde inzwischen Atlantis kontaktieren.“

    Daniel wartete, bis Landry und er allein waren, dann sagte er leise:

    „Sir, wenn Sie erlauben, würde ich gerne Colonel Carters Rat hinzuziehen…“

    „Ich dachte mir bereits, dass dieser Vorschlag kommt, Doktor. Deshalb habe ich ihr auch bereits eine Nachricht zukommen lassen… Ich erwarte ihre Antwort in Kürze.“

    Daniel war auf der einen Seite dankbar für General Landrys Weitsicht, auf der anderen Seite hätte er Sam gerne selbst unterrichtet. Zumal er sich vorstellen konnte, dass es Jack gar nicht recht war, dass Sam überhaupt hinzugezogen wurde. Doch Sam war Freundin, Vertraute, Teil dieser „Familie“. Sie hatte ein Recht darauf zu erfahren was los war. Es wäre nicht fair sie im Dunkeln zu lassen – schließlich ging es hier um Jack.

    ***


    „Vergessen Sie es, Davis. Ich werde nirgendwo hingehen!“

    Schon von weitem hörte Daniel Jackson die durchdringende Stimme seines Freundes.

    Jack besaß einen unverbesserlichen Sturkopf und Daniel hegte keinen Zweifel daran, dass Colonel Davis ihn bereits instruiert hatte. Er beneidete Paul wirklich nicht um diese Aufgabe. Doch sie alle mussten ihr Päckchen tragen in diesen Tagen. Und Davis war bekannt als Überbringer schlechter Nachrichten.

    Daniel lächelte milde vor sich hin, bog um die letzte Ecke auf seinem Weg zur Krankenstation des SGC und wäre fast von einem Tablett getroffen worden, das mit lautem Scheppern zu seinen Füßen landete und die medizinischen Bestecke, die es beförderte überall im Gang verteilte.

    Okay, Jack hatte die Neuigkeit definitiv schlecht aufgenommen…

    Daniel machte sich daran, die Sachen vom Boden aufzusammeln und verfolgte das Toben seines Freundes durch die offene Tür.

    „Bitte, Sir, beruhigen Sie sich“, versuchte es Paul beschwichtigend.

    Falsche Wortwahl, Paul, ganz falsch, dachte Daniel und gleich darauf donnerte Jack: „Beruhigen? Ich soll mich beruhigen? Sie sagen mir nicht wann ich mich beruhigen soll, Davis. Genauso wenig wie Sie mir sagen, dass ich mich als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen soll…“

    „Die Wissenschaftler von Atlantis könnten Ihre letzte Chance auf Heilung sein, Jack“, konterte Davis vertraulich und Daniel verzog bei diesem Schlag unter die Gürtellinie das Gesicht.

    „Sie können mich mal kreuzweise, Paul.“, gab Jack sauer zurück und betonte dabei gefährlich scharf den Vornamen des Colonels.

    „Soll ich das auch dem Präsidenten ausrichten, Sir?“, fragte Davis spitz und kehrte damit zum Reglement zurück.

    „Tun Sie was Sie nicht lassen können…“

    „Das Weiße Haus würde Sie nur ungern verlieren, General. Aber Präsident Hayes hat keinen Zweifel daran offen gelassen, dass Ihre Kooperation in dieser Angelegenheit Zukunft bestimmend für Ihre weitere Karriere sein wird.“, fuhr Davis unbeirrt fort. „Ich erinnere Sie nur ungern daran, dass Pentagon und Weißes Haus mehr als einmal beide Augen zugedrückt haben, was Ihre, sagen wir, etwas unorthodoxe Arbeitsweise betrifft und nun erwartet man eine kleine Gegenleistung Ihrerseits.“

    „Raus hier, Davis“, meinte Jack wütend. „Aber ganz schnell… eh ich mich vergesse…“

    „Und was soll ich dem Präsidenten ausrichten, Sir?“

    „Das ist mir egal. Machen Sie was Sie wollen…“, kam Jacks mürrische Antwort.

    Daniel biss sich nachdenklich auf die Unterlippe, richtete sich mit dem Tablett in den Händen auf und wäre beinahe mit einem ziemlich aufgelösten Colonel zusammengestoßen.

    „Paul! Schon auf dem Rückzug?“, wollte Daniel scheinheilig wissen und trat einen Schritt beiseite, um dem Colonel den Weg frei zu machen.

    Davis blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte resigniert den Kopf.

    „Er hat eingewilligt… Ersparen sie mir bitte die Details, Daniel, ja!?“

    Daniel konnte sich vorstellen, dass Davis diese Konfrontation nicht gerne herbeigeführt hatte. Aber ließ man die Beweggründe des Pentagons mal außer Acht, so war Atlantis Jacks letzte Chance auf Heilung und diese Tatsache musste selbst O’Neill erkannt haben.

    „Er hat mich zu seinem Stellvertreter gemacht…“, murmelte Davis.

    „Hat er das?“, fragte Daniel erstaunt. „Gratuliere!“

    Davis verzog gequält das Gesicht.

    „Ich weiß nicht, ob das so eine Ehre ist… Er wird mir mit Wonne alles unter die Nase reiben, was in seiner Abwesenheit nicht nach seinen Vorstellungen läuft.“

    „Jack vertraut Ihnen, Paul. Auch wenn es manchmal nicht danach aussieht, aber er hält große Stücke auf Sie. Warum sonst, hat er Ihnen Ba’al anvertraut?“

    Davis nickte zerknirscht, wirkte aber lange nicht beruhigt.

    „Ja, immer genug Thunfisch im Kühlschrank und nicht zu viel Sahne naschen… ich weiß! Ich werde mir wohl noch ein paar Spritzen gegen meine Katzenallergie verpassen lassen…“

    Sie lachten und genossen einen Moment das unbeschwerte Gefühl, dann wurde Davis plötzlich ernst und meinte leise:

    „Ich hoffe, Sie haben Erfolg und finden in Atlantis wonach Sie suchen…“

    „Das hoffe ich auch, Paul. Das hoffe ich auch…“

    Daniel rang sich ein zuversichtliches Grinsen ab, schüttelte die Hand des Colonels und wappnete sich dann für den ersten Schritt in Jack O’Neills Krankenzimmer.

    „Ach, gehen Sie weg. Ich brauch Ihre Hilfe nicht!“, bellte O’Neill eine zierliche Krankenschwester an, die eiligst vor ihm zurückwich.

    O’Neill stand auf ziemlich wackligen Beinen im Raum, das Gewicht auf zwei Unterarmkrücken gestützt und versuchte mit hochkonzentriertem Gesicht das Gleichgewicht zu halten.

    ‚Alles auf Anfang’, waren die Worte, die Daniel spontan in den Kopf sprangen, als er Jack mit den Krücken hantieren sah. Vor Santorin waren sie schon weiter gewesen, viel weiter…

    „Kann ich dich sprechen, Jack?“

    O’Neill blickte auf, wankte ein paar Schritte zurück und ließ sich auf das Bett sinken. Er lehnte die Krücken neben sich und verschränkte die Hände im Schoß.

    „Na, nettes Dejas Vue, häh?“

    Daniel entging nicht die Ironie in O’Neills Stimme, das Lächeln seines Freundes wirkte aufgesetzt und Daniel bemerkte auch sehr wohl, dass O’Neill die Beine leicht abgewinkelt am Boden behielt.

    „Wir müssen reden, Jack.“, versuchte es Daniel wieder und bedeutete der Schwester mit einem kurzen Nicken sie allein zu lassen.

    „Worüber?“, fragte Jack kalt. „Ich dachte ihr hättet bereits alles besprochen und in die Wege geleitet. Tu jetzt bloß nicht so, als würde euch noch mein Segen fehlen, geschweige denn meine Meinung interessieren…“

    „Jack, hör zu…“

    „Nein, Daniel, jetzt hörst du zu…“, unterbrach ihn Jack nur mühsam beherrscht. „Ich hab Davis gesagt, er kann dem Präsidenten ausrichten, dass diese Beine nicht sein verdammtes Eigentum sind. Und wenn ich mich der Wissenschaft ausliefere, dann weil ich das so will und nicht weil es das beschissene Pentagon so sehr wünscht!“

    Daniel sah betreten zu Boden und nickte.

    „Verstanden… sonst noch was?“

    „Ich werde auf meinen eigenen Füßen Atlantis betreten oder gar nicht. Cassie und Dr. Lam haben eingewilligt mich solange mit irgendeinem Zeug vollzupumpen, bis ich das einigermaßen schaffe… Solange muss unsere Abreise warten!“

    „Okay“, bestätigte Daniel knapp. Dann hob er den Kopf und sah Jack an.
    „Ich habe darum gebeten, Sam hinzuziehen…“

    „Nein“

    „Jack…“

    „Daniel…“

    „Jack, sie kann uns helfen. Die Nachricht hat sie inzwischen sicher schon erreicht. Ich brauche ihre Unterstützung. Außerdem können wir das alles nicht lange verheimlichen, sie wird es irgendwie erfahren und dann wird sie uns beide einen Kopf kürzer machen, weil wir ihr nichts gesagt haben…“

    „Daniel…“

    „Jack!“

    „Schon gut“, erwiderte Jack knapp. „Soll sie kommen. Aber du sagst ihr nur das Nötigste okay… Kein Wort darüber, dass ich als Krüppel enden werde…“

    Jacks Stimme klang gleichgültig, doch so unbeteiligt er auch tat, Daniel wusste, dass es Jacks größte Sorge war, Sam könnte von seiner Prognose erfahren und ihn mit ihrem Mitleid ertränken.

    „Versprochen“, sagte Daniel seufzend und betrachtete seinen Freund eine Weile schweigend. Dann gab er sich endlich einen Ruck und setzte sich neben Jack auf das Bett.

    Seite an Seite saßen sie nun da, die Hände zwischen den Knien und den Blick fest auf den Boden gerichtet. Sie sprachen kein Wort, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, die sich im Grunde genommen um ein und das Selbe drehten.

    „Jack“, begann Daniel schließlich unsicher. „Wegen Santorin und was in Akrotiri passiert ist…“

    „Dich trifft keine Schuld, Daniel“, meinte O’Neill schlicht.

    Schuld, ja genau das war es was Daniel empfand. Wäre Jack nicht gezwungen gewesen, ihm zu helfen, hätte er Jack nicht nach Santorin gebracht, dann wäre all das nicht passiert…

    „Doch, das wäre es. Früher oder später“, unterbrachen Jacks Worte Daniels Gedanken und ließen den Archäologen erschrocken aufblicken. Seit wann konnte Jack Gedanken lesen?

    „Es hat viel früher begonnen. Und das weißt du auch…“, bestätigte Jack und sah Daniel an.

    Daniel erwiderte Jacks Blick und sah die Wahrheit in O’Neills Augen, die dunkler und trauriger schienen denn je.

    Ja, es hatte früher begonnen…

    Griechenland, Kreta, der Diskos von Festos…
    Warum war er nicht früher darauf gekommen?

    Wenn sie recht behielten würde das beweisen, dass die Antiker dort gewesen waren und das ein oder andere Geheimnis für sie hinterließen. Und eines dieser Geheimnisse hatte das Gen in Jack erkannt und war heute für seinen Zustand verantwortlich. Doch was konnte es aktivieren und zu solch einem Wachstum anregen und warum zerstörte es Jacks Beine?

    „Du kennst die Antwort, Daniel…“, flüsterte Jack. „Du weißt es nur noch nicht…“


    TBC


  9. #9
    Turbo-Denker/Seher alias Beamter Avatar von Dakimani
    Registriert seit
    07.09.2007
    Ort
    Steiermark
    Beiträge
    633

    Standard

    hiho......

    deja vü
    jack hat wieder mal sein Gen zurück, stärker als je zu vor und mit seinen "alten" knien is er auch wieder ganz am anfang......

    sam kommt?? das wird aber noch einige zeit dauern oder, sie ist ja schließlich auf dem mond oder nicht??

    bin schon sehr gespannt was der letzte absatz von dir noch alles zu bedeuten hat, und ob daniel das "geheimnis" in atlantis finden wird, und ob jack einen rollstuhl braucht

    lg

  10. #10
    Lieutenant General Avatar von Antares
    Registriert seit
    16.09.2007
    Beiträge
    4.809
    Blog-Einträge
    1

    Standard

    „Santorin - Mittelpunkt der Atlantislegende?“

    Genau! Und noch ein Faden wird dem Ganzen hinzugefügt!
    Dann hast du ja bald alle "Zutaten" beisammen. *g*

    Kreta, Antiker, den Diskos, Jacks erwachendes Gen, Atlantis - - dann bin ich mal gespannt, wohin das alles führt.

    Und ich hoffe doch sehr, dass nicht nur Daniel sondern auch Jack die Antworten finden wird, die er sucht (und braucht).

  11. #11

    Standard

    Ich bin schwer begeistert!

    Ich liebe Storys, denen man intensive Recherche anmerkt und du muss so manch ein Buch über die griechische und minoischen Kulturen gelesen haben.

    Dazu noch Jack O'Neil, der leidet, wo ich das seltsame Gefühl hat, dass da alles seinen guten Grund hat.

    Du hast ich angefixt und ich bin dabei.
    Ich bin nett, höflich, liebenswert
    und zuvorkommend.
    Und garantiert nicht ironisch.
    Meine Storys

  12. #12
    Senior Airman
    Registriert seit
    25.12.2009
    Beiträge
    33

    Standard

    Hier nun das 4. Kapitel indem (endlich) das SG1/Atlantis Crossover zum Tragen kommt. Ich hoffe, Ihr habt weiter Spaß daran...

    ************************************************** ****************


    4. Kapitel: Von Argo ins Meer geworfen


    „Alle Ereignisse sind nichts als die Folge vorhergegangener Ursachen, klar gesehen, aber nicht deutlich begriffen. Wird eine Melodie gespielt, kann auch der unwissendste Zuhörer vorhersagen, dass sie mit dem Grundton enden wird, auch wenn er nicht versteht, warum jeder der aufeinanderfolgenden Takte letzten Endes zum Schlussakkord hinleitet. Das Gesetz des Karma ist die Kraft, die alle Akkorde zum Grundton zurückführt. Es setzt die kleinen Wellen, die ein in einen Teich geworfener Stein erzeugt, fort, bis die Flut einen Erdteil ertränkt, während der Stein längst versunken und vergessen ist…“

    Gedankenverloren schloss Dr. Daniel Jackson das Buch in dem er gelesen hatte und ließ die Fingerspitzen fast zärtlich über die geschwungenen und reich verzierten Buchstaben auf dem alten zerschlissenen Ledereinband gleiten.

    „Aus den Lehren des Priesters Rajasta“.

    Das uralte Buch erzählte die Geschichte von einem Stein, der in den Teich einer Welt fiel, die vom Wasser verschlungen wurde, lange bevor die ägyptischen Pharaonen einen Stein auf den anderen setzten. Es schilderte eine der zahlreichen Legenden, die sich mit dem Untergang von Atlantis befassten. Daniel hatte es vor ein paar Jahren auf einem Bazar in Kairo gefunden und war sofort davon fasziniert gewesen. Eine Welt, die vom Wasser verschlungen wurde - Atlantis. Passender hätten Worte nicht das treffen können, was ihnen im Augenblick widerfuhr.

    Es war als befänden sie sich inmitten einer Kettenreaktion, deren Verlauf noch nicht abzusehen war, ausgelöst durch den Stein der die Dinge buchstäblich ins Rollen gebracht hatte.
    Doch wo war er dieser Stein?
    Was war er?
    Daniel glaubte fest daran, dass wenn sie erst einmal die Ursache des Ganzen gefunden hätten, sie auch eine Lösung erhielten, eine Möglichkeit der Umkehr, oder bekämen sie nur die Wurzel allen Wirkens vor Augen geführt?

    Fragen über Fragen, aber keine Antworten.

    Selbst nach zwei Wochen intensiven Versuchen, Forschungen, Diskussionen und Untersuchungen konnten sie noch immer keinen Erfolg verzeichnen. Und während sich Ärzte und Wissenschaftler darauf beschränkten intensive Gen-Studien zu betreiben und Jack dafür jeden Tag Blut abzuzapfen, zog sich Daniel mit seinen Büchern zurück und studierte weiter die Geschichte der Minoischen Kultur, zog Parallelen zum Verlauf des Werdegangs der Antiker und ihrer Verbreitung auf der Erde und suchte krampfhaft eine Verbindung. Die Untersuchung seiner Proben von Santorin hatte bisher keine weitreichenden Erkenntnisse gebracht. Es standen zwar noch ein paar Testergebnisse aus, doch er hatte die Hoffnung bereits fast aufgegeben auch nur eine Spur Naquadah in dem uralten Gestein nachweisen zu können. Dabei war er davon überzeugt, dass es da war. Genau so sehr wie er überzeugt davon war, dass Jacks Zustand auf Kreta und die Berührung mit dem Diskos zurückzuführen war.

    Nur so konnte man Daniels Meinung nach die Aktivierung des Gens erklären, nur deshalb hatte sich das Mühlrad in Bewegung gesetzt, erst träge und ganz langsam zwar, doch spätestens auf Santorin in immer schneller werdenden Drehungen, die Jack schließlich mit sich nahmen und ihn nun zu zermalmen drohten…

    … und dabei ging es ihm von Tag zu Tag schlechter.

    Trotz hoch dosierter Medikamente litt er immer noch unter starken Schmerzen. Das Gehen war ihm inzwischen nur noch mit Hilfe von Krücken möglich. Einen Rollstuhl lehnte er kategorisch ab. Ungeduldig und oft ungehalten ließ er die Versuche und Untersuchungen der Ärzte über sich ergehen, bezeichnete sich selbst launisch als „Laborratte“ und hatte für jeden einen seiner zynischen, manchmal auch bitterbösen, sarkastischen Sprüche übrig.

    Jack spielte sein Spiel mit ihnen. Er versuchte zwar sich zusammenzureißen, doch die meiste Zeit war er einfach nur übellaunig, garstig und unfair – gerade Daniel gegenüber. Es tat ihm zwar abends leid, aber am nächsten Morgen wachte er genau so mürrisch auf wie am Tag zuvor.

    Daniel konnte nur ahnen, wie es in seinem Freund aussah. Es musste für einen so stolzen, selbstbewussten, eigenständigen und auch eigensinnigen Mann wie O’Neill keine größere Schmach geben, als plötzlich hilflos oder gar hilfsbedürftig zu sein.
    Es war Jack sicher ein Gräuel, kleine Dinge des Alltags nicht mehr selbständig durchführen zu können: das tägliche An- und Ausziehen, der Gang zur Toilette, die morgendliche Dusche… Jede Bewegung wurde für ihn zur Herausforderung – Gehen, Stehen, Sitzen, selbst das Liegen ging nur noch mit einer Stütze unter den Kniekehlen, die die Gelenke leicht anwinkelte. Und Daniel spürte, dass Jack anfing sich selbst und seinen Körper zu hassen…

    Noch immer schauderte ihn bei dem Gedanken daran, und Daniel weigerte sich, die Vorstellung eines Jack O’Neill im Rollstuhl zu akzeptieren. Er würde nicht eher Ruhe geben, bevor er alles getan hatte um genau das zu verhindern!

    Das Türsignal ließ ihn zusammenfahren. Er war nervös, seit Tagen schon und daran änderte sich auch nichts, als die Leiterin der neuen Mondbasis in seinem Quartier stand und ihn streng musterte.

    „Du gehst mir aus dem Weg seit ich angekommen bin, Daniel“, klagte Sam Carter und verschränkte die Arme vor der Brust.

    „Es gab viel zu tun…“, versuchte Daniel auszuweichen, obwohl er genau wusste, dass es dieses Mal kein Entkommen gab. Bewusst hatte er dieses Gespräch hinausgezögert, hatte es vermieden Sam alleine zu begegnen. Und bisher war es ihm gelungen, sich hinter der Arbeit zu verstecken.

    Seit gestern war Sam in Atlantis und es oblag Dr. Keller die medizinischen und wissenschaftlichen Aspekte der Untersuchungen mit Sam zu diskutieren. Daher, war es bisher zu keinem Aufeinandertreffen gekommen und Daniel wusste, dass Sam nicht mehr als einen Höflichkeitsbesuch in der Krankenstation absolviert hatte.

    Jack hatte es ihr nicht leicht gemacht und mit seiner charmanten Art dafür gesorgt, dass Sam nicht so schnell wiederkam. O’Neill konnte nun mal verdammt stur sein. Hinzu kam die persönliche Kränkung ob der Umstände um ihr neues Kommando und so verhielt er sich ihr gegenüber wie ein verwunderter Tiger, der vor Wut und Enttäuschung fauchte und um sich schlug. Außerdem wollte Jack unter gar keinen Umständen, dass Sam die volle Wahrheit erfuhr… Und Daniel hatte ihm versprochen dicht zu halten, solange er konnte. Und das konnte er, bis jetzt…

    „Was ist los, Daniel?“, wollte Sam streng wissen und legte all ihre Autorität in ihre Stimme.

    „Ich dachte das SGC und Dr. Keller hätten dir alle bisherigen Erkenntnisse durchgegeben“, erwiderte Daniel frech. „War die Reise zur Erde nicht lange genug um dich voll zu informieren?“

    Sam biss sich auf die Unterlippe und ihre Stirn legte sich in Falten. Sie war verärgert, das konnte Daniel deutlich sehen. Und es tat ihm auch leid, dass er sie persönlich angriff, aber er hatte gelernt, dass Angriff oft die beste Verteidigung sein konnte, auch wenn es ein kläglicher Versuch war, unfair und flach obendrein. Also verzog er den Mund zu einem entschuldigenden Lächeln und meinte das Thema wechselnd:

    „Warst du bei Jack?“

    „Er redet nicht viel…“, gab Sam zu bedenken.

    „Ist das was Neues?“

    Sie lachte und schüttelte den Kopf. Dann kam sie näher, setzte sich seufzend zu ihm an den kleinen Couchtisch und sah einen Moment aus dem Fenster in die Eiswüste hinaus: blendendes Weiß, strahlende Eiskristalle. Das arktische Meer war die neue Heimat von Atlantis. Dort hatte man der Stadt einen festen Platz gegeben und hier nutzte man die dazu gewonnen Ressourcen als neuen Stützpunkt.

    „Ich habe mit Dr. Keller gesprochen… über die Arthrofibrose und dass ihr genetische Ursachen für die Krankheit vermutet… das Antiker-Gen dafür verantwortlich macht…“, begann Sam unsicher und erinnerte Daniel nunmehr wieder an die junge Sam Carter, die er vor Jahren kennengelernt hatte. Die Autorität fiel von ihr ab wie eine Maske. Sie zeigte Unsicherheit, Wärme und er erkannte deutlich die Sorge in ihren Augen als sie ihn schließlich ansah.

    „Er sieht fürchterlich aus, Daniel. Wie geht es ihm wirklich?“

    Daniel erwiderte ihren Blick und zögerte mit Worten. Konnte er Sam seine Theorien erklären? Würde sie verstehen, worauf er hinauswollte? Doch außer Jack war Sam die einzige Vertraute für ihn hier in Atlantis. Und allein kam er nicht weiter…

    „Wenn wir nicht herausfinden, was das Gen in Jack aktiviert hat und diesen Vorgang nicht rückgängig machen können…“, begann Daniel und brach unsicher ab.

    Er konnte es noch immer nicht aussprechen, wollte diese Möglichkeit nicht in Betracht ziehen. Außerdem hatte er Jack versprochen, dass Sam es nie erfahren würde…

    „Was dann?“, wollte Sam beharrlich wissen. Und als er nicht reagierte, griff sie nach seinem Arm und drückte ihn fest. „Daniel?“

    Daniel seufzte tief. „Es frisst ihn auf innerlich, Sam.“, sagte er dann leise. „Er denkt, ich bemerke es nicht. Aber ich kann es erkennen. Ich sehe es in seinen Augen, wenn er mich ansieht…“

    Sams Hand ruhte noch immer auf seinem Arm. Fassungslos sah sie ihn an. Und in ihren Augen spiegelte sich sein eigener Schmerz ob des Schicksals, dass ihren Freund erwartete.

    „Er wird nicht mehr gehen können…“, meinte Sam schließlich tonlos. Es war mehr eine Feststellung, ein hilfloses Erkennen, denn eine Frage.

    „Kennst du den Mythos vom verwundeten Heiler?“, fragte Daniel statt ihr eine Antwort zu geben.

    „Ich weiß nicht, was du meinst“, gab Sam verstimmt zurück.

    „In der Mythologie ist Asklepios der Gott der Heilkunst. Er bezog der Sage nach seine Heilkraft aus einer unheilbaren Wunde, die er sich zugezogen hatte, als er einen anderen schützte. Er besaß das Blut der Medusa, dem man magische Kräfte nachsagte. Es heißt, er konnte sogar Tote wieder zum Leben erwecken…“, erklärte Daniel vorsichtig und beobachtete Sam dabei genau.

    Noch immer ungläubig sah sie ihn an, doch er erkannte, dass sie ihm folgen konnte, dass sie verstand worauf er hinauswollte, sich erinnerte an…

    „Bra’tac“, murmelte Sam. „Der General hat damals Bra’tac geheilt, als…“

    „Und er hat mich geheilt, vor ein paar Wochen auf Santorin!“

    Nun war es raus und Daniel hatte keine Ahnung was Sam mit dieser Information anstellte. Fassungslos sah sie in sein Gesicht. Die Wissenschaftlerin in ihr suchte sofort nach Erklärungen, brauchte zusätzliche Informationen, wollte deuten, forschen, wissen…

    „Ich hatte mich verletzt, als bei einer Ausgrabung ein Gerüst einstürzte. Jack hat das Selbe getan wie damals. Es ist nichts mehr zu sehen, nicht einmal ein Kratzer… Danach wurde es schlimmer mit ihm…“, erläuterte Daniel.

    „Worauf willst du hinaus?“

    Daniel befreite sich von ihrer Hand und stand auf. Unruhig begann er in dem Raum auf und ab zu gehen.

    „Verstehst du nicht, Sam? Der Heiler ist unheilbar verwundet! In der griechischen Mythologie wurden die meisten Heiler mit dauerhaften Wunden dargestellt. Heilkraft und Verwundung sind untrennbar. Durch die Aspekte ‚verwunden’ und ‚verwundbar sein’ wird die Heilung erst möglich gemacht!“

    Daniel redete sich in Rage und bemerkte dabei kaum, dass Sam ihm nicht mehr folgen konnte. Dabei war doch alles so offensichtlich. Es lag auf der Hand. Und vielleicht hatte Jack ja Recht. Vielleicht kannte Daniel die Antwort bereits…

    „Willst du damit andeuten, dass er irgendwo mit Antiker-Technologie in Berührung gekommen ist, die das Gen und somit auch das Wissen und die Fähigkeit zu heilen in ihm aktiviert hat?“

    Daniel blieb stehen und sah sie an.

    „Ja das glaube ich!“, bestätigte er. „Und nicht irgendwo, Sam. Auf Kreta zum ersten Mal und später noch einmal auf Santorin. Du weißt, ich habe schon lange eine Verbindung vermutet zwischen der minoischen Kultur und den Antikern. Santorin ist zwar nicht Atlantis, aber es könnte ein Außenposten der Antiker gewesen sein und als die Insel unterging, sind sie nach Kreta geflüchtet. Wenn meine Vermutung richtig ist, dann ist Jack der Beweis für meine Theorie. Dann müssen wir nur noch herausfinden, wie wir das Ganze umkehren können…“

    Doch Sam blieb skeptisch. Sie dachte eine Weile nach, schüttelte ungläubig den Kopf und meinte dann: „Okay… aber die Asgard haben damals die Datenbank der Antiker entfernt, als sie den General aus der Stasis holten. Und wenn er keine weitere Datenbank übernommen hat – und das hat er ja wohl nicht, denn geistig gesehen ist er der Alte – dann gibt es nichts mehr, außer dem Gen selbst. Was also ist deiner Meinung nach passiert?“

    „Ich habe nie geglaubt, dass die Datenbanken komplett aus seinem Geist entfernt wurden. Das Wissen ist immer noch da, Sam. Die Asgard haben es nur stillgelegt, vielleicht in seinem Gehirn mit einer Sperre belegt“, philosophierte Daniel weiter und begann wieder in dem Raum seine Kreise zu ziehen.

    „Es könnte doch sein, dass wir unbewusst auf Kreta den Schlüssel gefunden haben. Jack ist damit in Berührung gekommen und hat damit die Sperre geknackt. Das Gen wurde aktiviert, und Jack hat Zugriff auf Fähigkeiten von denen er bisher nichts wusste.“

    „Nehmen wir an du hast Recht…“, sagte Sam. „Warum wird sein Geist dann nicht wieder von dem Wissen völlig in Besitz genommen? Warum ist er immer noch er selbst? Warum hat er die Fähigkeit zu heilen und wieso zerstört diese Fähigkeit ausgerechnet seine Beine?“

    Daniel hielt inne, seufzte und fuhr sich nervös durch die Haare. Dann schüttelte er resigniert den Kopf.

    „Ich weiß es nicht“, gab er leise zu, kam zu Sam zurück und setzte sich wieder zu ihr. „Aber ich weiß, dass ich es herausfinden werde, Sam. Ich muss einfach…“

    Er sah sie an, fühlte, dass sie wusste, was Jack bevorstand, wenn sie keine Möglichkeit fanden ihm zu helfen. Ihre Augen trugen einen verräterischen Glanz, zeigten ihm wie sehr sie alle immer noch miteinander verbunden waren und er war sicher, sie auf seiner Seite zu haben.

    Sie dachte nach, ihre Stirn legte sich in kleine Falten und nach einer Weile meinte sie schlicht: „Ich nehme an, Dr. Keller und die Anderen wissen nichts von seinen heilenden Fähigkeiten…“

    Daniel schüttelte den Kopf.

    Sam nickte verstehend.

    „Das könnte aber wichtig sein, Daniel. Wir sollten das mit Rodney, Dr. Keller und Sheppard besprechen… und mit dem General! Es sind genug Entscheidungen hinter seinem Rücken getroffen worden!“

    ***

    Jack versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm es ihm war, im Mittelpunkt zu stehen. Er war der Grund für all das hier. Und auch wenn er dankbar sein sollte, dass seine Regierung nichts unversucht ließ um ihm zu helfen, so kannte er doch den wahren Grund, der hinter all dem steckte. Es ging nicht um ihn und seine Gesundheit. Das Pentagon erhoffte sich neue Erkenntnisse über das Antiker-Gen und die Möglichkeiten, die sich daraus boten. Er war ein Versuchsobjekt – mehr nicht.

    Nein, rief er sich selbst ins Gewissen, er sollte nicht ungerecht sein. Die Menschen hier rissen sich den Hintern auf für ihn. Niemandem an diesem Tisch ging es um Ruhm und Ehre. Sie hatten bereits genug davon…
    Dennoch kamen sie nicht weiter. Er spürte die Resignation. Schwer wie Blei lag die Frustration in der Luft, weil sie nicht wussten, was sie noch für ihn tun sollten. Dr. Keller und ihr Team hatten hart gearbeitet, um das Zellwachstum rückgängig zu machen. Er fragte sich, ob er überhaupt noch genügend Blut übrig hatte für weitere Tests.

    Selbst Rodney McKay war nicht bereit aufzugeben und drängte seine Leute zu Höchstleistungen. Sie experimentierten mit Gen-Manipulationen und Dingen, die Jack nicht verstand, obwohl der Wissenschaftler sie ihm mit wachsender Ungeduld immer wieder zu erklären versuchte.
    Er fragte sich wirklich wie Sam es mit diesem Choleriker ein Jahr lang ausgehalten hatte. Doch er rechnete es McKay hoch an, das er sich so ins Zeug warf, auch wenn er es vielleicht nur für Sam und der alten Zeiten wegen tat.

    Sam! Sein Blick glitt ans Ende des Konferenztisches. Dort saß sie neben Richard Woolsey, das dunkel, gefärbte Haar streng zu einem langen Zopf geflochten. Die Uniform der Mondbasis wirkte seltsam fremd an ihr.
    Zweimal hatte sie ihn seit ihrer Ankunft auf Atlantis in der Krankenstation besucht. Sein Verhalten sorgte dafür, dass sie kein drittes Mal kam. Er konnte ein Ekel sein, wenn er wollte. Und er wusste, er war ihr gegenüber kalt und abweisend gewesen. Bereitwillig war seine Ablehnung von ihr akzeptiert worden – wie früher, zog sie sich zurück und tat als würde es ihr nichts ausmachen. Er begegnete ihrem Blick und erkannte, dass sie ihm sein Verhalten nicht übel nahm. Sie hatte ihm noch nie lange böse sein können. Doch diesmal wollte er nicht ihre Vergebung, er verdiente sie nicht! Und zum ersten Mal seit sie die Leitung der neuen Basis übernommen hatte, ertappte er sich bei dem Gedanken, dass die Entscheidung richtig gewesen war. Der Erfolg stand ihr gut, das Kommando verlieh ihr Würde und Autorität. Sie machte Karriere und er war froh, dass sie ein Leben führte, das ihr alle Wege öffnete. Er schenkte ihr ein sanftes Lächeln und sie bestätigte es mit einem verhaltenen Nicken.

    Nur widerwillig konzentrierte er sich wieder auf Daniels Bericht. Er hatte sich lange mit ihm beraten und war schließlich damit einverstanden, dass Daniel die Geschehnisse von Kreta und Santorin schilderte. Auch wenn sein Verstand sich immer noch vehement dagegen wehrte das Unglaubliche anzuerkennen, so spürte er doch, dass Daniel Recht hatte.

    „Er hat die Fähigkeit zu heilen?“, fragte McKay hitzig und unterbrach Daniels Ausführungen damit abrupt. „Wieso hat mir das niemand gesagt? Das ist ein wichtiges Detail, das man mir einfach nicht vorenthalten hätte dürfen…“

    „Dr. McKay“, versuchte Woolsey ihn zu beruhigen und hob beschwichtigend die Hand in seine Richtung.

    „Haben Sie es gewusst“, herrschte Rodney Woolsey an. „Hat es sonst jemand gewusst? Dr. Keller?“

    „Niemand hat es gewusst, McKay!“

    Es war das erste Mal, dass Jack überhaupt sprach, seit sie zusammen saßen. Er richtete sich in seinem Stuhl auf und faltete die Hände auf der Tischplatte. Er wollte nicht darüber reden, doch er wusste es war wichtig.

    „Ich habe Daniel gebeten zu schweigen. Ich hatte meine Gründe dafür, auf die ich nicht näher eingehen werde. Aber Daniel hat mich davon überzeugt, dass es wichtig sein könnte…“

    „Wie haben Sie das gemacht?“, wollte Rodney wissen.

    „Keine Ahnung!“

    „Können Sie es wieder tun?“

    „Keine Ahnung!“

    „Können Sie auch noch was anderes sagen, als ‚keine Ahnung’? Ich kann so nicht arbeiten!“, McKay warf ungeduldig die Arme in die Luft, sprang von seinem Stuhl auf und begann hektisch in dem Raum auf und ab zu laufen.

    „Ich habe die ganze Zeit gewusst, dass irgendwas anders ist, ich bin nur nicht darauf gekommen was…“, murmelte Rodney.

    „Was meinen Sie?“, wollte Woolsey wissen und die Blicke aller Anwesenden waren auf McKay gerichtet.

    „Die Beschaffenheit des Gens hat sich verändert“, erklärte Dr. Keller. „Die Struktur weist kleine aber auffällige Abweichungen zu dem Gen auf, dass wir zum Beispiel in Colonel Sheppards Blut finden.“

    „Führen wir das Szenario doch mal zu Ende…“, ging McKay ungeduldig dazwischen. „Gehen wir davon aus, General O’Neill hat auf Kreta einen Gegenstand berührt, der die Sperre in seinem Gehirn geöffnet und den Zugriff auf die Antiker-Datenbanken möglich gemacht hat. Nehmen wir weiter an, die in seinem Gehirn stimulierten Synapsen greifen ausschließlich auf die Fähigkeit des Heilens zu – warum lassen wir erst mal außer Acht -, dann hätten wir zwar eine Erklärung dafür, warum er nicht inzwischen wieder unverständliches Zeug brabbelt, aber noch lange keine Antwort auf die Frage, warum die Mutation des Gens seine Knochenstruktur verändert.“

    „Was ist mit Daniels Theorie vom verwundeten Heiler?“, fragte Sam.

    „Ihr glaubt nicht im Ernst, dass ich irgendetwas mit diesem Klops zu tun habe, oder!?“, warf Jack ungehalten dazwischen, denn die Vorstellung, dass seine Urahnen keine reinen Iren gewesen waren gefiel ihm auf einmal gar nicht.

    „Asklepios“, korrigierten Daniel und McKay wie aus einem Mund.

    „Von mir aus auch der…“, murrte Jack und Sam musste sich trotz aller Ernsthaftigkeit ein Grinsen verkneifen.

    „Wieso denn nicht?“, griff Daniel nun wieder den Gedanken auf. „Jack hat das Gen von Geburt an. Es könnte doch sein, dass in seiner Ahnenreihe das Gen der Heiler weitergegeben wurde, das zwar alle Merkmale des uns bekannten Antiker-Gens aufweist aber darüber hinaus über kleine Abweichungen verfügt, die nun, nachdem er mit dem Schlüssel in Berührung gekommen ist, erst zum Tragen kommen.“

    „Und wieso heilt er dann nicht einfach sich selbst?“, fragte Rodney provokativ.

    „Das kann er nicht, weil das eigene verwundet sein der Schlüssel für seine Heilerqualität ist“, hielt Daniel dagegen, unumstößlich am Mythos festhaltend.

    Jack wurde unbehaglich zumute. Er fühlte sich allmählich wie ein Mutant und wünschte sich zum wiederholten Male, er wäre ohne dieses verdammte Gen auf die Welt gekommen.
    Allerdings musste er auch zugeben, dass Daniels Erklärung gar nicht so weit hergeholt war. Und er erinnerte sich auf einmal an die Worte seines Großvaters, der ihm nach einer Verletzung anriet, das „Wundsein“ in Demut anzunehmen.

    „Vielleicht war Jack einfach nur zur falschen Zeit, am falschen Ort“, mutmaßte Daniel weiter. „Seine Knie waren schon immer seine Schwachstelle. Er hatte bereits leichte Probleme bevor wir nach Kreta kamen… Vermutlich hat das aktivierte Gen diese Schwachstelle erkannt und genutzt und nun sind Jacks Beine die nicht heilen wollende Wunde des Heilers…“

    Daniel brach ab. Bedrücktes Schweigen legte sich über die Anwesenden und jeder vermied es O’Neill anzusehen, jeder außer Daniel. Er suchte Jacks Blick und fand in den dunklen Augen die Bestätigung, die er suchte. Jack wusste, dass Daniel die Antwort kannte und er selbst konnte sich zur Wehr setzen so sehr er wollte, er konnte nicht vor seiner Bestimmung fliehen.

    „Wenn es stimmt, was sie sagen“, meldete sich nun Colonel Sheppard zu Wort. „Dann heißt das aber auch, dass wir diesen Prozess nicht rückgängig machen können.“

    Jack hielt noch immer Daniels Blick fest, sah die Weigerung darin, diese Tatsache zu akzeptieren, wusste dass Daniel spürte, dass er bereit war, sich in sein Schicksal zu fügen, nicht mehr die Kraft und den Willen aufbringend zu kämpfen, viel zu müde war, all diesen Dingen überdrüssig, die ihm das Leben aufbürdete…

    Unwirsch schüttelte Daniel den Kopf und riss sich von Jacks Augen los. Und als habe dieser stumme Dialog zwischen ihnen niemals stattgefunden, meinte er in die Runde: „Nicht unbedingt. Wenn wir Jack zusammen mit dem Artefakt an den Ort allen Ursprungs zurückbringen… vielleicht findet sich dann der Weg zur Umkehr von ganz alleine…“

    McKay schnaubte verächtlich.

    „Blödsinn! Wo soll denn bitte der Ort allen Ursprungs sein? Und selbst wenn sie wüssten wo, wir haben keine Ahnung nach welchem Artefakt wir suchen sollten“, gab McKay zu bedenken.

    „Wir müssen gar nicht suchen, McKay“, erwiderte Daniel freundlich. „Wir kennen das Artefakt, wir wissen sogar wo es ist… nicht wahr, Jack?“

    Er wandte sich O’Neill zu und die Augen aller Anwesenden hingen nun gespannt an Jacks Lippen.

    Jack schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete tief durch. Ein Bild manifestierte sich in seiner Vorstellung: sieben Punkte in einem Kreis.

    „Jack?“

    „Der Diskos…“, brachte Jack leise über die Lippen.

    „Und der Ort allen Ursprungs?“, fragte Sheppard.

    „Atlantis…“, kam es von Rodney wie aus der Pistole geschossen. „Der Ort allen Ursprungs könnte Atlantis sein!“ Es schwang eine gehörige Portion Faszination in seiner Stimme. Sein Blick flog von O’Neill zu Daniel Jackson und zurück zu Sam.

    „Dann könnt Ihr das vergessen“, setzte er nach. „Wir kriegen dieses Ding nie hierher… Für kein Geld der Welt würden die Griechen das rausrücken, gesetzt den Fall, wir kriegen das Pentagon überhaupt dazu aufgrund unserer vagen Vermutungen darum zu betteln… ich meine, wir reden hier schließlich über die Versendung eines Jahrtausende alten Artefakts, nur damit ein unbedeutender Dreisterne General der Air Force das Laufen wieder lernt…“

    „McKay!“, entfuhr es Woolsey streng.

    „Nein, nein, Richard“, meinte Jack ruhig. „Er hat ja Recht!“

    Für einen Moment herrschte bedrücktes Schweigen. Niemand wagte mehr etwas zu sagen. Daniel und Sam warfen Rodney vernichtende Blicke zu und dem Wissenschaftler schien nun erst bewusst zu werden, was er gerade gesagt hatte. Verlegen kaute er auf seiner Unterlippe und schien nicht so recht zu wissen, wie er die Situation retten sollte. Sheppard kam ihm unvermittelt zu Hilfe.

    „Also ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wovon wir eigentlich hier reden. Könnte mir erst mal jemand dieses, dieses Diskos-Ding zeigen?“

    „Genau“, nahm Rodney dankbar die Hilfestellung an. „Vielleicht kann uns ja die Deutung der Inschrift weiterhelfen… und parallel dazu können Dr. Keller und ich mit den dazu gewonnenen Erkenntnissen weiter mit dem Gen experimentieren…“

    McKay war auf einmal wieder voller Eifer, kaschierte damit seinen Fauxpas und sah Beifall heischend von Sam zu Daniel.

    „Ich weiß ihre Bemühungen zu schätzen… wirklich“, meinte Jack schließlich. „Aber ich denke Dr. McKay hat recht. Wir sollten aufhören nach irgendwelchen Strohhalmen zu greifen und dabei wertvolle Ressourcen zu verschwenden.“

    Mit diesen Worten, erhob er sich schwerfällig, bis er schließlich auf wackligen Beinen aufrecht stand und nach den Krücken tastete, die an seinem Stuhl lehnten. Dabei verlor er fast das Gleichgewicht, der Schmerz und die Anstrengung standen ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, dennoch wehrte er Rodney ab, der ihm am nächsten war und zu Hilfe eilen wollte.

    „Schon gut, McKay, schon gut…“

    Er würde aus eigener Kraft diesen Raum verlassen – auf Krücken zwar, aber ohne fremde Hilfe – und wenn es das letzte war was er tat. Er hielt sich auf den Beinen, fand sicheren Stand und schaffte es hoch erhobenen Hauptes aus dem Konferenzraum hinaus. Er bemerkte sehr wohl die Blicke die ihm folgten: peinlich berührte von Menschen wie Woolsey, McKay und Sheppard die ihn kaum kannten, und tief betroffene von Sam und Daniel. Umso erleichterter war er, als sich die Tür hinter ihm schloss. Er ging noch ein paar Schritte und lehnte sich schließlich erschöpft an eine Wand. Sein Schutzschild begann zu bröckeln. Es gelang ihm nicht mehr so gut, seine Stärke zu bewahren wie früher. Sein Abgang hatte ihn eine unglaubliche Überwindung gekostet und McKays Worte trafen ihn tiefer als er zugeben wollte. Vielleicht weil er wusste dass sie der Wahrheit entsprachen. Und es wurde Zeit sich mit den Tatsachen abzufinden…

    ***

    Die Zeit verging – Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden.

    Jack inhalierte die Stille in seinem Quartier, Zeit spielte dabei längst keine Rolle mehr.
    Auf sein Drängen hin, hatte man ihm endlich einen der VIP-Räume zur Verfügung gestellt.
    Dr. Keller sah wohl ein, dass er sich auf der Krankenstation nicht wohl fühlte und so gestand sie ihm seine Privatsphäre zu, solange er sich regelmäßig bei ihr blicken ließ um sich Blut abzapfen und einige Tests über sich ergehen zu lassen.

    Er war das alles so leid…

    Der Weg vom Konferenzraum zu seinem Quartier war mühsam gewesen und deutlich stieß er allmählich an seine Grenzen. Die Schmerzen wurden nicht besser, und Dr. Keller weigerte sich inzwischen die Dosis der Medikamente weiter zu erhöhen. Das Gehen bereitete ihm immer größere Mühe, auch wenn er weiter verbissen seine Übungen machte und trotz aller Qual das Training auf dem Ergometer durchzog. Er fühlte dass es nicht besser wurde. Darüber hinaus plagten ihn seit Tagen bohrende Kopfschmerzen. Was es auch wahr, das in ihm arbeitete, es hörte nicht auf, gab ihn nicht frei…

    Jack verstand nicht viel von Antiker-Technologie, er verstand auch nicht wirklich, was das Gen in ihm anstellte und von Mythologie hatte er erst Recht keine Ahnung, aber er hatte den Diskos berührt, er war da gewesen – ebenso wie in Akrotiri und die Bilder ließen ihn nicht los. In seinen Träumen nicht und selbst am Tage suchten sie ihn inzwischen heim und ließen ihn manchmal den Bezug zum Hier und Jetzt verlieren. Nun, ein Heiler zu sein, war nicht das schlechteste aller Dinge. Wenn es auch weit ab von der Vorstellung lag wie er seinen Lebensabend verbringen wollte. Aber es war immer noch besser, als langsam den Verstand zu verlieren, nicht mehr er selbst zu sein – wie damals…

    Er konnte sich also damit abfinden, dass das Gen ihn zum Mutanten machte, womit er allerdings weniger gut klar kam, war die Tatsache nicht mehr laufen zu können. Das „Wundsein“ in Demut anzunehmen war eine Sache, aber den Rest seiner Tage im Rollstuhl zu verbringen, eine ganz andere. Er wusste, er sollte nicht aufgeben. Und er respektierte auch die wohl sinnlosen Bemühungen seiner Freunde. Doch er ahnte, dass die Lösung des Ganzen weit ab jeder Vorstellungskraft lag und dass seine Reise gerade erst begonnen hatte. Er war kein Mensch, der bereitwillig an Schicksal glaubte, doch Vorsehung war etwas anderes. Vorsehung war möglich und das Gen würde ihn seiner Bestimmung entgegenbringen.

    Gott, was hegte er für Gedanken? Völlig untypisch für ihn, irrational und doch war er bereit sich mit ihnen zu arrangieren. Viele seiner ehemaligen Kameraden saßen im Rollstuhl – junge Männer, die ihr Leben noch vor sich hatten und denen weitaus mehr genommen worden war als die Fähigkeit zu laufen: Träume, Wünsche, die sich nie realisieren ließen…
    Er dagegen hatte ein erfülltes Leben hinter sich, hatte viel erreicht, war ein Held…

    Ein Held, welche Bedeutung besaß dieses Wort überhaupt?

    Er war ein Mann, der bereits alle Fehler gemacht hatte. Er hatte geliebt, geweint, gelacht. Schmerz, Folter, Krankheit und Tod überstanden. Hatte Erfolg, Ruhm und Ehre erfahren, was konnte ihm ein Leben im Rollstuhl noch verwehren? Es sollte also für ihn keine Rolle spielen, ob seine Beine funktionierten oder nicht. Die Geschichte hatte schließlich viele bedeutende Menschen hervorgebracht, die behindert gewesen waren. Amerika hatte sogar einen Präsidenten gehabt, der an den Rollstuhl gefesselt war. Aber die Wahrheit war, es spielte eine Rolle – für ihn selbst, für sein Selbstwertgefühl, sein Ego und seinetwegen auch für sein Seelenheil. Er wusste nicht, ob er damit leben konnte. Und im selben Moment als diese Erkenntnis in ihm reifte, keimte auch die Wut in ihm. Verdammt, hatte er nicht bereits genug durchlitten, genug Opfer gebracht? Was forderte man noch alles von ihm?

    Mühsam rappelte er sich aus dem Sessel hoch. Es wurde bereits dunkel, vor seinem Fenster versank eine blassgelbe Sonne im eisigen, arktischen Meer das Atlantis umgab. Doch er hatte keinen Blick für die Schönheit der Stadt, die silbern in der Abendsonne glänzte. Zornig tastete er im Halbdunkel des Zimmers nach den Krücken, stieß mit der Hand dagegen und schob sie damit unweigerlich außer Reichweite. Er knurrte, fasste nach, musste zusehen, wie die Krücken wegrutschten und schließlich auf den Boden fielen.

    „Verdammt“, entfuhr es ihm hinter zusammen gebissenen Zähnen.

    Er stützte sich auf die Armlehne des Sessels, machte einen Schritt, knickte weg, verlor den Halt, krachte mitsamt umkippendem Sessel auf den Boden und blieb schwer atmend liegen. Nach einer Weile begann er laut zu fluchen. Die Krücken lagen direkt neben ihm, schienen ihm höhnisch entgegen zu grinsen. Er packte sie und schleuderte sie in einem hilflosen Anfall von Zorn durchs Zimmer ohne darüber nachzudenken in was für eine Situation er sich damit brachte.

    Es war ihm egal.
    Alles war ihm in diesem Augenblick egal.

    Auch als heiße Tränen in seinen Augen brannten scherte ihn das nicht. Er rollte auf die Seite und zog unter fast unerträglicher Pein die Knie so fest an den Bauch wie er konnte – nahm unbewusst die Fötushaltung ein, ballte die Hände zur Faust bis die Knöchel weiß hervortraten, die Fingernägel schmerzhaft in seine Handflächen stachen und presste sie hart auf Augen und Stirn. Eine ganze Weile lag er so, hielt den Atem an und rührte sich nicht. Er fühlte wie sich der Druck in seiner Brust immer mehr aufbaute, schmerzhaft sein Herz umklammerte und sich alle Muskeln in ihm zu dicken Knoten verkrampften.

    Erst als ein paar Hände ihn packten, langsam in eine sitzende Position zogen und starke Arme sich schützend um seine Schultern legten, schnappte er nach Luft wie ein Fisch auf dem Trocknen, japste und keuchte wie unter einem Erstickungsanfall, bis schließlich ein klagendes Schluchzen seiner Kehle entwich, das in krampfartigen Atemzügen gipfelte. Und mit dem hektischen Ein- und Ausatmen kamen die Tränen. So sehr er auch versuchte, sie mit dem Druck seiner Fäuste zurückzudrängen, sie bahnten sich ihren Weg aus seinem Inneren, rannen über sein Gesicht und nahmen ihn mit sich. Er sank wehrlos gegen den Körper, der ihn hielt, spürte rauen Stoff an seiner Wange, fühlte Wärme und den festen, gleichmäßigen Schlag eines anderen Herzens. Leise beruhigende Laute drangen an sein Ohr. Und während er sich dem uralten Takt des hin und her Wiegens überließ, löste sich der Krampf, gab ihn frei und er lernte endlich wieder loszulassen und zu weinen.

    ***

    Daniel hielt Jacks bebenden Körper fest an seine Brust gedrückt, wiegte den Mann sanft wie ein Kind und murmelte beruhigende Worte. Nur zu gut erinnerte er sich noch an den Tag an dem Jack genau das für ihn getan hatte im Schatten eines Lagerraumes, nachdem er – getrieben durch die Entzugserscheinungen des Sarkophags – versucht hatte seinen besten Freund zu töten. Das Leben hatte sie härter gemacht, seitdem. Doch so sehr sie es meist schafften, ihre privaten Dämonen im Zaum zu halten, entfliehen konnten sie ihnen nie. Und so war es auch für Daniel nur eine Frage der Zeit gewesen, wann O’Neill zusammenbrechen würde.

    Die ganze Zeit über hatte er gewusst, wie sehr Jack litt, wie mühsam er an seiner Disziplin festhielt. Und die letzten Wochen und Monate, all die OP’s, Versuche und Tests, letztlich auch das immer wieder Hoffen und enttäuscht werden, hatten massiv an der Oberfläche gekratzt und die Mauer schließlich zum Einsturz gebracht, die Jack für gewöhnlich um seine Seele errichtete. Daniel hatte schon immer befürchtet, dass diese Mauer seinen Freund eines Tages unter sich begraben würde und jetzt war er da – dieser Tag!

    Nachdem Jack den Konferenzraum verlassen hatte, fanden sie nach dem ersten Schock wieder zu ihrer Diskussion zurück und Daniel zeigte Bilder des Diskos von Festos, präsentierte seine Aufzeichnungen der Inschrift und die Ergebnisse seiner Proben aus Akrotiri. Sie waren zu einer sensationellen Entdeckung gelangt und er war direkt zu Jacks Quartier gegangen, um ihn davon in Kenntnis zu setzen. Als niemand auf das Türzeichen reagierte, ließ er die Sicherheitssperre außer Kraft setzen und fand Jack in diesem jämmerlichen Zustand vor. Ohne Zögern war er neben ihm auf den Boden gesunken, wohl wissend, dass Worte nun nicht gefragt waren. Er bekämpfte den eigenen Schmerz ob der Verzweiflung seines Freundes, stellte keine Fragen, sondern war einfach nur da. Es war ihm egal, ob es richtig war was er tat. Er handelte instinktiv, die Tatsache dabei völlig außer Acht lassend, dass Jack so gut wie nie Schwäche vor ihm gezeigt hatte. Regungen der Trauer und Zeichen körperlichen Schmerzes, ja das schon. Aber nie war Jack zusammengebrochen. Immer war er derjenige gewesen, der Trost gespendet, Halt gegeben und Zuversicht verbreitet hatte. Oft war dazu seine bloße Anwesenheit ausreichend gewesen, manchmal hatte sogar seine Sturheit allen Anwesenden die nötige Kraft verliehen, um weiterzumachen. Meist jedoch war es sein Zynismus und Hang zum Sarkasmus gewesen, der jeder Situation – und sei sie ihnen noch so ausweglos erschienen – etwas Heiteres, Positives eingehaucht hatte.

    Gerade für Daniel war Jack immer da gewesen. Daniel verdankte ihm viel, hatte viel gelernt, Dinge, die ihm beim Überleben halfen – körperlich wie seelisch. Und nun war es endlich mal an ihm davon etwas zurückzugeben, etwas von seiner Stärke, seiner Jugend, seiner Zuversicht. Und so hielt er Jack, wartete geduldig, bis das hektische Keuchen zu einem leisen Ein- und Ausatmen verebbte und von dem halb erstickten Schluchzen nur noch ein gelegentliches Schniefen zurückblieb.

    Nach einer halben Ewigkeit, die Sonne war bereits untergegangen, brachte er Jack vorsichtig auf die Beine, führte ihn zum Bett und half ihm beim Hinlegen. Sie sprachen kein Wort, während Daniel ein Kissen unter Jacks Kniekehlen schob, ihm die Schuhe auszog und ihn zudeckte. Willenlos ließ Jack Daniels Fürsorge über sich ergehen, fixierte einen Punkt an der Decke und mied jeden Blickkontakt.

    Daniel seufzte. Er verstand Jacks Weigerung zu sprechen. Wahrscheinlich war es seinem Freund unangenehm, dass Daniel ihn in diesem schwachen Moment erlebte. Schließlich war Jack ein stolzer Mann, der sich nicht gerne eine Blöße gab. Und Daniel akzeptierte Jacks Ablehnung, ließ ein schwaches Nachtlicht brennen und entschied ihn allein zu lassen, doch Jacks Stimme hielt ihn zurück.

    „Warum, Daniel?“

    Es war mehr ein Flüstern, kaum verständlich, doch genug für Daniel um zum Bett zurückzukommen und auf seinen Freund hinunterzublicken.
    Jacks Blick wich ihm nun nicht mehr aus. Traurig ruhten die dunklen Augen auf Daniels Gesicht und dem Archäologen fehlten die Worte. Er suchte danach, nach irgendetwas, das Jack Trost geben konnte, scheiterte jedoch kläglich. Er dachte an den Diskos, an die Inschrift, die sie glaubten entschlüsselt zu haben und entschied, Jack an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Er zögerte kaum wesentlich, setzte sich auf die Bettkante und zog ein gefaltetes Blatt Papier aus der Hosentasche. Bedächtig glättete er es auf seinen Oberschenkeln, fühlte wie Jack ihn dabei beobachtete und erklärte dann leise: „Ich hab McKay und Sheppard die Inschrift gezeigt. Ich bin die ganze Zeit schon von der Überlegung ausgegangen, dass die Erfindung einer Schrift, die mit Hilfe von Stempeln geschrieben wird, das Vorhandensein einer existierenden Schriftkultur voraussetzt. Neben der Diskosschrift müsste es somit eine weitere, mit einfacheren Hilfsmitteln geschriebene Schrift geben. Wir haben die Zeichen auf dem Diskos mit den antikischen Schriften unterschiedlicher Zeitachsen in Atlantis verglichen und glauben, dass die Diskosschrift eine parallele Druckschrift darstellt. McKay hat herausgefunden, dass sich ähnelnde Zeichen in beiden Schriften die gleiche Verwendung finden. Insbesondere die häufigen Schlusszeichen des Diskos sehen zum Beispiel Schriftzeichen ähnlich, die in Antikisch häufig am Wortende vorkommen. Durch den Vergleich mit dem uns bekannten Antikisch gelingt es, die Silbenwerte zahlreicher Diskoszeichen zu bestimmen…“

    „Daniel, komm zur Sache“, unterbrach Jack ungeduldig seinen Redefluss und zum ersten Mal seit Daniel begonnen hatte zu sprechen, hob er die Augen von dem Blatt Papier auf seinem Schoß.

    Er blickte zu Jack, der sich unter der Decke hervor geschält und in eine etwas aufrechtere Position gebracht hatte. Er lag nun halb auf der Seite, stützte das Gewicht auf dem Ellbogen ab und sah Daniel abwartend an.

    „Entschuldige…“, sagte Daniel mit einem schiefen Grinsen.

    Er war in seiner Begeisterung übers Ziel hinausgeschossen, hatte sich in unnötigen Erklärungen verloren, denen Jack natürlich nicht folgen konnte. Doch sein Freund erwiderte das schiefe Grinsen und nickte ihm aufmunternd zu.

    „Der Diskos gibt einen Text mit vollständigen Sätzen wieder. Er entstammt einer Art altem antikischen Dialekt, einer Schriftform, die irgendwann nicht fortgeführt wurde, wahrscheinlich älter als alles was wir bisher in geschriebenem Wort von den Antikern gefunden haben. McKay sagt Carson Beckett hätte in den medizinischen Aufzeichnungen von Atlantis einige dieser alten Schriften gefunden…“

    Daniel machte eine Pause, sah wieder auf das Blatt und reichte es schließlich Jack.

    „Wir haben uns an einer Übersetzung versucht… aber wenn meine Vermutung richtig ist, müsstest du das lesen können…“

    Jack starrte auf das Papier, überflog die aneinandergereiht, feinsäuberlich abgezeichneten Schriftzeichen des Diskos. Daniel sah wie sich seine Stirn in Falten legte, und wenn dies überhaupt möglich war, so verlor sein Gesicht noch etwas mehr an Farbe. Jack kniff die Augen zusammen, um besser lesen zu können. Ein paar Mal öffnete sich sein Mund, doch es kam kein Wort heraus.

    „Wenn unsere Übersetzung richtig ist“, begann Daniel schließlich. „Bedeutet die erste Zeile so viel wie ‚dies ist jene Energie, die alles durchwirkt, ins Sein bringt und am Sein erhält. Die Essenz und formgebende Kraft von allem, was ist’…“

    Daniel brach ab und beobachtete Jack still, dessen Augen noch immer hektisch über die Schriftzeichen flogen. Daniel war sicher, dass Jack verstand, das Wissen war da – in seinem Kopf -, tief vergraben zwar, aber erreichbar. Komm schon Jack, dachte Daniel, du kannst das. Und O’Neill enttäuschte ihn auch diesmal nicht.

    „Durch deine Hände lässt du es geschehen…“, murmelte Jack zögerlich. „Für dich und alle, die deine Hilfe benötigen.“, fuhr er dann fester fort, immer flüssiger kamen die Worte, bildeten Sätze und gaben schließlich allem was geschehen war einen Sinn: „Die Stimme deines Herzens bestimmt deinen Weg. Und so wie du eine fremde Wunde vor Vertiefung schützt, sie pflegst und ihr Heilung einräumst, so gilt es dein eigenes Wundsein anzunehmen, zu schützen und zu pflegen, damit sich deine Heilerqualität im Laufe deines Lebens frei entfalten kann.“

    Daniel schluckte, würgte den Kloß in seinem Hals hinunter und schwieg. Jack hatte aufgehört zu lesen, starrte noch immer auf das Blatt und Daniel konnte sehen welche Mühe es seinen Freund kostete die Fassung zu wahren, viel zu dünn war noch das Eis auf dem sie sich bewegten und Daniel fürchtete bereits es würde wieder brechen. Doch Jack fasste sich, räusperte sich vernehmlich, ließ das Blatt sinken und sah Daniel an. Traurigkeit lag in seinem Blick genauso wie Erkennen und Verstehen und Daniel hätte schwören können, dass da noch etwas war. Etwas Neues, Fremdartiges, etwas das vorher nicht in Jacks Blick zu finden gewesen war: Weisheit, Ergebenheit und… ja, und Demut…

    „Wie?“, fragte Jack nur und nun schwang auch wieder der alte so vertraut gewordene Befehlston in seiner Stimme mit.

    „Wir wissen es nicht genau…“, begann Daniel. „Wir vermuten der Diskos ist eine Art Speicherplatte… wie eine Disk, die das sämtliche Wissen der Heiler beinhaltet. Keine Ahnung, wie sie auf die Erde gelangt ist. Jedenfalls scheinst du die Energieübertragung aktiviert zu haben, als du den Diskos in Iraklion angefasst hast. Der Speicher hat das Gen in dir erkannt, aktiviert, und das Wissen in die Bereiche deines Gehirns übertragen in denen die Antiker-Datenbanken verborgen liegen… Wir glauben, dass der Diskos nur die Teile der Datenbanken aktiviert die du zur Verarbeitung des Heiler-Wissens benötigst. Der Rest deines Bewusstseins bleibt unangetastet. So bleibst du du selbst und funktionierst weitgehend unbeschädigt…“

    Daniel brach ab und biss sich auf die Unterlippe. Er hätte sich ohrfeigen mögen, weil er diesen Vorgang so technisch beschrieb, als sei Jack eine Maschine, eine Art Roboter und nicht ein Mensch aus Fleisch und Blut.

    „Also ist die gute Nachricht, dass ich nicht den Verstand verliere…“

    „Jack…“

    „Nein, nein, Daniel… ich versteh das schon.“, meinte Jack. „Wir können was passiert ist nicht rückgängig machen. Es ist wie es ist.“

    „McKay und Dr. Keller…“

    „Nein, Daniel“, unterbrach ihn Jack schroff. „Keine weiteren Versuche mehr. Ich vermisse Ba’al… ich vermisse D.C.“

    Jack lachte gequält, ob der Unglaublichkeit dieser Tatsache. Müde ließ er sich auf den Rücken zurücksinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

    „Ich will in mein Leben zurück“, betonte er dann mit Nachdruck. „Bring mich heim, Daniel!“

    Daniel seufzte, nickte ergeben und senkte den Kopf. Er wollte widersprechen, spürte, dass sie noch nicht am Ende waren, doch er wollte jetzt nicht weiter in Jack dringen, respektierte den Wunsch seines Freundes und erhob sich schließlich mit einem leisen: „Okay!“

    Er regelte das Nachtlicht etwas weiter herunter, brachte den Sessel wieder in seine ursprüngliche Position, hob die Krücken auf, lehnte sie in für Jack erreichbarer Nähe an das Bett und ging dann leise zur Tür.

    Mit nichts wollte er die Ruhe stören. Und am allerwenigsten wollte er, dass Jack sich genötigt fühlte noch etwas zu sagen oder gar sich zu entschuldigen…
    Kein unnötiges Wort sollte diesen kostbaren Augenblick in ihrer Freundschaft schmälern. Und so lächelte Daniel einfach in die Stille, glaubte, dass Jack es ebenfalls tat und überließ ihn dann der Nacht in Atlantis.

    ***

    O’Neill packte seine Sachen…

    Allmählich bekam er wieder Übung darin. Durch die Jahre des Nichtstuns – nein, des steten Lebens, das sein Schreibtischjob in D.C. nun mal so mit sich brachte – war ihm das Kofferpacken zum Graus geworden, doch durch die letzten Monate fand er zur alten Routine zurück. Nach fest eingefahrenem Ablauf warf er die wenigen Kleidungsstücke und Toilettenartikel in seine Reisetasche, humpelte mit einer Krücke zwischen Nasszelle und Wohnraum hin und her und beeilte sich fertig zu werden.

    In einer halben Stunde brachte ihn ein Hubschrauber zurück zum Festland und nach einem kurzen Aufenthalt in der nächstgelegenen Air Force Base ging es dann mit einer Transportmaschine weiter nach D.C. Er sehnte sich nach seinen vier Wänden, nach seinem eigenen Bett… In Gedanken krallte er bereits die Finger in Ba’als dichtes, weiches Fell, hörte das beruhigende, sonore Schnurren… Er hoffte dem Kater ging es gut und fragte sich wie so oft in den letzten Tagen, ob Davis sich auch liebevoll um ihn kümmerte.

    Jack lächelte versonnen. Am Anfang war er über Daniels vierbeiniges Geschenk entsetzt gewesen und jetzt konnte er sich ein Leben ohne den Kater gar nicht mehr vorstellen…

    Er warf seinen Rasierapparat in die Reisetasche und machte sich daran den Rest seiner Sachen zu holen. Er war erstaunt, wie gut er inzwischen mit den Krücken klarkam. Stimmte wohl, dass man sich an alles gewöhnen konnte… und Übung machte eben doch den Meister. So ist es richtig, alter Junge, sagte er sich selbst. Nur nicht unterkriegen lassen, schließlich gehörte Kampfgeist mal zu seinen Tugenden…

    Vielleicht lag sein derzeitiges Hochgefühl aber auch an der Tatsache, dass er endlich nachhause kam, oder an den durchaus erträglichen Schmerzen der letzten Tage, nachdem Dr. Keller ein neues Medikament an ihm ausprobiert hatte, so dass er ganz passabel mit nur einer Krücke zurechtkam. Es ging ihm nicht gut, aber besser…

    Und zu seinem eigenen Erstaunen schien er sich mit seiner Situation zu arrangieren und abzufinden. Zwar war er noch weit davon entfernt, mit sich im Reinen zu sein, aber er lernte das Chaos in seinem Kopf allmählich beherrschen, verstand was mit ihm passierte und vor allem warum…

    Immer wieder setzte er sich gedanklich mit dem Text des Diskos auseinander. Er suchte nach der nötigen Demut in sich um das was ihm passierte als Bestimmung anzunehmen. Und so verebbte die Wut ob der eigenen Hilflosigkeit allmählich und seine rastlose Seele kam endlich zur Ruhe. Seine Dämme waren gebrochen. Er hatte zugelassen, dass ihn seine Verzweiflung beherrschte, dennoch empfand er keine Scham, wenn er sich an seinen Zusammenbruch erinnerte. Es war fast so als habe ihn das Weinen gereinigt, von allem was ihn zermürbte und quälte. Und die Tränen hatten weitaus mehr aus ihm herausgewaschen als den Schmerz und die Qual der letzten Monate. Seit Jahren hatte er nicht mehr geweint – nicht auf diese Art und schon gar nicht in der Gegenwart eines anderen Menschen. Es fühlte sich gut und richtig an, dass es schließlich Daniel gewesen war, der ihn so erlebt hatte, der ihn stützte, ihm Halt gab und Kraft…

    Er war gerade auf dem Weg zurück zu seiner Tasche als das Türzeichen erklang.

    „Immer herein“, rief er laut und fand sich wenige Augenblicke später Sam Carter gegenüber.

    „Sir“, sagte sie leise und blieb etwas unschlüssig an der Tür stehen.

    Er erwiderte den Gruß, setzte dann seine Arbeit fort und vermied es sie anzusehen. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass dies kein Höflichkeitsbesuch war. Und Jack war wirklich nicht sicher, ob er hören wollte, was sie ihm zu sagen hatte.
    Er fühlte ihren strengen, nachdenklichen Blick auf sich ruhen und endlich brach sie die Stille indem sie tadelte: „Sie wollen also tatsächlich aufgeben!“

    Er wusste es.

    „Ich werde nicht mit Ihnen darüber diskutieren, Carter“, meinte er nur und zog energisch den Reißverschluss der Tasche zu.

    „Ich habe Sie noch nie vor etwas davonlaufen sehen, Sir…“, meinte sie hartnäckig und fügte mit einem leisen Lachen hinzu: „…außer vielleicht vor mir.“ Sie kannten sich lange genug, dass sie sich diese Vertraulichkeit erlauben durfte.

    Er lachte und es schwang eine gehörige Portion Bitterkeit darin mit. Doch sie hatte Recht. Jahrelang hatte er die Augen vor der Wahrheit verschlossen, beharrlich die Tatsache geleugnet, dass aus Freundschaft Liebe geworden war, ja und schließlich irgendwann aus Liebe wieder Freundschaft…

    Jack stützte sich auf seine Krücke, wandte sich ihr zu und sah sie an.

    Sam trug das Haar offen. Locker fiel es ihr in die Stirn und über die Schultern. Es ließ sie jünger aussehen und gleichzeitig reifer. Ihre Züge waren von den Erfahrungen der vergangenen Jahre geprägt und dennoch strahlte sie von innen heraus, so als bräche im dicksten Winter gleich der Frühling aus. Wenn dies überhaupt möglich war, so hatten sie die Jahre noch schöner gemacht und ob Jack es sich nun eingestehen wollte oder nicht, das neue Kommando schien ihr gut zu tun. Plötzlich fragte er sich, wie die Dinge zwischen ihnen heute wohl stünden, wenn sie andere Entscheidungen getroffen hätten. Doch sie kannten sich einfach zu lange, funktionierten zu festgefahren in alten gewohnten Verhaltensmustern, als dass sie wirklich in der Lage gewesen wären, eine richtige Beziehung aufzubauen.

    Er räusperte sich und wandte den Blick von ihrem Gesicht. Sie studierte ihn, schien in seinen Gedanken zu lesen und das gefiel ihm nicht. Es war auch so schon alles kompliziert genug.

    „Davonlaufen würde mir wohl etwas schwerfallen…“, meinte er deshalb sarkastisch mit einem Wink auf die Krücke.

    Es war ein kläglicher Versuch den Moment aufzulockern und das Ergebnis waren strenge Sorgenfalten auf Sams Stirn.

    „Kampflos das Feld zu räumen passt nicht zu Ihnen, Sir!“

    „Gegen wen oder was soll ich denn kämpfen, Carter? Es gibt keinen Feind. Und gegen das Gen in mir zu kämpfen, hieße gegen Windmühlen anzugehen. Es wäre ein aussichtsloser Kampf, der mich nur noch mehr Kraft und Energie kostet… Ich weiß, wann es an der Zeit ist für einen Rückzug“, führte Jack leidenschaftslos aus und vermied es dabei sie anzusehen.

    Er wusste sie war enttäuscht von ihm. Doch was machte das schon? Er war nicht mehr der Mann, den sie vielleicht einmal geliebt hatte, er war nicht einmal mehr der Mann, den sie früher als ihren CO kannte. Er hatte sich verändert. Er war müde geworden. Gehörte schon lange nicht mehr zur Einsatztruppe… Eigentlich wollte er nur noch in Ruhe sein Leben führen, und wenn Demut dazugehörte, um es einigermaßen lebenswert zu gestalten, so sollte er verdammt sein, wenn er das nicht hinkriegte.

    „Sie gehören immer noch dazu, wissen Sie?“, begann Sam sanft und traf damit einen sehr empfindlichen Nerv in ihm.

    Er sah zu Boden, presste fest die Kiefer aufeinander, konnte jedoch nicht verhindern, dass das Blut verräterisch in seinen Schläfen pulsierte.

    „Sie sind immer noch Jack O’Neill“, fuhr Sam fort und verringerte den Abstand zwischen ihnen, wahrte jedoch eine respektvolle Distanz.
    „Sie sind General der Air Force, Chief der Homeworld-Security, Bezwinger von Ra und Apophis…“

    „Ja, und ich hab eine scheiß Angst“, unterbrach er ihre Aufzählung leise und biss sich sofort auf die Lippen.

    Er wollte das nicht sagen, dennoch waren ihm die Worte herausgerutscht und nun da sie erst einmal ausgesprochen waren untermauerten sie das Gefühl als Tatsache, die sich nicht mehr vom Tisch wischen ließ. Noch nie war er in einer solch ausweglosen Situation gewesen. Nichts tun zu können, keine Veränderung herbeiführen zu können, völlig hilflos dem Lauf der Dinge entgegenzublicken war mehr als er ertragen konnte. Und Sam wusste das. Nur deshalb war sie hier.

    „Ich weiß…“, sagte sie leise, streckte die Hand nach ihm aus und überbrückte so den letzten Raum zwischen ihnen.

    Sie zog ihn vorsichtig in eine feste Umarmung, die ihn kurz schwanken ließ und ihm dann doch Halt gab. Seine freie Hand schlang sich um ihre Taille und er vergrub das Gesicht in ihrem weichen Haar, atmete tief ihren Duft ein, schloss die Augen und verlor sich in diesem Moment. Nichts zählte mehr, nichts war mehr von Bedeutung, alles was er wollte war das Gefühl der intensiven Nähe zu ihr, wie es schon seit Jahren nicht mehr der Fall gewesen war. Lange verharrten sie in dieser Position, er hatte jede Vorstellung von Zeit verloren.

    Irgendwann lockerte Sam jedoch die Umarmung und nur widerstrebend löste Jack sein Gesicht von ihrer Halsbeuge, richtete sich ein wenig auf und sah sie an. Ihre großen, blauen Augen ruhten traurig auf ihm und trugen einen verräterischen Glanz. Wann hatte sie ihn zuletzt so angesehen? Er konnte sich kaum mehr daran erinnern…

    Unweigerlich versank er in ihrem Blick, saugte die Wärme auf, die ihm aus ihren Augen entgegen sprang, tankte neue Energie aus der stummen Vertrautheit zwischen ihnen und realisierte plötzlich, dass da mehr war…
    Sein Verstand meldete sich schlagartig wieder zu Wort und verbot ihm, das Gefühl in ihrem Blick als das zu interpretieren was es augenscheinlich war. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Diese Dinge gehörten der Vergangenheit an. Sie waren Freunde… und er ein Krüppel.

    „Gehen wir, Carter?“, rang er sich schließlich ab und stellte wieder ausreichend Distanz zwischen ihnen her.

    „Ja, Sir“, erwiderte sie mit einem einvernehmlichen Lächeln. „Gehen wir.“


    ***

    Seite an Seite erreichten O’Neill und Carter wenig später die Kommandozentrale. Dort wurden sie bereits von Daniel, McKay und Dr. Keller erwartet. Das Gesicht der Ärztin war ernst. Und ein Blick in Daniels sorgenvolle Miene machte Jack deutlich, dass irgendetwas nicht stimmte.

    „Was ist los?“, nahm Sam ihm die Frage ab.

    „Wir können sie nicht gehen lassen“, meinte Rodney vorlaut, verwies in einer hilflosen Geste auf Dr. Keller und bezog Besitz ergreifend neben Sam Stellung. Er ließ sich dabei seine Abneigung gegenüber O’Neill deutlich anmerken.

    Jack nahm sich vor, McKay einfach zu ignorieren und sah stattdessen erwartungsvoll zu der jungen Ärztin.

    „Was haben sie mir zu sagen, Doc?“

    Dr. Keller seufzte.

    „Sie erinnern sich, dass ich vor ein paar Tagen noch einige Blutproben von ihnen untersucht habe, um die Dosierung des neuen Medikamentes zu bestimmen…“

    O’Neill nickte, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und stützte sich schwer auf die Krücken. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass es ihm nicht gefallen würde, was die junge Frau ihm zu sagen hatte. Und die Tatsache, dass Carter und er die einzigen Personen im Raum zu sein schienen, die die Neuigkeit noch nicht kannten, trug nicht gerade zu seiner Beruhigung bei.

    „Ich habe ein Virus gefunden, das letzte Woche noch nicht nachweisbar war und das mir einige Rätsel aufgibt.“

    „Ich fühle mich nicht krank“, bemerkte Jack verwirrt.

    „Sie klagen seit Tagen über Kopfschmerzen“, widersprach Dr. Keller und fuhr mit ihren Ausführungen fort:

    „Das Virus ähnelt dem zerebrospinalen Meningitis Virus. Allerdings scheint es sie nicht krank zu machen, oder sie können sich selbst soweit heilen, dass die Krankheit nicht vollständig ausbricht. Jedenfalls kann ich sie nicht gehen lassen, solange ich nicht sicher bin, dass keine Ansteckungsgefahr besteht…“

    „Aber wenn Jack dieses Virus schon seit einiger Zeit trägt, hätten wir uns da nicht schon längst anstecken müssen?“, fragte Daniel.

    Dr. Keller wirkte unsicher.

    „Wir wissen nicht wie sich das Virus wirklich verhält…“, begann sie zögernd und sah schließlich zu Jack. „Ich habe ihre medizinischen Daten mit ihrer Akte verglichen. Ihre Gehirnchemie scheint sich verändert zu haben.“

    „Sie denken, der Diskos hat das Virus übertragen?“, kam es von Daniel ungläubig.

    „Zusammen mit dem Wissen der Heiler, meinen Sie? Möglich wäre es, ja… Vielleicht gehört das eine untrennbar zum Anderen…“, sinnierte Dr. Keller laut.

    Zerebrospinale Meningitis!
    Wo verdammt war er schon einmal mit dieser Krankheit konfrontiert worden? Denk nach, Jack, schalt er sich selbst. Die Bezeichnung klang vertraut und ein leises Echo hallte in seinem Kopf. Er suchte Sam Carters Blick und er erkannte in ihren Augen, dass sie an das gleiche dachte wie er…
    Er war krank gewesen, schwer krank. Fraiser hatte ihm nicht helfen können. Das Fieber drohte ihn zu verbrennen und kein Medikament der Welt konnte es damals aufhalten. Geheilt hatte ihn schließlich ein Tokra Wurm, den sie in seinen Schädel steckten… Kanan…

    „Ayiana“, sprach Sam schließlich den Namen aus, der ihm die ganze Zeit schon im Kopf herum spukte. „…wir haben sie damals in der Antarktis gefunden!“

    TBC


  13. #13
    Turbo-Denker/Seher alias Beamter Avatar von Dakimani
    Registriert seit
    07.09.2007
    Ort
    Steiermark
    Beiträge
    633

    Standard

    OMG...................ich komm garnicht mehr aus dem schwermen deiner storry!!!
    einfach großartig.....staffel 11 ist geboren

    endlich zeigte jack, dass auch er nur ein mensch war.....endlich brach die dicke wand die er immer um sich herum aufzog..........nochdazu vor daniel

    ach....wie schön sind doch die momente zwischen jack+sam.....finde die beiden einfach nur bezaubernt!!!

    uhuuuuuu.......jetzt wirds wieder spannend, jack hat also den Virus in seinem kopf.....wenn ich mich jedoch recht erinnere ist doch "Ayiana" damals gestorben oder nicht??

    bin schon gespannt wie das hier weiter geht mit.....dem virus, atlantis, jack+sam, jack+daniel, Ba´al+Paul usw.

    lg

  14. #14
    Lieutenant General Avatar von Antares
    Registriert seit
    16.09.2007
    Beiträge
    4.809
    Blog-Einträge
    1

    Standard

    Du hast auch in diesem Kapitel die Personen wieder sehr schön getroffen, besonders den alternen General, der große Mühe hat, seine Situation zu aktzeptieren und damit umzugehen.
    Ich kann mir schon vorstellen, dass er dann zum Ekel werden kann, wenn er sich in dem Moment auch selbst nicht leiden kann.

    Was für ein Glück für ihn, dass er sogar zwei Menschen hat, die ihm ganz, ganz fest zur Seite stehen und bei denen er für kurze Momente seine Maske ablegen kann.

    Jetzt bin ich ja mal gespannt, ob Sheppard mit seinem Gen noch etwas zur Aufklärung des Falles beitragen kann - ob es z.B. möglich ist, ihn ebenfalls den Diskos anfassen zu lassen, um so neue Erkenntnisse zu gewinnen. Denn da es immer gehießen hat, er wäre neben O'Neill der stärkste Genträger, den die Erde hat, wird ja vielleicht ein Teil des Schlüssels zur Lösung des Problems bei ihm liegen.

    Ich bin schon mal sehr gespannt!

  15. #15
    Senior Airman
    Registriert seit
    25.12.2009
    Beiträge
    33

    Standard

    Vielen Dank Dakimani und Antares dass Ihr dran bleibt. Ich weiß, ich quäle den armen Jack schon sehr... Aber irgendwie ist das meine Spezialität
    Hier geht es also weiter mit Kapitel 5

    ************************************************** ********

    5. Kapitel: Ayiana – Die ewige Blüte



    „Ayiana wurde von Wissenschaftlern in der Antarktis gefunden, in der Nähe des dort entdeckten Stargates. Schätzungen zufolge war sie etwa dreißig Jahre alt, lag aber mindestens drei Millionen Jahre im Eis. Ihre Zellen waren völlig intakt, was unüblich für gefrorenes Gewebe ist. Normalerweise würden Eiskristalle die Zellstruktur zerstören…“

    Sam Carter berichtete ruhig und konzentriert von den damaligen Erlebnissen. Es fiel ihr nicht schwer sich daran zu erinnern, schließlich hatte sie damals den Missionsbericht verfasst, da Jack O’Neill dazu nicht in der Lage gewesen war.

    „Als wir sie aufgetaut hatten, erwachte sie von selbst zum Leben. Sie lernte sehr schnell unsere Sprache, verstand sofort was Jonas sagte, wenn sie auch selbst fast nicht redete.“

    Sie bemerkte die fragenden Gesichter der Anwesenden und ergänzte:

    „Jonas Quinn. Er war damals Mitglied von SG-1. Daniel war…“

    Sie brach ab und suchte Daniel Jacksons Blick. Ihr fehlten die Worte zu beschreiben, was Daniel damals widerfahren war. Es wussten ohnehin alle. Unnötig es zu erklären. Er lächelte schief und nickte ihr aufmunternd zu. Natürlich kannte Daniel den Bericht. Er hatte sie alle nach seiner Rückkehr von den Aufgestiegenen gelesen und das ein oder andere Detail bei Jonas oder Sam hinterfragt. Ihm musste sie nichts mehr erklären. Aber Rodney und Dr. Keller hingen interessiert an ihren Lippen und Sam fragte sich insgeheim, ob sie der jungen Ärztin auch nur den geringsten Hinweis liefern konnte.

    „Ayiana schien sich ungewöhnlich schnell selbst heilen zu können. Aber ihr fehlte jede Erinnerung an die Zeit vor ihrem Auftauen. Ihre Gehirnwellen zeigten Übereinstimmungen mit denen von General O’Neill zu der Zeit, als die Antiker Datenbank in sein Gehirn geladen worden war und bisher inaktive Teile seines Gehirns aktiviert hatte. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass Ayiana einer Evolution entstammte, die vor der bisher bekannten stattgefunden hatte. Auf jeden Fall war sie gewissermaßen ein weiter entwickelter Mensch. Wir vermuten, dass sie eine Antikerin war. Scheinbar wurde sie als einzige zurückgelassen. Warum konnten wir nicht herausfinden.“

    Sam machte eine Pause, seufzte, dachte an Jack der bereits seit einigen Stunden wieder im Nebenzimmer lag angeschlossen an ein EEG und andere Maschinen, die seine Körperfunktionen genauestens überwachten.

    „Ayiana trug eine gefährliche Krankheit in sich, die ihr selbst allerdings nichts anzuhaben schien. Jedenfalls wurden wir nach und nach alle krank bis auf Teal’c. Wir hatten hohes Fieber und zeigten keine Reaktion auf Antibiotika. Janets…, Dr. Fraisers, Untersuchungen deuteten auf einen Virus hin. Sie verglich die Erkrankung ebenfalls mit zerebrospinaler Meningitis. Ayiana gelang es, uns alle zu heilen, bis auf General O’Neill… Bei jedem Heilungsprozess, schien sie an Kraft zu verlieren. Und sie starb bevor sie den General retten konnte.“

    Sam brach ab und drängte die Erinnerungen an das zurück, was auf Ayianas Tod hin folgte. Jacks Leben hatte damals am seidenen Faden gehangen. Seine einzige Rettung lag in einem Tok’Ra Symbionten. Sie hatte sich oft gefragt, ob sie ihn heute wieder dazu überreden würde. Und kam auch nun wieder zu dem Schluss, dass sie alles getan hätte, um ihn nicht zu verlieren… So wie jetzt! Sie hatte schließlich damals nicht wissen können, welches Chaos auf die Verschmelzung mit Kanan folgen würde, welche Qualen Jack unter Ba’al erleiden sollte…
    Sie schüttelte sich innerlich und suchte Daniels Blick. Auch er schien tief in Gedanken versunken und weit weg zu sein…
    Manche Dämonen kehrten wieder und wieder zurück. Man konnte sie eine Weile niederknüppeln und wegsperren, doch sie waren immer noch da, allzeit bereit, an die Tür zu klopfen und zu sagen: Hier bin ich, glaube ja nicht, dass du mich los wirst.
    Oft geschah dies gerade in Situationen in denen man sich besonders sicher fühlte. Sie alle kannten diese Momente, dieses ohnmächtige Taumeln und das leise Grauen, das dann wieder von einem Besitz ergriff… und einen unweigerlich vorsichtiger werden ließ.

    „Nun, das würde zumindest erklären, warum Sie sich bisher noch nicht angesteckt haben…“, begann Dr. Keller und blätterte in ihren Unterlagen, die sie vor sich auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet hatte.

    „Die Heilung durch Ayiana hat in ihnen eine Art Immunreaktion ausgelöst… Ich vermute, Dr. Jackson ist immun seit seinem Aufstieg, was uns allerdings vor Ansteckung schützt entzieht sich noch meiner Kenntnis.“, erklärte sie den Anwesenden.

    „Könnte es nicht sein, dass General O’Neill das Virus nie losgeworden ist?“, fragte McKay und rutschte auf seinem Stuhl etwas nach vorn.
    „Nehmen wir an, der Symbiont hat den General damals zwar geheilt aber das Virus nur schlafen gelegt. Könnte es nicht sein, dass das Gen unweigerlich mit dem Virus gekoppelt ist?“

    „Worauf wollen Sie hinaus, Rodney?“, fragte Sam.

    „Fassen wird doch mal Dr. Jacksons Theorie über den Diskos und General O’Neills Heilerfähigkeiten zusammen…“, begann McKay geduldig, stand auf und begann in Dr. Kellers Büro auf und ab zu gehen.

    „Der Diskos ist ein antikisches Artefakt, das das Wissen der Heiler trägt und es nur an die Personen weitergibt, die das Gen der Heiler in sich tragen. Aus einem Grund den wir nicht kennen, trägt General O’Neill dieses Gen. Und er trägt das Virus. Wer sagt uns, dass diese beiden Komponenten nicht zusammen gehören? Vielleicht trugen alle Heiler das Virus… vielleicht ließ sich die Heilerfähigkeit nur so aktivieren. Der General erhält also das Wissen, als er die Scheibe berührt. Die ihm übertragenen Daten finden Zugang zu den von den Asgard mit einer Sperre belegten Teilen seines Gehirns in dem sich nach wie vor die Datenbanken der Antiker befinden. Soweit so gut…“

    Rodney unterstrich seine Ausführungen mit weitreichenden Gesten und war sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer voll bewusst.

    „Korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber jedes Virus macht sich durch einen Entzündungswert im Blut bemerkbar…“

    Dr. Keller nickte.

    „Das Gen wird also aktiv, und da zu dieser Zeit General O’Neills Blutsenkung durch die Entzündung in seinen Kniegelenken bereits sehr hoch ist, sucht das Gen nicht lange nach dem Virus, sondern verbindet sich sofort mit der erstbesten Schwachstelle – einer offenen Wunde – um seine Heilerfähigkeiten frei entfalten zu können. Es sucht sich seine Beine aus. Erst später wird das Virus, vielleicht einem Automatismus folgend, aktiv. Und nun sind diese drei Komponenten untrennbar miteinander verwoben…“

    Daniel zog ungläubig die Augenbrauen empor und schielte über den Rand seiner Brille hinüber zu Sam. Sie gab ihren Zweifeln mit einem leichten Schieflegen des Kopfes Ausdruck. Dennoch, Rodney lieferte ihnen die einzige Erklärung die sie finden konnten, so fantastisch und weit hergeholt sie auch klingen mochte.

    „Wie kam der Diskos ihrer Meinung nach auf die Erde?“, fragte Daniel schließlich und schien gespannt zu sein, welche Geschichte McKay dazu einfiel. Doch Rodney zuckte nur mit den Schultern.

    „Muss ich hier wirklich alles allein erledigen? Sie sind doch hier der Archäologe“, sagte er mit gespielter Empörung.

    „Ich denke viel wichtiger ist die Frage, ob General O’Neill das Virus beherrscht.“, warf Sam dazwischen und blickte fragend zu Dr. Keller.

    „Im Moment hat es den Anschein“, meinte die Ärztin. „Er leidet zwar nach eigener Aussage unter ziemlichen Kopfschmerzen, aber ansonsten zeigt er keinerlei Symptome einer Erkrankung.“

    „Gut“, meinte Sam und erhob sich von ihrem Stuhl. „Ich werde Mr. Woolsey bitten, das Pentagon zu unterrichten. Soll dort entschieden werden, wie wir weiter verfahren…“

    Sie ging bereits zur Tür, die sich im selben Moment öffnete und einen sichtlich angespannten Colonel Sheppard offenbarte.

    „Wir haben eine Nachricht von General Landry erhalten“, erklärte er. „Es gibt Probleme!“

    ***

    „Santorin - Erdbeben versetzt Griechen in Angst…“, las Daniel laut den Bericht, der die Nachricht vom SGC begleitete.

    „Ein Erdbeben der Stärke 6,5 hat heute Morgen Santorin und weite Teile Griechenlands erschüttert und Millionen Menschen in Angst versetzt. Verletzt wurde bei dem Erdbeben niemand. Das Epizentrum lag nordöstlich der Inselhauptstadt Thira nahe der Kleinstadt Akrotiri, wie das Seismologische Institut in Athen mitteilte. Das Beben begann kurz vor 7:15 Uhr Ortszeit und dauerte etwa zehn Sekunden lang.
    Der Erdstoß wurde in fast allen Regionen des Festlandes sowie auf Kreta, den Inseln der Ägäis und den Inseln des Ionischen Meeres registriert. Das Beben wurde sogar im Süden Italiens und in Südalbanien gespürt. Auf der Insel Santorin rannten viele Menschen in Panik auf die Straßen. Wie der griechische Zivilschutz mitteilte, wurde niemand verletzt und die entstandenen Schäden seien gering.
    Erst in der vergangenen Woche waren bei einem Beben der Stärke 5,9 auf Kreta 143 Menschen ums Leben gekommen.“

    Daniel brach ab und schloss sich dem allgemeinen betroffenen Schweigen an. Seine Gedanken liefen auf Hochtouren. Er hatte gelernt, dass es nur sehr selten Zufälle im Leben gab und dies war bestimmt keiner.

    „Dem Bericht zufolge, haben sich die Beben in den letzten Wochen gehäuft.“, meinte Sam so neutral wie möglich. „Hinzu mehren sich die Vorfälle von zerebrospinaler Meningitis in einer ziemlich aggressiven Form, die sich resistent gegenüber Antibiotika zeigt. Es gab bereits mehrere Todesfälle zu beklagen…“

    Sie blickte ernst in die Runde.

    „Das Pentagon fordert uns auf, diese Vorfälle hinsichtlich eines Zusammenhangs mit General O’Neills Zustand zu untersuchen!“

    „Ach“, schnaubte McKay. „Und wie bitteschön sollen wir das anstellen? Steht das vielleicht auch in der tollen Anweisung?“

    Sam ignorierte ihn. Stattdessen hüllte sie sich in den Mantel der Autorität des ranghöchsten Offiziers und verlieh ihren nächsten Worten damit den nötigen Nachdruck.

    „Man befürchtet eine Epidemie und deren Ausbreitung. Die Wissenschaftler glauben an eine bevorstehende Naturkatastrophe. Das Pentagon hat seine volle Unterstützung zugesagt. Das SGC stellt Ressourcen bereit. General O’Neill und Dr. Jackson werden heute noch zum Festland zurückkehren. Colonel Sheppard und Rodney werden die Mission begleiten. Mr. Woolsey hat den Einsatz entsprechend bestätigt.“

    Während Sheppard diese Nachricht mit der gewohnten Gelassenheit eines Offiziers hinnahm, konnte sich McKay die Bemerkung nicht verkneifen, dass sie doch in Atlantis sicher genug Probleme hätten, aber wenn das Schicksal der Erde nun mal sein Genie erforderte würde er sich natürlich gerne opfern.

    Sam ignorierte ihn so gut sie konnte. Rodney McKay hatte sicher auch viele gute Seiten, aber manchmal würde sie ihm am liebsten den Mund stopfen. Dennoch war sie froh, ihn an Jacks und Daniels Seite zu wissen. Rodney verfügte über viel Erfahrung was die Antiker betraf, ebenso wie Daniel. Gemeinsam wären sie sicher ein unschlagbares Team. Sie ergänzten sich in gewisser Weise und sie waren in ihren Theorien schon sehr weit gekommen. Vielleicht fanden sie den wahren Grund für das was Jack widerfuhr wirklich nicht hier in Atlantis. Vielleicht mussten sie zurück zu den Wurzeln allen Übels… Griechenland schien nach Jack zu rufen. Und so sehr sie sich auch um ihn sorgte, es war Zeit ihn gehen zu lassen. Die Tatsache ihre Freunde nicht begleiten zu können, schmerzte sie. Doch ihr Platz war auf der Raumstation und das Pentagon hatte ihr klar befohlen umgehend dorthin zurückzukehren. Und so tröstete sie sich mit der Gewissheit, dass Jack gute Männer an seiner Seite hatte, die auf ihn aufpassten.
    ***

    „Wow!“, brachte McKay über die Lippen und klammerte die Hände um die Reling des Schiffes, das sie in den kleinen Hafen brachte.

    Ja, ‚Wow’, traf es sehr gut, dachte Jack, obwohl ihm ganz andere Worte in den Sinn kamen, bei dem Anblick, den ihnen der Sonnenaufgang über der Caldera bot. Er wandte die Augen von dem brennenden, glutroten Himmel und sein Blick trank sich voll an der märchenhaft schönen Landschaft. Steil ragte die schwarze Kraterwand vor ihnen auf, hoch oben reihten sich die schimmernden Häuschen der Hauptstadt wie eine Kette weißer Korallen auf einem Teppich aus schwarzer Asche und zerklüfteten Klippen gegen das tiefe Dunkelblau des Himmels.

    „Keine Kreuzfahrtschiffe“, bemerkte Daniel leise, der dicht neben ihm stand, allzeit bereit zuzupacken und Jack zu stützen, der auf ziemlich wackligen Beinen stur versuchte, mit den Krücken das Schwanken des Schiffes auszubalancieren.

    Jack nickte grimmig. Er suchte die Steilwände und den kleinen Hafen nach Auswirkungen der letzten Beben ab. Hie und da waren Steinrutsche und neue Risse zu bemerken. Ältere längst baufällige Häuschen sowie die alte Bimssteinförderanlage weiter unten am Ufer hatten das letzte Beben nicht überlebt und waren eingestürzt. Der sonst von Touristen stark frequentierte Hafen war menschenleer, die kleinen Strassencafes geschlossen der Betrieb der Seilbahn aus Sicherheitsgründen eingestellt. Vor ihnen lag ein mühsamer Weg nach oben…

    „Und wie sollen wir da hoch kommen“, fragte McKay mit hoffnungsvollem Blick in Richtung Seilbahn.

    Doch Sheppard zerstörte seine Hoffnung indem er auf eine Herde Esel deutete, die geduldig am Anleger wartete.

    „Mit dem Esel?“, schrie McKay empört. „Das ist ja wohl nicht Ihr Ernst?“

    „Stellen Sie sich nicht so an, Rodney“, erwiderte Sheppard belustigt. „Sie können natürlich auch laufen. Die Landluft dürfte Ihnen sicher bekommen…“

    Jack musste bei diesem Wortwechsel unwillkürlich grinsen. Irgendwie erinnerten ihn die beiden an seine frühen Jahre im Stargate Programm mit einem anderen quengeligen Wissenschaftler an seiner Seite. Daniel schien seine Gedanken zu lesen und lächelte still vor sich hin, während der Schlagabtausch zwischen McKay und Sheppard weiterging.

    Jack versuchte die Ohren auf Durchzug zu stellen. Es gelang ihm das Gespräch fast völlig auszublenden, so dass es schließlich nicht mehr war als ein stetes Plätschern, das im Hintergrund ablief und ihm Freiraum gab für wichtigere Dinge. Daniel lenkte seine Aufmerksamkeit hinüber zu den beiden Kameni-Inseln. Seit dem letzten Ausbruch von Nea Kameni im Jahre 1950 befand sich der Vulkan im Zustand der Ruhe. Nun zeugten heiße Quellen, die an den verschiedenen Stellen der Inseln hervorsprudelten sowie hoch aufsteigende Wasser- und Schwefeldämpfe am zentralen Krater von den neu erwachten Erdgewalten.

    Die Wissenschaftler im SGC hatten erklärt, dass in den letzten Wochen verstärkte Bewegungen der tektonischen Platten bei Santorin registriert worden waren. Die eurasische und die afrikanische Platte stießen zusammen und so kam es immer wieder sowohl zu Tief- als auch zu Flachbeben. In der vergangenen Woche registrierten die Seismologen schließlich erste vulkantektonische Beben, die von einer deutlichen Veränderung der Magmakammer des Vulkans zeugten. Das letzte verheerende Beben traf Santorin am vergangenen Wochenende. Im Abstand von ein paar Minuten erschütterten zwei heftige Erdstöße die Insel. Der erste Stoß erreichte eine Stärke von 7,7 auf der Richterscala. Irgendetwas hatte die Natur in Aufruhr gebracht und für Jack war es nur sehr schwer vorstellbar, dass er der Auslöser für all das sein sollte.

    „Es ist nicht deine Schuld“, meinte Daniel neben ihm so leise, dass nur Jack es hören konnte.

    O’Neill erwiderte nichts. Es war vielleicht nicht seine Schuld aber er fühlte sich verantwortlich. Im Krankenhaus in Iraklion hatte er die sterbenden Menschen gesehen – Alte wie Junge… Kinder... Allesamt von einem Antibiotika resistenten Virus befallen, das die gesamte Ärzteschaft vor ein Rätsel stellte – es war das Virus, das er in sich trug, das ihn vor Jahren fast umgebracht hätte und das wohl selbst Kanan nicht hatte bezwingen können. Sein Kontakt mit dem Diskos hatte die Dinge in Bewegung gesetzt und nun war es an ihnen herauszufinden wie sie die Kettenreaktion stoppen konnten. Nur leider fehlte ihnen jeglicher Anhaltspunkt dafür.

    Dr. Lam und Dr. Keller arbeiteten mit ihren Teams an einem Impfstoff. Er hoffte wirklich die Mediziner würden die Antwort in seinem Blut finden. Denn selbst wenn sie ihn ließen, er wäre nie in der Lage alle Menschen zu heilen, die von dem Virus befallen waren… Es gab noch so viele offene Fragen und Jack wurde das Gefühl nicht los, dass sie die falschen Antworten suchten. McKay und Daniel waren darüber ein gekommen, dass sie des Rätsels Lösung auf Santorin finden könnten, vielleicht sogar in Akrotiri selbst… Jack bezweifelte das, konnte jedoch keinen besseren Vorschlag beitragen. Und so waren sie mit einem Trupp Wissenschaftlern im Schlepptau unterwegs um die Welt zu retten... oder zumindest so etwas in der Art…

    Sie erreichten den kleinen Hafen und ihre Ausrüstungsgegenstände stapelten sich inzwischen auf dem breit betonierten Kai.

    Die Eseltreiber erwarteten sie schon. Jack hatte angenommen, dass auch sie ob der Beben und ausbleibenden Touristenmassen längst den Betrieb eingestellt hätten, doch wahrscheinlich waren die Esel und ihre Besitzer die letzten Lebewesen, die bei einer nahenden Katastrophe die Insel verlassen würden. Und ohne sie wäre der Weg nach oben nicht nur strapaziös, sondern für Jack schier unmöglich.

    Mit seinen über Fünfhundert Stufen war der Eselspfad der einzige Weg nach oben auf den Katerrand. Er war arg mit Maultierdreck verschmutzt und verbreitete einen entsprechenden Geruch. Die Tiere lebten auf diesem Weg. Sie wurden darauf geboren und starben nicht selten auch auf den von ihren Hufen glatt geschliffenen Steinen. Dutzende von mit bunten Perlen, Kordeln und bestickten Zierdeckchen geschmückten Tieren warteten nun geduldig, bis man die vielen Kisten und Menschen auf ihren Rücken gepackt hatte und dann ging es im Eiltempo den steilen Serpentinenweg hinauf in die Stadt. Die Stufen waren schlüpfrig, die Aussicht über das Meer dagegen grandios.

    Ausgerechnet McKay schien ein noch junges, unerfahrenes Tier erwischt zu haben. Schwitzend und fluchend umklammerte der Treiber mit aller Kraft die Zügel des ungebändigten Jungtiers – doch dieses, verängstigt und wütend, wie es war, kümmerte sich wenig darum. Es versuchte mit störrischem Kreischen und auflehnendem Buckeln seine Last loszuwerden. Und die bestand aus einem nicht weniger verängstigten und fluchenden McKay, der sich krampfhaft an der Mähne des Tieres festklammerte.

    Jack unterdrückte ein Grinsen und verdrängte die befriedigende Vorstellung eines im Eseldreck liegenden Wissenschaftlers. Er hatte Mitleid mit dem Muli und tätschelte dafür den warmen, klebrig staubigen Hals des Tieres auf dessen durchhängendem Rücken er selbst saß. Das stundenlange Rauf und Runter mit den teils schweren Lasten war nun mal für die Tiere eine erhebliche Schinderei und hätten sie eine Wahl gehabt, so wäre dieses ‚romantische’ Erlebnis sicher der Fahrt mit der Seilbahn zum Opfer gefallen.

    Durchgerüttelt und durch die erbarmungslos brennende Sonne völlig verschwitzt erreichten sie mühsame zwanzig Minuten später die ersten Häuser von Fira und somit auch ihr Quartier. Das Pentagon hatte eine leer- und zum Verkauf stehende Villa am Ortseingang gemietet. Schon von weitem leuchtete ihnen das rote Gebäude entgegen, dass majestätisch direkt am Kraterrand über der Caldera thronte.

    Auf steilem Grund, mit fast senkrechtem Gefälle eröffnete das Gebäude dem Bewohner einen atemberaubenden Blick aufs offene Meer und zur Nachbarinsel Kameni. Als einziges Haus in ziegelroter Farbe stach die Villa Jack bereits ins Auge, als sie die Insel mit dem Schiff erreichten und ließ ihn ahnen, dass hinter ihren Wänden Sehnsüchte gestillt und Glück, Geborgenheit und Harmonie erlebbar waren. Sie bezahlten die Eseltreiber und während McKay und Daniel das Abladen der Ausrüstung überwachten, nahmen die Wissenschaftler und Colonel Sheppard die Villa in Besitz.

    „Freiheit ist Raum“ kam Jack beim Betreten des Hauses sofort in den Sinn. Zwischen diesen Wänden wurde man durch nichts eingeengt. Form, Farbe und Ausstattung gaben der Villa ihre Besonderheit, machten sie zu einem Juwel und einem einzigartigem Gebäude ohne dabei protzig zu wirken, sondern eher dezent: Marmor, Stein und viel Licht in den Räumen, die in neu-venezianischem Stil mit Bögen und großen Flächen miteinander verbunden waren.

    Jack zog sich auf die große Freiterrasse zurück. Er wäre mit seinen Krücken den anderen ohnehin nur im Weg und an ein Mitanpacken war gar nicht erst zu denken. So begnügte er sich damit die Aussicht zu genießen, inhalierte die salzige Luft, schloss kurz die Augen und hob das Gesicht der Sonne entgegen.

    Heiß brannte sie auf seiner Haut. Und nach den Schrecken der letzten Tage war dieser Moment Balsam für seine Seele. Er roch das Meer, schmeckte das Salz auf seinen Lippen, das von dem feuchten Wind zu ihm heraufgetragen wurde und verfiel einen kurzen Moment lang der Erinnerung an Atlantis. Auch dort hatte er oft auf einem der vielen Balkone gestanden, die klare eisige Luft geatmet, dem Wogen des Meeres gelauscht und dem leisen Säuseln des Windes. Und mit einem Mal wurde ihm die frappierende Ähnlichkeit Santorins mit Atlantis bewusst. Es war die gleiche Magie, die diesen Ort umgab, das Selbe mystische Licht… Hatten sich die alten Antiker vielleicht deshalb diesen Ort als neue Bleibe gesucht? Erinnerte Santorin an Heimat?

    Ein leises Grollen ließ Jack ins Hier und Jetzt zurückfinden. Sein Blick suchte Nea Kameni, die rund und fast schwarz inmitten des tiefen Blaus der Caldera lag. Deutlich erkannte er mit dem bloßen Auge den hoch gelegenen Krater aus dem nun ständig schwefelhaltiger Rauch aufstieg, der die Umgebung allmählich in eine gelbe Wüste verwandelte. Jack verstand nichts von Vulkanismus. Die Fachsimpeleien überließ er deshalb gerne den Wissenschaftlern und ihren Messgeräten, er verließ sich viel lieber auf seine Intuition. Es mochte an dem Gen der Heiler liegen, oder an dem Virus, von ihm aus auch an beidem, aber er konnte fühlen, dass sich tief unter der Oberfläche etwas zusammenbraute. Und so wie es am Meeresgrund rund um Santorin brodelte, so arbeitete es auch in ihm, ließ ihn unstet werden und wachsam zugleich. Etwas großes stand ihnen bevor, und vielleicht zum ersten Mal in all den Jahren, war sich Jack nicht sicher, ob er seinem Schicksal folgen wollte.

    ***

    „Wenn es sich bei dieser Stadt wirklich um einen antikischen Außenposten handelt, dann finden wir die Antwort hier.“

    Selbstsicher stapfte Rodney McKay voran, verließ den Rundweg direkt hinter dem Eingang und steuerte auf die Überreste eines ehemals dreistöckigen Gebäudes zu.
    Colonel Sheppard folgte ihm auf dem Fuße.

    „Sie werden uns sicher auch gleich erklären, wieso…“, meinte Sheppard mit gespieltem Interesse und warf Daniel und Jack einen belustigten Blick über die Schulter zu.

    Daniel wagte nicht McKay zu widersprechen. Sie brauchten Antworten, wo sie sie fanden, war ihm gleichgültig. Er warf dem Mann, der neben ihm ging einen verstohlenen Blick zu. Jack humpelte mit nur einer Krücke über das staubige Terrain, und wenn man genau hinsah, bemerkte man den Schmerz in seinem Gesicht. Die Medikamente waren längst nicht mehr stark genug, um die Pein auf einem erträglichen Maß zu halten. Wenn es Daniel nach gegangen wäre, hätten sie Jack in der Villa zurückgelassen. Schließlich stand ihnen Sheppard mit seinem Antiker-Gen zur Verfügung. Er konnte tun was getan werden musste.

    Doch Jack argumentierte, dass vielleicht nur seine Form des Gens in der Lage war die Geheimnisse der alten Stadt zu offenbaren und McKay hatte ihn in dieser Annahme auch noch bestärkt. Also gab sich Daniel geschlagen und konnte nun nichts weiter tun, als dicht an Jacks Seite zu bleiben. Er vermied es jedoch tunlichst, O’Neill anzufassen oder ihm zu helfen. Daniel wusste, Jack hätte dies nie zugelassen. Dennoch signalisierte er seinem Freund mit seiner Anwesenheit, dass er jederzeit da war, bereit einzugreifen, wenn Jack Unterstützung brauchte.

    „Übermut kommt vor dem Fall…“, murmelte Jack und Daniel lächelte still in sich hinein.

    Er ahnte, warum McKay ausgerechnet dieses Gebäude wählte. Sie hatten sich lange darüber unterhalten, stundenlang die Pläne von Akrotiri studiert und sie mit bekannten Antiker-Städten verglichen. Das Haus war prädestiniert für ihre Suche. Einer der Räume soll religiösen Zeremonien, insbesondere weiblichen Initiationsritualen gedient haben. Dafür sprach das Becken, das zur kultischen Reinigung diente. Außerdem waren hier zahlreiche Wandmalereien gefunden worden, wie zum Beispiel die Herrin der Tiere, die Krokus-Pflückerin sowie andere Darstellungen von Frauen und jungen Mädchen. Daniel dachte an das Bild der jungen Priesterin zurück, das man ebenfalls hier gefunden hatte. Ihre Erscheinung erinnerte ihn an Ayiana, ohne dass er sie jemals wirklich gesehen hätte. Doch er kannte die Aufzeichnungen von Janet Fraiser, und die unverkennbaren Ähnlichkeiten ließen in ihm kaum noch einen Zweifel übrig…

    „Und was genau suchen wir nun hier, McKay?“, fragte Sheppard verwirrt, scharrte mit der Stiefelspitze im Sand und sah sich unschlüssig um.

    Doch Rodney beachtete ihn kaum. Er ging an dem Becken vorbei, das im Zentrum des Raumes stand und trat vor die dahinterliegende Wand.

    „Hier hat man das Bild der jungen Priesterin entfernt, man nennt sie auch die Krokuspflückerin“, erklärte McKay, strich geistesabwesend über die Jahrtausende alte Mauer und sah dann zu Jack.

    „Ich denke, wenn es hier etwas zu finden gibt, dann findet es General O’Neill!“

    Daniel hielt unwillkürlich den Atem an und beobachtete fasziniert, wie Jack mit einer stoischen Ruhe vortrat, am Becken kurz stehenblieb, den Kopf senkte und die Augen schloss. Wie ferngesteuert, fast wie in Trance, trat er neben McKay vor die Wand und streckte die Hand aus. Er humpelte nicht einmal mehr, stand sicher und aufrecht und Daniel war nicht im mindesten überrascht, als sich ein fernes Grollen erhob, während Jacks Fingerspitzen die Umrisse der nicht mehr vorhandenen Wandmalerei nachzogen und kaum verständliches Gemurmel aus seinem Mund kam. Daniel brauchte keinen Übersetzer um zu wissen, dass es die Worte des Diskos waren, die Jack nun in einem eindeutig antikischen Dialekt herunterbetete.

    Aus dem fernen Grollen wurde ein lautes Donnern und im selben Moment begann die Erde unter ihren Füßen zu beben und die Symmetrien schienen sich zu verschieben. Die Wände um sie herum wackelten bedrohlich und wie ein Mühlstein schob sich unter lautem Knirschen das Becken zur Seite und offenbarte ein dunkles gähnendes Loch. Die Erde tat sich auf. Sie fielen auf die Knie und auf allen Vieren robbte Daniel an den Rand der Öffnung, starrte in den Abgrund, magisch angezogen von einer gleißenden Helligkeit, die plötzlich zu ihnen emporstieg.

    Hände packten ihn, zogen ihn fort, sorgten für sicheren Abstand und nur undeutlich nahm Daniel wahr, dass es Sheppard war, der ihn gepackt hatte und der nun lautstark nach McKay schrie, um das um sie herum herrschende Rumpeln und Knirschen zu übertönen.

    Panisch und voller Sorge folgten Daniels Augen Sheppards Blick und er erkannte im Nebel des aufgewirbelten Staubs McKay, der sich schützend über den zusammengesunkenen O’Neill beugte. Daniel konnte nicht beurteilen, ob Jack bei Bewusstsein war. Der Sand nahm ihm die Sicht, und das plötzlich aus dem Abgrund empor strahlende gleißende Licht blendete sie zusätzlich. Daniel fürchtete bereits, dass gleich ein glühender Lavastrom aus der Erde emporgeschossen käme, denn das Dampfen und Zischen nahm inzwischen bedrohliche Ausmaße an.

    Und dann war der Spuk auf einmal vorbei. Von einer Sekunde auf die andere hatte das fürchterliche Getöse ein Ende und als sie wieder klar sehen konnten, schwebte im luftleeren Raum über dem Abgrund – gefangen in einem hellen Lichtstrahl – eine kleine Figur aus Ton. Stille umfing sie – unwirklich, magisch im Vergleich zum vorher herrschenden Lärm.

    „Was ist das?“, fragte Sheppard verblüfft.

    Daniel blinzelte, wischte den Staub von seiner Brille und schüttelte geistesabwesend den Kopf, befreite sich aus Sheppards Griff, kam auf die Beine und näherte sich der Figur vorsichtig.

    „McKay, General, alles in Ordnung?“, rief der Colonel hinter ihm.

    „Es geht uns gut“, antwortete McKay jenseits des Abgrunds. „…denke ich zumindest…“

    Daniel beobachtete durch den hellen Lichtschein schemenhaft, wie McKay Jack auf die Beine half. Die Tatsache, dass sich O’Neill nicht gegen diese Hilfestellung wehrte, machte Daniel deutlich, dass er im Augenblick nicht er selbst war.

    „Was ist das?“, wollte McKay ungeduldig wissen.

    „Das ist ein Kykladenidol“, meinte Daniel sofort.

    „Ein was?“, fragten Sheppard und McKay aus einem Mund.

    „Man nennt sie auch ‚die mit den gefalteten Armen’“, erklärte Daniel ehrfürchtig und trat etwas näher an die in der Luft schwebende Figur heran. „Sie sind aus Marmor und die meisten von ihnen sind aufrecht stehende, weibliche Figuren mit unter den Brüsten übereinander gelegten Armen…wie diese hier! Ihre Bedeutung ist bis heute ein Rätsel…“

    Daniel begutachtete die Figur fasziniert von allen Seiten. Sie war den Idolen, die er im Museum gesehen hatte sehr ähnlich. Auch sie erinnerte in ihrer Form stark an moderne Kunst von heute. Nase, Brüste, Arme und Schamdreieck waren plastisch ausgearbeitet, der Rücken dagegen flach und in der Seitenansicht war die Figur extrem dünn.

    Daniel war so gefangen vom Anblick der im hellen Licht strahlenden Figur, dass er kaum bemerkte, wie sich Jack von McKays Seite löste und zielstrebig dem Abgrund näherte.

    „Hey!“

    Es war Rodneys erschrockener Ausruf, der Daniels Aufmerksamkeit erregte und noch ehe einer von ihnen reagieren konnte, machte Jack den letzten entscheidenden Schritt in den Abgrund. Der Schrei blieb ihnen im Halse stecken, das Entsetzen wich augenblicklich ungläubigem Staunen, denn Jack fiel nicht. Er schwebte vielmehr im Vakuum, so als stünde er auf einer unsichtbaren Plattform – vielleicht war es auch so -, hielt die Figur in seinen Händen und klappte deren Kopf nach hinten, so als sei er der Verschluss einer Flasche, aus deren Inneren sich in voller Lebensgröße das Bild einer jungen Frau formte.

    „Ein Hologramm“, sagte McKay völlig unnötig. „… ich fasse es nicht!“

    „Scheint als hätten wir einen Beweis für ihre Theorien, Dr. Jackson. Wer zum Teufel ist das?“, fragte Sheppard.

    Daniel schluckte. Er kannte die Frau. Er hatte Aufzeichnungen gesehen, Bilder, die Janet von ihr gemacht hatte. Es gab keinen Zweifel. Doch wie kam sie hierher? Oder besser noch, wie kam sie von hier in die Antarktis?

    „Ayiana“, brachte Daniel leise über die Lippen – "Die ewige Blüte".

    Auge in Auge mit dem Hologramm der jungen Frau, stand Jack völlig regungslos, gefangen im gleißenden Lichtstrahl mit starrem Blick, so als sei er kaum von dieser Welt. Und die Augen des Hologramms hafteten fest auf seinem bleichen Gesicht, das golden glühte wie die untergehende Sonne über Santorin oder sollte Daniel besser sagen, wie die untergehende Sonne über Atlantis...

    „Ge-ra-si-ja“

    Es war Jacks Stimme, und doch auch wieder nicht. Seine Lippen bewegten sich nicht, dafür aber die des Hologramms. Es sprach mit Jacks Hilfe, oder sprach es durch Jack? Daniel versuchte jedes logische und analytische Denken auszuschalten. Dies hier hatte nichts mehr mit Wissenschaft zu tun.

    „Was hat er gesagt?“, wollte McKay wissen.

    „Rodney“, mahnte Sheppard, wie immer der Feinfühligere von beiden.

    Doch Daniel konnte es dem Wissenschaftler nicht verdenken, dass er nach Klärung verlangte, nach Antworten suchte auf all die Fragen, die sie schon seit Wochen beschäftigten.

    „Gerasija ist eine auf Santorin verehrte Göttin…“, begann Daniel zu erklären und wurde von dem Hologramm unterbrochen, dass mit Jacks Stimme sagte:

    „Mein Name ist Gerasija. Ich bin die Hohepriesterin von Strongili, Hüterin und Beschützerin des Palastes der Doppelaxt im Sinne unserer Ahnen.“

    „Wow!“

    „Klappe halten, Rodney“, zischte Sheppard und griff zu spät nach Daniels Ärmel, der sich bereits in Bewegung setzte und dem Hologramm näherte.

    „Strongili?“, fragte Daniel. „Nicht Atlantis?“

    „Das alte Atlantis versank im Meer, in einer Galaxie jenseits dieses Sonnensystems“, gab das Hologramm brav zur Antwort. „Dies ist das neue Atlantis…die Brücke über dem Wasser zwischen einer kleinen runden und einer großen, lang gestreckten Insel… Ich bin Hüterin der neuen Heimat.“

    „Was ist deine Aufgabe“, wollte Daniel wissen.

    „Meine Bestimmung ist es zu heilen und zu bewahren…“

    „Wie?“

    „Die Energiequelle darf nicht versiegen…“

    „Ein Zero Point Modul…“, murmelte Rodney. „Meint sie ein ZPM? Der Antrieb von Atlantis benötigt drei ZPM’s um seine volle Leistung zu erreichen, ein einzelnes Modul konnte den Schutzschild der Stadt unter Wasser über dreitausend Jahre aufrecht halten… Gibt es hier ein Schutzschild?“

    „Es gibt vieles zu behüten… das Land, das Meer, den Berg… und die Menschen. Die Energieanforderung ist extrem hoch. Je nach Beanspruchung ist der Schild stärker oder schwächer – in guten Zeiten praktisch undurchdringbar.“, gab das Hologramm bereitwillig Auskunft.

    Es schien völlig egal zu sein, wer hier die Fragen stellte.

    Entferntes Donnergrollen und ein leichtes Nachbeben störte vorübergehend die Stabilität des Hologramms. Die Erscheinung zitterte und Jack zuckte, verzog schmerzhaft das Gesicht, so als träfen ihn leichte Stromschläge.

    „Ich denke, wir sollten langsam mal die richtige Frage stellen, es wird allmählich ungemütlich…“, gab Sheppard zu bedenken. „Wieso fragen sie sie nicht einfach, ob der Schild noch funktioniert?“

    „Wir glaubten Krankheit, Tod, Naturgewalten und die Zeit zu beherrschen.“, sprach das Hologramm. „Wir wurden bestraft für unsere Überheblichkeit. In einer einzigen Nacht zerstörte der Zorn des hohen Rates Strongili und erreichte kurz darauf das Haus der Doppelaxt. Tatenlos mussten wir mit ansehen, wie wir die Kontrolle verloren…“

    „Wer ist wir?“, fragte Daniel beharrlich.

    „Gerasija und Janus, der den sie Minos nannten…“

    Daniel verschlug es die Sprache. Wenn König Minos ein Antiker gewesen war, dann war das Haus der Doppelaxt…

    „Was war passiert?“

    „Janus hat uns hintergangen… Er wollte die Zeit beherrschen, obwohl ihm das vom Hohen Rat untersagt war. Das Experiment ging schief, die Seuche kehrte zurück. Er flüchtete mit dem Wissen der Heiler und unserer Energiequelle… Gerasija wurde verbannt.“

    Wieder bebte die Erde, länger diesmal und sie konnten sich kaum noch auf den Beinen halten.

    „Wo ist der Schutzschild?“, fragte Daniel schnell, denn das Hologramm zitterte bedenklich, schien immer mehr an Energie zu verlieren.

    „Im Haus der Doppelaxt wird er die Antwort finden!“

    „Er?“

    „Er, der das Erbe der Heiler in sich trägt…“

    Mit diesen Worten versagte die letzte Energiereserve, das Hologramm löste sich auf und dann geschah alles rasend schnell. Der Lichtstrahl schrumpfte zusammen, zog sich in die Tiefe zurück, das unsichtbare Podest verschwand, und als Jack den Halt verlor sprang McKay ohne weiter darüber nachzudenken.

    In einem ausladenden Hechtsprung, setzte er über die Öffnung in der Erde hinweg, umklammerte O’Neill dabei mit beiden Armen, riss ihn mit sich und beide landeten recht unsanft aber unversehrt zu Daniels und Sheppards Füßen.

    Sofort waren Sheppard und Daniel an ihrer Seite. Während John dem jammernden Rodney auf die Beine half, kümmerte sich Daniel um Jack.

    „Ist er tot?“, fragte McKay aufgeregt. „Sagen sie nicht dass er tot ist und ich mich ganz umsonst zum Stuntman aufgeschwungen hab.“

    Daniel beachtete ihn nicht, nahm ihm seine Worte aber auch nicht übel. Er kannte McKay inzwischen gut genug um zu wissen, dass Rodney damit nur seine Aufregung und Sorge verbarg. Jack war ohne Bewusstsein, aber er atmete regelmäßig und sein Puls erschien Daniel kräftig und gleichmäßig.

    Ein erneutes Zittern durchzog den Erdboden und die Stahlkonstruktion über dem Ausgrabungsgelände ächzte bedenklich. Irgendwo ging eine Steinlawine nieder und beißender Schwefelgeruch schwängerte die Luft.

    „Ich denke, wir sollten machen dass wir hier wegkommen“, meinte Sheppard, übernahm instinktiv die Führung, bedeute Rodney aus dem Weg zu gehen und half dann Daniel dabei O’Neill auf die Beine zu bringen.

    Jack schien langsam zu sich zu kommen, war aber noch nicht wach genug, um alleine zurecht zu kommen. Er brabbelte unverständliches Zeug und seine Augen verloren immer wieder den Fokus. Daniel hätte ihm gerne mehr Zeit gelassen, doch hier war weder der richtige Ort noch die Gelegenheit dazu. Der Schwefel brannte in ihren Lungen, löste Hustenreiz aus und die Hitze unter der Überdachung wurde unerträglich. Mit vereinten Kräften schafften sie es zurück zum Wagen und während sie an der Küste entlang zurück nach Fira fuhren konnten sie beobachten, wie sich ein glühend roter Lavastrom über Nea Kameni ergoss und dampfend und zischend im Meer versank.

    ***

    „Alles was wir über Janus wissen ist, dass er eine Zeitmaschine gebaut hat und Atlantis zusammen mit den anderen Antikern verlassen hat, um auf die Erde zurück zu kehren. Über sein weiteres Leben war uns bisher nichts bekannt…“, meinte Rodney gerade als Daniel die große Freiterrasse betrat.

    McKay und Sheppard sahen zu ihm auf, warteten bis sich Daniel zu ihnen gesetzt hatte und meinten dann wie aus einem Mund:

    „Wie geht es ihm?“

    Daniel seufzte.

    „Ich hab ihm was gegeben – denke er wird jetzt schlafen…“

    Er erwähnte nicht, dass O’Neill immer noch sehr unruhig war, kaum einen verständlichen Satz über die Lippen brachte und darüber hinaus leichtes Fieber zu haben schien. Daniel war beunruhigt. Und er konnte nur hoffen, dass das Beruhigungsmittel, das er Jack verabreicht hatte, sein Übriges tat, um seinen Freund ins Hier und Jetzt zurückzubringen. Er entschied das Thema zu wechseln:

    „Was war das mit Janus?“

    „Wir glauben Janus hat die Baupläne für seine Zeitmaschine mitgenommen, als die Antiker Atlantis verließen…“, erklärte Sheppard. „Es ist doch möglich, dass er trotz des Verbotes des Hohen Rates, weiter an seinen Experimenten gearbeitet hat…“

    „SG-1 hat eine Zeitmaschine auf einem Planeten gefunden…“, warf Daniel dazwischen.

    „Ayiana meinte Janus hätte sie hintergangen. Wenn ich mich recht erinnere sagte sie er sei mit dem Wissen der Heiler und der Energiequelle abgehauen. Klar, wenn er die Zeitmaschine benutzen wollte, hat er ein ZPM gebraucht…“, sinnierte McKay.

    „…und wenn sie nur ein ZPM für diesen Außenposten hatten…“

    „… dann hat er dem Schutzschild die Energie entzogen… und Bingo!“, beendete McKay Daniels Satz und machte in einer theatralischen Geste klar, was er damit meinte. Er unterstrich das Ganze mit einem lauten KAWUMM.

    „Okay“, begann Sheppard wenig beeindruckt. „Das würde erklären, warum es zum Vulkanausbruch kam bei dem Atlantis unterging, aber was hat es mit der Seuche auf sich?“

    „Das ist doch ganz einfach“, meinte Rodney und verdrehte ob so viel Inkompetenz die Augen.
    „Das ist das Virus, das sowohl Ayiana oder sagen wir besser Gerasija als auch O’Neill in sich tragen. Ich vermute das ZPM steuerte nicht nur das Schutzschild sondern auch eine Art Seuchenschutzprogramm ähnlich dem unsrigen in Atlantis. Vielleicht haben auch die Wissenschaftler mit dem Virus experimentiert… keine Ahnung. Jedenfalls ohne ZPM kein Schutzschild, kein Seuchenschutzprogramm… und schon haben wir die schönste Verbreitung einer Krankheit die man sich nur wünschen kann. Hinzu kommt der instabile Vulkan und die Katastrophe ist perfekt. Das Volk gerät in Panik, die Menschen in Aufruhr. Sie verbannen Gerasija in die Antarktis, die Antiker verlassen unsere Milchstraße und die Menschen flüchten aufs Festland. Ende der Geschichte!“

    „So einfach ist das nicht…“, gab Daniel ruhig zu bedenken, nahm seine Brille von der Nase und drehte sie zwischen den Händen.

    „Ach? Und wieso bitte nicht?“

    „Das Wissen der Heiler…“, sagte Sheppard und verstand Daniels Einwurf. „Gerasija sagte Janus hätte das Wissen der Heiler gestohlen… was wollte er damit?“

    Daniel sagte nichts. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren um die einzelnen Puzzleteilchen Sinn gebend zusammenzusetzen. Sie waren schon weit gekommen, doch die letzten Verbindungen fehlten noch.

    „Der Diskos wurde nicht in Knossos gefunden, sondern in Festos…“, überlegte er laut und erntete von seinen Freunden fragende Blicke.

    „Als Janus klar wurde, dass die Katastrophe auch vor Knossos nicht halt machen würde, hat er vielleicht die Scheibe und das ZPM in Sicherheit gebracht. Ja, das wäre möglich… Und von Festos aus ist er mit der Zeitmaschine geflohen. Das würde so einige Lücken in unseren Geschichtsbüchern schließen.“

    „Wovon zum Teufel reden sie da eigentlich?“, fragte McKay unwirsch.

    „Knossos – Das Haus der Doppelaxt“, meinte Daniel schlicht, als läge diese Schlussfolgerung auf der Hand. „Das neue Atlantis bestand aus einer kleinen runden und einer großen, lang gestreckten Insel. Santorin und Kreta. In den frühen Jahren trug Santorin den Namen Strongili – die Runde. Und Knossos ist hinreichend bekannt, als das Haus der Doppelaxt!“

    Sheppard verzog das Gesicht zu einem Grinsen und schüttelte den Kopf.

    „Ts, Wissenschafter…“, murmelte Sheppard und meinte dann lauter. „Eine Frage haben wir aber noch nicht beantwortet.“

    „Und die wäre?“, wollte Rodney wissen.

    „Wie können wir den Schutzschild wieder aktivieren, oder was auch immer es sonst noch zu aktivieren gilt, um eine weitere Katastrophe zu verhindern?“

    „Also die Antwort ist leicht“, meinte McKay. „Wir brauchen ein ZPM!“

    „Und den der das Gen der Heiler in sich trägt“, gab Daniel zu bedenken. „Mir ist nur immer noch nicht ganz klar, warum Janus den Diskos mitgenommen hat… was wollte er damit? Er brauchte das Wissen nicht, um seine Zeitmaschine zu bauen!“

    „Er wusste, dass sie Gerasija in die Verbannung schicken würden…“, erklang plötzlich O’Neills Stimme.

    „Jack!“

    Daniel sprang auf, hielt sich jedoch zurück und beobachtete wie O’Neill auf wackligen Beinen und mit ziemlich bleichem Gesicht näher kam. Er stützte sich schwer – nunmehr wieder auf zwei Unterarmkrücken – und es war schließlich Colonel Sheppard, der ihm auf einen der Liegestühle half.

    Daniel setzte sich wieder. Sie warteten, gaben Jack ein wenig Zeit, folgten seinem Blick zu Nea Kameni hinüber und beobachteten eine Weile still wie sich die Lava zähfließend ihren Weg ins Meer bahnte. Es war ein beunruhigender Anblick – beunruhigend und faszinierend zugleich. Daniel ertappte sich bei dem Gedanken, dass es damals vor tausenden von Jahren wohl ähnlich begonnen hatte. Waren die Menschen von damals ebenso fasziniert von diesem Anblick gewesen? Nein, sie waren wohl eher in Panik ausgebrochen, hatten zu ihren Göttern gebetet und um Gnade gefleht… und sich gefragt, warum ihre Hohepriesterin nicht in der Lage war dieses Unheil von ihnen abzuwenden.

    Und das war es was Jack mit seinen Worten meinte. Eine Göttin, die ihre Kraft verloren hatte war unnütz. Die Menschen haben sie verdammt, weil sie nicht mehr in der Lage gewesen war, sie vor Krankheit und Naturgewalten zu schützen. Und der Hohe Rat schickte sie in die Verbannung, weil sie gegen die Regeln verstoßen hatte.

    „Sie hat ihn geliebt“, sagte Jack plötzlich.

    „Wer?“, fragte McKay unnötigerweise.

    „Gerasija… sie hätte alles für ihn getan. Hat ihm erlaubt das ZPM für seine Experimente mit der Zeitmaschine zu benutzen. Aber er hat sie betrogen… und als sie es erkannte war es zu spät…“, erklärte Jack abwesend.

    „Woher…“

    „Rodney“, mahnte Sheppard und erntete einen dankbaren Blick von Daniel.

    „Wir verstehen dass Janus das ZPM gestohlen hat, aber wieso den Diskos? Was wollte er mit dem Wissen der Heiler?“, fragte Daniel und sah Jack gebannt an.

    „Er glaubte, er könnte es nutzen um das Haus der Doppelaxt zu schützen. Doch er hatte nicht das Gen…“, meinte Jack niedergeschlagen. „Von Festos aus floh er mit der Zeitmaschine und ließ die Scheibe dort zurück…“

    Daniel beobachtete Jack. Er sah müde aus, blass, ein leichter Schweißfilm lag auf seiner Stirn. Doch seine Augen wirkten klar und die Unruhe schien völlig von ihm gewichen zu sein. Daniel fragte nicht, woher Jack all diese Dinge wusste. O’Neill hatte in direkter Verbindung mit dem Hologramm gestanden. Wer wusste schon welche Informationen dabei in Jacks Geist übertragen worden waren…

    „Gerasija sagte, wir können das Unheil aufhalten… ich denke, sie meinte wir können den Schild wieder aktivieren und vielleicht auch das Schutzprogramm gegen die Seuche… Weißt du wie?“

    Jack nickte.

    „Wir brauchen ein ZPM. Und damit müssen wir in das Haus der Doppelaxt…“

    „Knossos…“, bestätigte Daniel.

    Wieder nickte Jack.

    „Es muss dort einen Kontrollstuhl geben…“, meinte er leise und blickte wieder zu Nea Kameni hinüber. Sein Blick verdunkelte sich und plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper und neue Energie und Kraft schien ihn zu erfassen, denn er richtete sich entschlossen auf und sagte mit fester Stimme:

    „Colonel Sheppard bringen sie mir das Telefon, ich habe mit D.C. zu sprechen…“

    ***

    Die Nacht war schwül und Jack konnte nicht schlafen. Es musste an der Hitze liegen, denn Nervosität hätte er nie zugestanden. Es lagen drei ereignisreiche Tage hinter ihnen. Sie hatten endlose Diskussionen mit den Wissenschaftlern geführt. Natürlich hielt er sich dabei meist im Hintergrund, während sich Daniel und McKay in Debatten mit Dr. Lees Team verloren. Sie brüteten über Plänen des Palastes Knossos, berechneten wann es zu einem großen Ausbruch von Nea Kameni kam und verglichen die Ergebnisse mit historischen Daten, die ihnen zur Verfügung standen.

    Während McKay mit Daniel die Pläne von Knossos studierte um das Versteck des Kontrollstuhls zu lokalisieren, und Jack und Sheppard die Verhandlungen mit dem Pentagon und der griechischen Regierung übernahmen, stand nicht nur Nea Kameni, sondern der etwa sieben Kilometer entfernte Unterwasservulkan Kolumbos im Fokus der Wissenschaftler. Dr. Lee hatte ihnen erklärt, dass der Kraterrand des Kolumbos bisher unter der Meeresoberfläche lag, seine Caldera erreichte eine Tiefe von hunderten von Metern. Der Krater besaß einen Durchmesser von über einem Kilometer.
    Nun hatte sich der Vulkan soweit erhoben, dass er über die Wasseroberfläche ragte. Dr. Lee und sein Team unternahmen einen Ausflug in die Unterwasserwelt und entdeckten am Nordostende der Kratergrundfläche hydrothermale Quellen, die den von einer dicken Bakterienschicht bedeckten Meeresboden durchbrachen. Das dort ausströmende stark überhitzte, metallhaltige Wasser bildete hier seit Jahrhunderten heute bis zu vier Meter hohe Schlote aus denen permanent Schwefel und andere Gase ausströmten. Nun drängten dicke Lavablasen nach oben und bildeten bizarre Unterwassergebilde.

    Der Kolumbos als auch Nea Kameni wurde von dem gleichen Magmastrom gespeist, der nun anscheinend brodelnd nach oben drängte. Sie saßen auf einem Pulverfass oder wie es Dr. Lee formulierte: Sie standen vor dem wohl stärksten Vulkanausbruch im östlichen Mittelmeer. Die mit starken Erdbeben einhergehende Eruption würde auf Santorin große Schäden anrichten, der zu erwartende Ascheregen brächte Ackerbau und Tierzucht zum Erliegen. Der Kollaps der Vulkane in ihre Caldera würde einen Tsunami auslösen, der noch auf Inseln in über hundert Kilometern Entfernung Schäden verursachen könnte.

    Und das war noch das harmloseste Szenario. Würde Meerwasser in den Magmastrom eindringen, flögen ihnen die Vulkane buchstäblich um die Ohren und die pyroklastische Wolke, die zweifelsohne entstünde, würde weite Teile des südöstlichen Europas überrollen.

    Jack schauderte bei dieser Vorstellung und war froh, dass die Griechen zumindest auf die Warnungen reagierten und die Insel inzwischen evakuiert hatten. Für Kreta und die umliegenden Inseln wurde immerhin eine Frühwarnstufe gesetzt. Jack wusste, dass der Vulkan ausbrechen würde – und er würde es bald tun. Er konnte es nicht erklären, aber er fühlte wie die Hitze in ihm loderte. Und genau so wie das Fieber in ihm stieg und nach einem Ventil suchte, so brodelte es tief unter der Meeresoberfläche der Caldera und Nea Kameni zischte und spukte Lava und Schwefel um den unsagbaren Druck loszuwerden. Die Abstände zwischen den Erdstößen verkürzten sich, inzwischen konnte man fast die Uhr nach ihnen stellen und sie nahmen deutlich an Heftigkeit zu. Es grenzte an ein Wunder, dass die Villa noch nichts abbekommen hatte. Santorin trotzte diesen Naturgewalten, so wie er in den letzten Tagen gegen das Fieber kämpfte, das ihn nicht verlassen wollte. Ja, er fühlte eine seltsame Verbundenheit mit dieser Insel. Und er fragte sich zum wiederholten Male ob dies nur an dem Gen in ihm lag.

    Nein, an Schlaf war nicht zu denken. Er schwitzte, sein Herz raste und sein Kopf dröhnte, als würde er gleich zerspringen. Morgen war ein großer Tag für ihn. Morgen bekamen sie das ZPM. Es hatte ihn stundenlange Telefonate gekostet, das Pentagon davon zu überzeugen, dass ein ZPM aus Atlantis gebraucht wurde. McKay war extra deswegen heute schon nach Kreta rüber geflogen, um das wichtige Paket am Flughafen in Empfang zu nehmen. Das griechische Militär unterstützte sie in jeder Hinsicht, sorgte für eine Verbindung zwischen Santorin und Kreta und hatte Knossos bereits weiträumig abgesperrt.

    Knossos - morgen würde er im Haus der Doppelaxt stehen. Der minoische Palast war bisher nicht mehr für ihn gewesen als eine interessant restaurierte Ausgrabungsstätte, in dem der sagenumwobene König Minos regiert hatte. Oder sollte er besser sagen Janus? Würden sie in Knossos finden wonach sie suchten? Daniel schien überzeugt davon. Er behauptete sogar zu wissen, wo sich der Kontrollstuhl befand, mit dessen Hilfe er sowohl den Schutzschild als auch das Seuchenschutzprogramm reaktivieren sollte…

    Daniel verließ sich dabei voll und ganz auf die Baupläne des Palastes, auf subtile Hinweise gewisser Artefakte und auf ihre Erfahrungen die sie inzwischen mit Antiker Städten gesammelt hatten. Jack dagegen würde sich – erst einmal in Knossos angekommen – auf seinen Instinkt verlassen. Das Gen würde ihn führen, das hatte es schon einmal getan…

    Durch seine innere Unruhe getrieben, rollte er sich aus dem Bett, zog ein Shirt über, schlüpfte in seine kurze Jeans, griff nach den Krücken und betrat wenig später die große Terrasse. Eine leichte Brise wehte vom Meer herauf und kühlte seine erhitzte Haut. Der Wind, der den Schweiß auf seinen bloßen Armen und Beinen trocknete ließ ihn ein wenig frösteln.

    Tief atmete er die Nachtluft in seine Lungen. Er hob das Gesicht in den Himmel und war wie immer fasziniert von den vielen Sternen die hier klar und strahlend am Firmament standen. Er fühlte sich ihnen hier sehr viel näher als in D.C. Sicher lag dies daran dass die Nächte in diesem Teil der Erde dunkler waren und klarer als über einer Großstadt. Dennoch erschien ihm der Himmel weiter, endloser und die eigene Nichtigkeit wurde ihm schmählich bewusst. Es ging in diesem Spiel nicht um ihn. Es ging nicht um Jack O’Neills Zukunft, nicht um seine Beine, nicht um seine Gesundheit – nicht einmal um sein Leben. All das war nichts wert im Vergleich zu den tausenden von Leben die er retten würde, wenn er es schaffte, den Schild zu aktivieren. Und mehr noch… er würde diese Insel retten. Santorin, sein Atlantis würde nicht untergehen – kein zweites Mal.

    War es nicht das, was er sich immer erträumt hatte, seit er in D.C. ein ereignisloses Leben hinter dem Schreibtisch führte? Einen Unterschied bewirken – vielleicht ein letztes Mal, etwas Bedeutendes tun, ein Held sein… ja, vielleicht auch das. Gott, was war er doch für ein Macho. Schrie er wirklich nach einem glorreichen Abgang? Nein, er wollte nicht sterben, aber wenn es der Preis war, den er zahlen musste, wenn es die Demut war, die man von ihm verlangte, dann war er bereit dazu - wie sehr spürte er erst jetzt in diesem Augenblick. Und durch die Gewissheit, dass er damit auch die Menschen schützte, die ihm am wichtigsten waren, erschien ihm das Risiko lohnenswert.

    Ein Geräusch in der Dunkelheit erregte seine Aufmerksamkeit. Er lauschte den schlurfenden Schritten, die sich ihm näherten und die indirekte Beleuchtung warf einen zweiten Schatten neben ihm auf die Terrasse.

    „Es geht mir gut, Daniel.“, sagte er keinen Zweifel hegend, wer sein Gesellschafter war.

    Ein leises Glucksen bestätigte seine Annahme und wenig später spürte er Daniels Anwesenheit neben sich.

    „Wieso bist du dann hier draußen?“, fragte Daniel mit einem herzhaften Gähnen und zog den Gürtel seines Morgenmantels etwas enger.

    „Ich hab nachgedacht…“, gab Jack zu und setzte sich zur Entlastung seiner Beine auf die Mauerbrüstung. „Konnte nicht schlafen. Hab den Vulkan beobachtet…“

    Er legte die Krücken zu seinen Füßen auf den Boden und bemerkte sehr wohl, dass Daniel jede seiner Bewegungen verfolgte und bemüht war, nicht allzu gebannt auf seine vernarbten Knie zu starren. Nein, einen Schönheitswettbewerb konnte er mit seinen Beinen wirklich nicht mehr gewinnen. Im Normalfall hätten die Wunden inzwischen gut verheilt, fast weiß und glatt sein müssen. Doch die Narben waren noch immer rot und wulstig, so als schienen sich die Wunden einfach nicht richtig schließen zu wollen… sie beide kannten den Grund.

    „Warum, Jack?“, fragte Daniel plötzlich, riss den Blick von Jacks Beinen los und sah ihm streng ins Gesicht.

    „Was meinst du…“, wollte Jack irritiert wissen.

    Er hatte keine Ahnung, was Daniel von ihm wollte, doch er sah die Sorge in den Augen seines Freundes und die Härte seiner Züge verriet O’Neill Daniels emotionalen Aufruhr.

    „Warum willst du den Helden spielen?“, fragte Daniel schließlich direkt. „Du musst das nicht tun. Sheppard kann genauso gut versuchen…“

    „Du weißt, dass das nicht hinhaut, Daniel“, unterbrach ihn Jack sofort.

    Er seufzte. Sie hatten das gestern x-mal durchgekaut. Sheppard besaß zwar von Geburt an das Antiker-Gen, doch sie waren sich darüber einig, dass das Gen der Heiler gefragt war um in diesem Teil der Welt das Gleichgewicht wieder herzustellen.

    „Es wird deine Beine nicht retten. Im Gegenteil, die Wahrscheinlichkeit, dass du dabei drauf gehst, ist viel größer…“, begehrte Daniel plötzlich auf und überrumpelte O’Neill damit völlig.

    Jack sah, wie sich Daniels Blick verdunkelte. Der Archäologe verschränkte trotzig wie ein kleines Kind die Arme vor der Brust und richtete sich zur vollen Größe auf. Mit einem abschätzenden Blick und auf die Brust gesenktem Kinn, schielte er über den Rand seiner Brille hinweg und meinte:

    „Das ist es nicht wahr? Du hoffst, dabei drauf zu gehen… Du willst als Märtyrer in die Geschichte eingehen. Lieber sterben, als ein Leben als Krüppel zu führen, ist es das? Ist es das, Jack?“

    „Daniel…“, meinte Jack beschwichtigend und fragte sich, warum Daniel auf einmal so aufgebracht war. Er war nicht bereit diese Diskussion zu führen und genau das brachte wohl auch sein Gesicht zum Ausdruck, denn Daniel polterte weiter:

    „Du verdammter, egoistischer Mistkerl… Wann hörst du auf immer nur an dich zu denken…?“

    „Das tu ich nicht“, wehrte Jack ab.

    „Doch, tust du!“, meinte Daniel beharrlich, das Gesicht rot vor Zorn.

    „Tu ich nicht“, hielt Jack stur dagegen.

    „Das tust du doch…“

    „Daniel.“

    Jack hob die Hände, denn Daniel begann nun wie wild mit einem ausgestreckten Zeigefinger auf seine Brust zu hämmern.

    „Tust du doch…“

    „Daniel!“, schrie Jack, schlug Daniels Hand beiseite und wich etwas zurück.

    Schon lange hatte er Daniel nicht mehr in einer solchen Verfassung erlebt. In den letzten Jahren hatte Daniel gelernt, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, war zu einem ernsten überlegt handelnden Menschen geworden. Doch nun schien diese Fassade zu bröckeln. Er verlor gänzlich die Fassung, gestikulierte wild mit den Händen und brüllte:

    „Verdammt, Jack. Was dir passiert, passiert auch mir. Wir sind ein Team! Nach all der Scheiße die wir durchgemacht haben…, wir sind… wir sind Brüder! Wann geht das endlich in deinen Gott verdammten Dickschädel? Wir sind Familie, und Blut spielt dabei keine Rolle…“

    Fassungsloses Starren und lähmende Stille folgten diesem Ausbruch. Daniels Blick bohrte sich tief in Jacks Herz. Es loderte nun keine Wut mehr in Daniels Augen, sondern Angst und Verzweiflung und allmählich schlich sich ein Hauch Bestürzung über die eigene Disziplinlosigkeit hinein. Daniel senkte verlegen den Blick, wandte sich ab und stützte sich schwer mit den Händen auf die niedrige Mauer.

    Jack schluckte und starrte eine Weile verloren zu Boden. Er war nicht gut in diesen Dingen, nie gewesen und er musste feststellen, dass er in dieser Hinsicht verdammt wenig dazu gelernt hatte. Er wusste weder, wie er reagieren noch was er sagen sollte. Er stand Daniels Emotionen völlig hilflos gegenüber und das Ausmaß ihrer Bedeutung traf ihn unvorbereitet. Wer mochte sich schon gern mit den eigenen Unzulänglichkeiten auseinander setzen? Und über Gefühle reden, gehörte definitiv zu seinen Schwachpunkten.

    Wusste Daniel denn nicht, was er ihm als Freund bedeutete? Nein, wie sollte er auch? Sie sprachen nicht über ihre Gefühle, als Mann - unter Männern - tat man das nicht. Man legte einen Deckmantel des Schweigens darüber, denn Schweigen war Männersache. Jack war einfach immer davon ausgegangen, dass Daniel wusste, wie wichtig er ihm war, welche bedeutende Rolle er in seinem Leben spielte. Genauso wie Jack annahm, dass er einen ähnlichen Stellenwert in Daniels Leben einnahm.

    Diese Annahme hatte Daniel nunmehr mit seinem Ausbruch bestätigt. Und das machte den Unterschied. Es zu hören, es in Worte zu kleiden, machte es real, machte es zu einer Tatsache, die sich nicht mehr wegwischen ließ und die Verantwortung erzeugte. Was Daniel ihm gegeben hatte war kostbar und so fragil wie eine noch nicht ausgekühlte, frisch geblasene Glaskugel. Es war mehr als die meisten Männer hatten, viel mehr… Und Jack machte sich plötzlich Vorwürfe, weil sein Verhalten wohl nicht über jeden Zweifel erhaben gewesen war. Er räusperte den Druck von seiner Brust, legte Daniel vorsichtig eine Hand auf die Schulter und murmelte ein leises „Hey…“

    Daniel zuckte unter der Berührung zusammen, hob den Kopf und starrte stur aufs Meer hinaus.

    Jack seufzte und nahm langsam die Hand weg. Er wusste es war an ihm etwas zu sagen, denn wenn nicht jetzt wann dann? Vielleicht würde er nie wieder Gelegenheit dazu haben. Also versuchte er es erneut.

    „Daniel… Du, Sam und Cassie, ihr seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben“, begann er leise. „Und wenn es für mich so etwas gibt wie Familie, dann seid ihr das! Tut mir leid, wenn ich das nie richtig zum Ausdruck gebracht habe… Ich dachte, du wüsstest das…“

    Nun war es an ihm zu stammeln und er geriet schließlich ins Stocken, scheiterte an seinen eigenen Worten und an den Emotionen, die dabei in ihm hochkamen. Nein, er war wirklich nicht gut darin, sich den Menschen zu öffnen die er liebte…

    „Ach verdammt, Daniel…“, meinte er schließlich resigniert. „Du kennst mich. Ich bin gern ein harter Mistkerl, aber ich meine es nicht so…“

    Nun endlich sah Daniel ihn an. Jack erwiderte den Blick und zwang sich den gerührten Glanz in Daniels Augen zu ignorieren.

    „Hast du nie Angst, dass uns unsere Glückssträhne mal verlässt, Jack?“, fragte Daniel traurig.

    Jack überlegte. Welche Glückssträhne, dachte er und wollte schon zu einer sarkastischen Bemerkung ansetzen, besann sich jedoch eines Besseren. Dies war kein Zeitpunkt für dumme Scherze. Daniel war es ernst mit seiner Frage, sein Freund hatte Zweifel… Und wenn Jack den morgigen Tag überstehen wollte, war er auf Daniels Hilfe angewiesen.

    „Vielleicht bin ich egoistisch, mag sein“, begann er ernst. „Denn natürlich würde ich lieber in Stiefeln sterben, als irgendwann als alter Mann im Rollstuhl… aber ich lege es nicht drauf an, hörst du!? Ich habe nicht vor, morgen den Löffel abzugeben, okay?“

    Daniel holte Luft, doch Jack hob Einhalt gebietend die Hand. Er musste das jetzt loswerden.

    „Ich hab keine Ahnung, was morgen passiert, Daniel. Aber ich weiß, dass ich es allein nicht schaffe. Ich brauch dich da draußen, okay?“

    Daniel seufzte, hielt seinen Blick noch einen Moment fest und setzte sich dann neben ihn auf die Mauer.

    „Ich hab dich nie im Stich gelassen, oder?“

    „Nein, hast du nicht“, bestätigte Jack sofort.

    Daniel nickte. Die Geister der Vergangenheit riefen nach ihnen und die gedrückte Stimmung ließ sie schwermütig werden. Dennoch wusste Jack, dass dieses Gespräch notwendig gewesen war. Sie beide brauchten die Sicherheit und die Gewissheit ihrer Freundschaft. Und es tat gut zu wissen, dass das Band zwischen ihnen vielleicht stärker war als jemals zuvor. Jack entschied, etwas zur Aufmunterung beizutragen, legte einen Arm um Daniels Schultern und sagte scherzhaft:

    „Also wenn wir uns schon die Nacht um die Ohren schlagen, kannst du mir auch erzählen was mit dir und Vala ist.“

    Daniel nickte wissend und verdrehte die Augen.

    „Vergiss es, Jack!“

    „Wieso?“, fragte Jack empört. „Ich dachte immer es entwickelt sich was bei euch. Wenn man sie mal besser kennt, ist sie doch gar nicht so übel. Ich glaube, du brauchst eine Frau, die dir sagt wo es langgeht…“

    „Jack, ich warne dich“, grummelte Daniel und verkniff sich ein Grinsen.

    „Ich mein ja nur“, stichelte Jack munter weiter. „Es wäre beruhigend für mich zu wissen, dass jemand auf meinen Space-Monkey aufpasst. Und du wirst schließlich auch nicht jünger…“

    Daniel warf ihm einen entrüsteten Blick von der Seite zu.

    „So alt kann ich gar nicht werden, um mich mit Vala einzulassen. Diese Frau ist das pure Gift.“

    „Du musst es ja wissen…“

    „Jack!“

    „Was sich liebt das neckt sich…“, hielt Jack dagegen und musste über Daniels ungläubiges Gesicht lachen.

    Daniel schüttelte nur den Kopf und murmelte mit einem breiten Grinsen:

    „Wie wahr, wie wahr…“

    TBC


  16. #16
    Wächter und Techniker Avatar von Am17
    Registriert seit
    25.01.2010
    Ort
    An Rhein und Mosel
    Beiträge
    681
    Blog-Einträge
    7

    Standard

    Wie der ein sehr gutes und schönes KApitel.
    Die gesammte Story finde ich super.
    Jetzt bin ich mal gespannt wie sich das alles um denVirus Entwickelt.

    Lg Am17

  17. #17
    Turbo-Denker/Seher alias Beamter Avatar von Dakimani
    Registriert seit
    07.09.2007
    Ort
    Steiermark
    Beiträge
    633

    Standard

    WOOOOOOOOOOOOOW!!! Man merkt echt, dass du dich wirklich auf diese FF vorbereitet hast!!

    die wissenschaftler und ihr "Fach-Chinesisch"!!
    Fand die Szene mit dem Hologramm großartig, Rodney spielt mal den Helden, zur abwechslung auch mit Körpereinsatz

    Endlich hat Daniel wieder seine Gefühle gezeigt, und Jack mal dass er welche hat!!
    Fand ich ganz toll die Geschichte zwischen den beiden!!
    Und dann das Thema mit Vala, zum brüllen!!

    Mach weiter so, und ich freue mich schon auf das GROßE FINALE!!!!

    lg
    Daky

  18. #18
    Lieutenant General Avatar von Antares
    Registriert seit
    16.09.2007
    Beiträge
    4.809
    Blog-Einträge
    1

    Standard

    Wieder ein ganz tolles Kapitel!

    Ich finde es faszinierend, wie du Ayiana und Janus in die Story eingebaut hast, das Virus, die Vulkanausbrüche, Atlantis, wie du die Serien mit Griechenland verknüpftst.

    Jetzt sind sie also wieder in Griechenland zurück und mit Jack, Daniel, John und McKay hast du ein sehr schlagkräftiges Team zusammengestellt - ja, auch wenn Jack gesundheitlich sehr stark angeschlagen ist.

    Aber wenn jemand den drohenden Supervulkanausbruch verhindern kann, dann ist es wohl die geballte Kraft der vier Männer, die alle vier etwas dazu beitragen.

    Ganz toll fand ich, dass es ausgerechnet McKay, der über seinen Schatten springen durfte und Jack vor dem Abgrund retten - auch wenn er anschließend drüber gemeckert hat. Damit hast du McKay wunderbar getroffen.

    Auch das letzte Gespräch zwischen Jack und Daniel - - es war wirklich einfach mal nötig, viel zu lange haben sie die Tatsache, dass das Team inzwischen Familie ist, als gegeben hingenommen, ohne es je auszusprechen. Schön, dass Daniel diesen emotionalen Ausbruch hat, damit es auch in Jacks Dickschädel reingeht.

    Jetzt hoffe ich nur, dass heute der Rest kommt, denn ich würde zu gerne wissen, wie sie da wieder rauskommen und ob alle ihre Theorien -einschließlich die mit dem Palast in Knossos - stimmen.

  19. #19
    Senior Airman
    Registriert seit
    25.12.2009
    Beiträge
    33

    Standard

    ... dann will ich Euch mal nicht länger auf die Folter spannen. Es sind übrigens doch 7 Kapitel geworden... Aber hier kommt nun der ganze Rest.

    Danke für das viele Lob. Freut mich besonders, dass ich wohl doch die Atlantis Charas recht gut getroffen habe, denn diese sind mir doch nicht so vertraut.

    ************************************************** ****************

    6. Kapitel: Das Haus der Doppelaxt


    Etwa fünf Kilometer südöstlich von Iraklion lagen die Ausgrabungen der minoischen Palastanlage von Knossos, der ältesten Hauptstadt der Insel. Nirgendwo sonst auf Kreta erhielt man einen so umfassenden Eindruck von der minoischen Palastarchitektur wie an diesem Ort. Die Anlage entstand als riesiges Gebäudeensemble von bis zu fünf Stockwerken auf einer lichten Fläche von fast drei Hektar. Man mutmaßte der Palast habe mehr als tausend Räume besessen. Er war zu keiner Zeit von einer Befestigungsmauer umgeben, und war wie alle Palastanlagen der Minoer, um einen rechteckigen Zentralhof errichtet.

    Aus vier Richtungen kamen verwinkelte, vergleichsweise schmale Gänge, reich dekorierte Korridore, an denen herrlich bemalte Säle angrenzten, zerteilt von aufwendig gestalteten Treppenhäusern und Säulenumstandenen Galerien. Diese Räume und Korridore waren in einer solch verwirrenden Anordnung an einander gereiht, dass sie weniger den Eindruck von durchdachter Architektur erweckten, sondern eher die Erinnerung an einen mythisch-kultischen Ort weckten. Die verwinkelte Anlage des Palastes war vermutlich auch der Ursprung der Legende vom Labyrinth in dem Theseus den Minotaurus tötete. „Labrys“ kam aus dem Griechischen und stand für die Doppelaxt, die ein auf den Palastwänden wiederkehrendes Motiv war, weswegen man Knossos auch als das „Haus der Doppelaxt“ bezeichnete.

    Daniel war sich sicher, dass der Ort Knossos schon lange nicht mehr dermaßen im Mittelpunkt des Interesses gestanden hatte. Das Areal war weiträumig abgesperrt mit schwerem Militäraufgebot, Feuergeschütz und Hubschraubern in der Luft, die über der Ausgrabungsstätte ihre Kreise zogen. Für was dies allerdings gut sein sollte, blieb Daniel ein Rätsel. Wenn ihre Mission scheiterte, würden ihnen die vielen Panzer mit ihren schweren Geschützen auch nichts nützen. Wahrscheinlich blieb ihnen nicht einmal mehr genügend Zeit, um den Evakuierungsplan umzusetzen. Der Wagen, der sie direkt vom Flughafen hierhergefahren hatte, hielt direkt am Eingang und nach einer kurzen Lagebesprechung mit dem Einsatzleiter waren sie soweit.

    Rodney trug den Behälter mit dem ZPM dicht am Körper, als sei es das wertvollste auf der Welt. Sheppard führte einen kleinen Trupp Soldaten an auf deren Anwesenheit die griechische Regierung bestand. Wahrscheinlich gehörten sie einer Spezialeinheit an, vertraut damit Ungewöhnliches zu erleben und Geheimnisse zu bewahren. Daniel stand in direktem Funkkontakt mit Dr. Lee und seinem Team, die auf Santorin geblieben waren und von dort aus die Geschehnisse mit ihren Messgeräten beobachteten.

    Nach den letzten ihnen vorliegenden Informationen nahm die tektonische Aktivität rund um die Insel zu und Nea Kameni spie in immer kürzeren Abständen Aschewolken aus. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit. Der kleine Trupp setzte sich mit Daniel und Jack an der Spitze in Bewegung. Sie kannten ihr Ziel, auch wenn sie noch nicht wussten, was genau sie dort erwartete. Daniel warf Jack einen verstohlenen Blick zu. Er behalf sich mit nur einer Krücke. Sein Gesicht spiegelte keinerlei Emotionen wieder. Sein Blick ging stur geradeaus, die Kiefer fest auf einander gepresst und die Augen so dunkel, das man den Schmerz darin fast übersehen konnte.

    Daniel erinnerte sich daran, Jack heute Morgen widerwillig die dreifache Dosis des üblichen Schmerzmittels gespritzt zu haben. Doch er sah ein, dass sein Freund diese Aufgabe wohl sonst kaum meistern würde. Das Fieber war immer noch sehr hoch. Kein Antibiotikum der Welt konnte es senken. Jacks Gesicht war fahl und grau, die Lippen blutleer und Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Daniel fragte sich, was den Mann überhaupt auf den Beinen hielt und verdrängte die aufkeimende Sorge, dass dies das Ende ihrer Glückssträhne sein könnte.

    Sie ließen den Eingang hinter sich und schritten durch den schmalen, länglichen Prozessionskorridor. Die Wände waren mit lebensgroßen Fresken geschmückt. Sie stellten Opferpriester dar unter deren starren Blicken sich Daniel fühlte wie ein Lamm auf dem Weg zum Schlachthof. Schweigend erreichten sie das Südpropylon - ein säulengestützter Raum mit zwei Geschossen und durchquerten den Südkorridor, vorbei an dem berühmten Fresko des Lilienprinzen, und weiter zum Mittelhof. Mit seinen riesigen Ausmaßen sollte er das Zentrum gesellschaftlicher Spiele und Zeremonien gewesen sein. Der angrenzende Westflügel war wohl repräsentativen Zwecken vorbehalten. In diesem Bereich wurden auch Anhaltspunkte für Lager- und Magazinräume gefunden. Zügig passierten sie die lebensgroßen Gefäße, die der Bevorratung von Wein, Öl und Getreide gedient hatten und erreichten schließlich im nördlichen Teil des Westflügels, direkt am Innenhof gelegen, den Vorraum zum Thronsaal.

    „Wir sind da“, erklärte Daniel unnötigerweise, denn der Blick ins Innere des Raumes ließ deutlich eine Holzreplik des Throns des Minos erkennen.

    An den Wänden befanden sich Steinbänke, die wahrscheinlich für Bittsteller der Audienzen vorgesehen waren oder aber für Zuschauer mythischer Opferkulte. Ihre wahre Bedeutung würde wohl immer im Verborgenen bleiben.

    „Okay, und was nun?“, fragte McKay ungeduldig und blickte von einem zum anderen.

    Sie tauschten ratlose Blicke, standen unter glühender Sonne und warteten. Doch worauf? Es würde kein Zeichen vom Himmel kommen, das ihnen sagte was sie tun sollten. Und so dauerte es nicht lange, bis Jack in seine alte Rolle verfiel und die Befehlsgewalt in seine Hand nahm.

    „Sheppard, sie bleiben mit den Soldaten hier draußen und warten. Daniel, du bleibst bei ihnen und hältst Funkkontakt mit Lee…“

    „Jack“

    „Das ist ein Befehl, Daniel. McKay, mitkommen!“

    Die Order war klar und deutlich, obwohl sie von einem Mann kam, der nicht nur schwer krank aussah, sondern der sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Daniel seufzte. Er wusste es hatte keinen Zweck Jack zu widersprechen und es war auch nicht die Zeit für Diskussionen. Jack war am Ende, sein Hemd war durchgeschwitzt, das Haar klebte ihm an Stirn und Schläfen und seine Hand zitterte, als er Daniel seine Mütze in die Hand drückte. Ein letzter flüchtiger Blickkontakt und dann betrat Jack gefolgt von einem zögerlichen McKay das Allerheiligste im ‚Haus der Doppelaxt’.

    ***

    Jack musste leicht den Kopf einziehen, als er durch den Vorraum zum eigentlichen Thronsaal humpelte. Die Decke war sehr niedrig, der Türsturz noch niedriger, die Luft kühl und modriger Geruch stieg in seine Nase. Er verdrängte den Gedanken an eine Gruft und zwängte sich durch die schmale Tür in den zentralen Raum des Palastes. An der Wand stand der Thron aus Alabaster einer großen Wasserschale aus kostbarem Porphyr gegenüber, die sich im Zentrum der vier Wände befand.

    Er hatte von Daniel gelernt, dass Minos auf diesem Thron gesessen hatte und vor sich im Wasserbecken Schlangen als Symbol seiner Macht hielt. Vielleicht irrten die Archäologen aber auch und der Thron blieb frei für eine Gottheit, so wie das in Ägypten mit dem „Thron der Isis“ der Fall war, überlegte Jack und erinnerte sich an die zahlreichen Bücher in Daniels Labor im SGC, die er oft nur gelangweilt durchgeblättert hatte, während sein Freund verzweifelt versuchte ihm ihre Bedeutung und die Zusammenhänge mit den Goa’uld näher zu bringen.
    Jack sah sich weiter um.

    Über den Steinbänken befand sich ein Fresko an der Wand, das Greifen darstellte - eine Art Fabelwesen mit dem Körper eines Löwen und dem Kopf eines Adlers -, oder eine außerirdische Lebensform von einem der vielen Planeten, die die Antiker bereist hatten?

    „Ähm, selbst auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole…“, bemerkte McKay ungeduldig. „…was machen wir jetzt?“

    Jack wandte sich dem Wissenschaftler zu und überlegte kurz. Wenn er richtig lag, würde sich alles wie von selbst ergeben. Einen Plan hatte er nicht. Also zuckte er lediglich mit den Schultern und meinte mit einem schiefen Grinsen:

    „Vielleicht sagt es uns das ZPM…“

    McKay sah ihn zweifelnd an und Jack rechnete bereits mit einer Bemerkung a la ‚für wie dämlich halten sie mich eigentlich?’, aber Rodney sagte nichts dergleichen, sondern ging in die Hocke, stellte den Kasten mit dem ZPM ab und öffnete den Deckel. Jack beobachtete wie McKay das ZPM vorsichtig und behutsam – einem rohen Ei gleich – aus dem Kasten nahm um es dann mit weit in die Luft gestreckten Armen gegen die Decke zu halten. Er wiederholte diese Geste in alle vier Himmelsrichtungen und Jack unterdrückte ein Grinsen. Nein, so einfach würde es ihnen Gerasija nicht machen…

    „Was bitte genau tun Sie da“, fragte er belustigt.

    „Haben Sie vielleicht ’ne bessere Idee? Ich sehe hier jedenfalls nichts was auch nur annähernd an Antiker Technologie erinnert“, konterte McKay beleidigt und murmelte weiter, dass er gar nicht wüsste, was er hier inmitten von lauter Schwachsinnigen die seiner Anwesenheit gar nicht würdig waren überhaupt trieb. Außerdem sei er nur hier, um Sam Carter einen Gefallen zu tun, und er könnte genauso gut zurück nach Atlantis gehen, wo man seine Arbeit zu schätzen wusste und ein Haufen der vorgenannten auf ihn wartete. Jack unterbrach seinen Redefluss, indem er laut sagte:

    „Warum setzen Sie das Ding nicht einfach in die Mitte der Schale, McKay und wir werden sehen was passiert.“

    McKay sah ihn an, wie man wohl einen komplett Irren ansah, als habe er eine völlig fantastische, unvorstellbare Idee hervorgebracht… Schützend presste Rodney das ZPM an seine Brust und seine Lippen öffneten sich zu einem Gegenargument, das jedoch von Daniels leicht verzerrter Stimme aus McKays Funkgerät im Keim erstickt wurde.

    „Jack, könnt ihr euch ein wenig beeilen, bitte? Ich hab keine guten Nachrichten von Lee… scheint als hätte es Nea Kameni eiliger als wir dachten. Da braut sich ganz schön was zusammen…“

    „Nur nicht drängeln“, schnarrte McKay ins Funkgerät, schaltete ab und reichte nach einem letzten zweifelnden Blick das ZPM an Jack.

    „Vorsichtig, bitte!“, bettelte er, als O’Neill die Energiequelle mit nur einer Hand entgegennahm und ohne Zögern auf die große Schale zu humpelte.

    Jack achtete nicht auf ihn. Er wusste, dass McKay ihn für einen kompletten Idioten hielt – eine Einschätzung, die übrigens auf Gegenseitigkeit beruhte -, für einen Lamettaträger, der sich seine Sterne nur durch Kriegspielerei verdient hatte, für einen Analphabeten wenn es um Technik und um Antiker-Technologie im Besonderen ging, für einen Dilettanten, der den Status des Gen-Trägers nicht zu schätzen wusste und vielleicht hatte er ja sogar recht mit diesen Dingen. Doch er besaß Instinkt. Und dieser hatte ihn selten im Stich gelassen.

    „Mitkommen“, meinte Jack knapp und stellte zufrieden fest, dass McKay seinem Befehl folgte.

    Anscheinend hatte der Wissenschaftler doch viel gelernt bei Sheppard. Und wenn Jack recht hatte mit seiner Vermutung, dann würde er McKay noch dringend brauchen.

    „Das ist eine stinknormale Schüssel“, meinte McKay verständnislos. „Was also bitte soll passieren, wenn…“

    „Sehen Sie sich um, McKay“, forderte Jack und machte eine allumfassende Armbewegung.

    Da war der Stuhl an der Wand, die Schale in der Mitte des Raumes… Mit ein wenig Fantasie und dem Hintergrundwissen über die Antiker konnte man auf den Gedanken kommen…

    „Glauben Sie wirklich, in dieser Schale wurden Schlangen gehalten?“, murmelte Jack und platzierte das ZPM vorsichtig in deren Mitte.

    Er hielt unwillkürlich den Atem an und er spürte, dass es ihm McKay gleich tat. Doch nichts passierte. Jack zog scharf die Luft in seine Lungen und richtete sich mit einem Seufzen auf. Sollte er sich wirklich getäuscht haben? Sollte sich Daniel getäuscht haben?

    Er sah McKay an und hob schnell drohend den Zeigefinger, als dieser zu einer Bemerkung ansetzte. Artig klappte McKay den Mund wieder zu und schenkte ihm einen Blick der mehr sagte als tausend Worte. Doch so schnell gab sich Jack nicht geschlagen. Es musste hier sein… er fühlte es… und einer plötzlichen Eingebung folgend, ging er zum Alabasterthron und ließ sich darauf nieder.

    Immer noch nichts…

    Jack legte die Krücke ab, schloss die Augen, konzentrierte sich auf seinen Herzschlag und legte langsam die Handflächen an die Seiten des Steinsessels. Wärme durchzuckte ihn, er lauschte angestrengt, Helligkeit schimmerte durch seine geschlossenen Lider…

    „O’Neill, das ZPM…“, hörte er McKay erstaunt sagen.

    Ja, es funktionierte. Er musste nicht hinsehen, um bestätigt zu bekommen, dass das ZPM seine Funktion aufgenommen hatte, er konnte es spüren mit all seinen Sinnen. Er fühlte den Stein unter seinen Händen vibrieren, der Boden unter seinen Füßen begann zu beben und mit einem immer lauter anschwellenden Knirschen und Knarren bewegte sich der Boden des Thronsaals samt Schale und Steinsessel in die Tiefe. Jack hörte McKay erschrocken auf keuchen und nach Colonel Sheppard schreien, der Rest ging jedoch unter in einem immer lauter anschwellenden Rumpeln das erzeugt wurde von aufeinander reibendem Stein.

    Sekunden später herrschte plötzlich Stille. Der Boden bewegte sich nicht mehr. Nur ein leises Rieseln von Sand und das Bröseln herab fallender Kiesel war zu hören. Jack ließ die angehaltene Luft aus seinen Lungen entweichen, atmete tief durch und öffnete die Augen. Er stierte in McKays erstauntes Gesicht, das ihn mit offenem Mund anblickte.

    „Wahnsinn“, entfuhr es dem Wissenschaftler und O’Neill musste ihm in gewisser Hinsicht Recht geben.

    Sie befanden sich nun tief unter dem Palast, dort wo man dem Mythos nach das Labyrinth vermutete, indem Minos den Minotaurus gefangen hielt, dort wohin noch kein Archäologe vorgedrungen war.

    „Alles klar bei euch?“, quäkte Daniels Stimme aus McKays Funkgerät.

    Die Verbindung war schlecht. Das Gerät rauschte und kratzte und als ob es Jack geahnt hätte ging McKays Antwort in der Statik unter, denn Daniel brüllte plötzlich von oben: „Alles okay?“

    Jack hob den Blick und sah circa dreißig Meter über ihnen Daniels Gesicht über dem Rand des Abgrunds schweben. Kurz darauf tauchte ein zweites auf: Sheppard. Jack konnte ein amüsiertes Grinsen nicht unterdrücken und winkte.

    „Gott zum Gruße“, murmelte er und rief dann lauter: „Ja, ja, alles klar. Wir sehen uns jetzt um. Over and out!“

    „Wir werden keinen Funkkontakt mehr haben“, gab McKay zu bedenken.

    Jack zuckte mit den Achseln.

    „Anzunehmen…“, meinte er leichthin und stemmte sich aus dem Steinsessel, kam jedoch nicht an seine Krücke heran, die bei ihrer „Abfahrt“ weggerutscht war. Er knurrte, humpelte ein paar Schritte und kam ins Straucheln, doch McKay war auf einmal da und packte ihn am Ellbogen um ihn zu stützen. Jack überlegte kurz, sich gegen diese Hilfeleistung zu wehren, aber es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für falschen Stolz. Also ließ er sich von McKay führen, bis dieser ihm endlich die Krücke wieder reichte.

    „Danke“, grummelte er leise und wies dann den dunklen engen Gang hinunter an dessen Ende eine deutlich hellere Öffnung zu erkennen war.

    „Dort entlang… bleiben Sie dicht hinter mir und nehmen Sie das ZPM mit.“

    „Sind Sie sicher? Und wenn sich der Aufzug dann wieder nach oben bewegt?“

    „Wird er nicht!“

    „Na, Sie müssen es ja wissen…“, knurrte McKay zurück, ließ ihn vorgehen, klemmte sich das ZPM unter den Arm, stellte zufrieden fest, dass nichts passierte und folgte Jack auf dem Fuße.

    Der Gang war eng, dunkel und schmutzig. Die Decke wölbte sich gefährlich. Doch sie bestand nicht aus Lehm oder Stein. Die Wände, Decke und Fußboden schienen von einem harten glänzenden Metall überzogen und Jack kam spontan der Gedanke an Elfengold in den Sinn – Oreichalkos.

    „Das ist Naquadah“, meinte McKay ehrfürchtig, fuhr mit der Hand an der glatten Wand entlang und versuchte im Halbdunkel Details zu erkennen, dabei stieß er mit Jack zusammen, der stehen geblieben war und ihn nun vorwurfsvoll anstarrte.

    McKay zog unwillkürlich den Kopf ein und stammelte:

    „Dicht, aber nicht so dicht… verstehe. ‚Tschuldigung.“

    Jack verzog leicht genervt das Gesicht, ging weiter und wenige Meter später betraten sie einen kuppelartigen Raum. Alles hier wirkte vertraut. Das Licht, die Wände und das etwas erhöht in der Mitte des Raumes liegende Podest auf dem der Kontrollstuhl stand.

    „Ich glaube es einfach nicht“, meinte McKay beeindruckt. „Woher wussten Sie das, ich meine… wieso hat das hier nie jemand entdeckt?“

    Gute Frage, dachte Jack. Daniel hatte ihm erklärt, dass das Labyrinth von außen nicht zugänglich war. Die Archäologen vermuteten zwar unter Knossos geheime Tunnel und Höhlen, doch zu deren Erforschung war es bisher nicht gekommen. Diverse geologische Untersuchungen hatten ergeben, dass es nur noch wenige begehbare Hohlräume gab, die es nicht wert waren weiter erkundet zu werden. Konnte es sein, dass die Antiker den Kontrollraum mit einer Art Tarnvorrichtung versehen hatten? Oder sorgten die mit Naquadah verkleideten Wände dafür, dass dieses Labyrinth bis heute unentdeckt geblieben war?
    Ein erneutes Beben der Erde unterbrach seine Gedanken und von der Ferne hörte er Daniel rufen:

    „Jack? McKay? Ich weiß nicht, ob ihr mich hören könnt, aber wir haben nur noch wenige Stunden. Laut Lee spuckt Nea Kameni inzwischen mächtige Aschewolken in die Luft und die seismologische Aktivität nimmt bedenkliche Ausmaße an…“

    „Was er nicht sagt?“, meinte McKay und kam damit O’Neills Sarkasmus gefährlich nahe. „Wären wir doch nie drauf gekommen…“

    Sie hatten inzwischen Mühe sich auf den Beinen zu halten, doch die Wände um sie herum schienen stabil und zumindest der Kontrollraum erdbebensicher – sonst wäre er über die Jahrtausende sicher auch schon längst zerstört worden.

    „Na, dann los…“, brummte Jack.

    Und als hätten sie nie etwas anderes getan, funktionierten sie auf einmal als eine Einheit, als ein Team, das keinen Austausch mit Worten mehr bedurfte. So als hätten sie sich schon immer blind verstanden, als seien ihre Handlungen aufeinander abgestimmt agierten Rodney McKay und Jack O’Neill auf einmal Hand in Hand. Und während McKay das ZPM im Podest versenkte, nahm Jack seinen Platz auf dem Kontrollstuhl ein, zögerte kaum merklich, bevor er sich dann mit geschlossenen Augen zurücklehnte und seine Hände auf die Kontrollen in den Armlehnen legte. Er wurde eins mit dem Stuhl, der zu leuchten begann, das Gen in ihm aktivierte die Maschine, die Rückenlehne sank zurück und Jack verlor das Gefühl für Zeit und Raum.

    Er fühlte Hitze, das Blut kochte in seinen Adern, brachte seinen Puls zum Rasen und presste die Luft aus seinen Lungen. Sein ganzes bewusstes Sein wurde zum Herzschlag der Insel, mit der er nun ums Überleben kämpfte. Er fühlte Schmerz, brennende Pein, tauchte ab in den Strom des Chaos. Nichts war geregelt, nichts war geordnet. Ungleichgewicht herrschte, Naturgewalten tobten und drohten die Waage zum Bersten zu bringen. Sein Geist tastete sich voran, schritt weit hinaus auf der Suche nach dem einzig Wahren, der einzigen Lösung, dem Schlüssel, der ihm Zugang gewährte.

    Er fühlte die brennende Glut, Lava so heiß, dass alles was sie berührte verdampfte, so rot und gleißend wie die Sonne, die das tiefe Blau des Meeres in Feuer tauchte. Er suchte das Licht, doch in seinem Herzen herrschte tiefe Nacht. Eine alles verschlingende Welle wogte heran, füllte seine leeren Gedanken mit einer zielgerichteten Kraft, die ihn aus einer See der Verluste hinaus spülte. Er hielt die Flamme, konzentrierte seine ganzen Sinne auf die Inkraftsetzung des Schutzschildes und ebnete den Weg. Ein leuchtender Bogen spannte und dehnte sich aus, umspülte das was Atlantis war und noch heute ist – unerkannt und unsichtbar, jedoch Schutz und Geborgenheit gebend. Doch damit nicht genug…

    Er fokussierte seine Fähigkeiten auf das Seuchenschutzprogramm, dachte in Demut an Krankheit und Tod und setzte mit Hilfe des Gens eine Energie frei, die alles durchwirkte, ins Sein brachte und am Sein erhielt und schuf so ein Gleichgewicht, das die Welt wieder in ihre Angeln hob. Er stand mit sich selbst am Anfang, stark im Herzen und in seinen Träumen – jedoch mit schwacher Hand. Noch einmal warf er alles in die Waagschale setzte alles aufs Spiel, teilte seine Lebensenergie, sein ganzes Sein, zog einen Kreis um das Land, beherrschte die Kräfte der Natur und schenkte Gesundung, die Blumen gedeihen, Flüsse fließen und Menschen wachsen ließ.

    Im Zeichen der Flut kam die Heilung klar und hell wie der neue Tag. Er spendete Leben, gab sein Blut, weil er nicht anders konnte, weil es seine Aufgabe war… hinterließ seinen genetischen Abdruck, so wie es die Vorsehung von ihm verlangte, so wie es von Beginn an sein sollte. Und blieb zurück – schwach, ausgelaugt, mit einem Loch im Herzen und einer tiefen Wunde, die sich nie mehr schließen sollte…

    ***

    McKay war fasziniert von den Geschehnissen um ihn herum. Der Boden unter seinen Füßen bebte so stark, dass er auf die Knie fiel, weil er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er fürchtete jeden Moment, dass die Decke auf sie hernieder krachte, doch der Kontrollraum schien stabiler als er dachte. Er wollte gar nicht wissen, wie die Welt über ihnen aussah. Es musste ein verheerendes Beben sein, das Kreta kräftig durchrüttelte und das Haus der Doppelaxt vielleicht vollends zerstörte. Er verdrängte jeglichen Gedanken an die Ursache des Erdbebens. Er wollte sich kein Santorin vorstellen, das von Lava überflutet wurde, kein Nea Kameni, das durch einen explodierenden Vulkan unterging und damit einen Tsunami auslöste, der sie innerhalb weniger Minuten verschlingen würde.

    Und er wollte garantiert nicht hier sterben! Er widerstand dem Drang durch den Gang zurück zu rennen. Es hätte ohnehin kein Entkommen gegeben. Niemand hätte ihn aus dem dreißig Meter tiefen Loch ziehen können, dass ihre Talfahrt in die Erde gegraben hatte. Er dachte an Sheppard, Jackson und die anderen und konnte nur hoffen, dass sie sich irgendwo in Sicherheit gebracht hatten. Der Vorraum zum Thronsaal war während dieses Bebens ganz sicher kein guter Aufenthaltsort. Bei jedem Krachen, Ächzen, Poltern und Donnern, zog Rodney unwillkürlich den Kopf ein, doch die Decke hielt und so hingen seine Augen wie gebannt an Jack O’Neill der den Kontrollstuhl bediente.

    Der General hatte die Augen fest geschlossen, ab und an zuckten die Muskeln in seinem Gesicht, doch seine Hände lagen ruhig auf den Kontaktfeldern. McKay bemerkte die Anspannung O’Neills, sah die Schweißperlen auf der gerunzelten Stirn und fragte sich unwillkürlich, ob er Schmerzen litt.

    Nach einigen Sekunden erstrahlte der ganze Kontrollraum in hellem Licht und so heftig das Beben im Moment auch noch gewesen war in der nächsten Sekunde hörte die Welt auf sich zu winden und zu schütteln und Stille herrschte. Nichts regte sich mehr, kein Laut drang in sein Ohr und ein Wort kam ihm in den Sinn: Grabesstille! Er schüttelte den Schauer ab, der ihn plötzlich überlief und lauschte. Nichts.

    Er sah zu O’Neill, doch der saß noch immer unverändert im Stuhl und dieser war noch immer erleuchtet und in der gleichen Position. Es war noch nicht vorbei. O’Neill war noch immer mit den „Reparaturarbeiten“ beschäftigt, denn aus der Stille entstand plötzlich Leben. So unmöglich McKay dies auch erschien, er hörte Vögel singen, Glocken läuten und in der Ferne sogar einen Hund bellen – irreal, fantastisch und doch auch wieder nicht. Der Schweiß rann O’Neill nun in Rinnsalen über das Gesicht, und McKay stellte sich bildlich vor wie das Seuchenschutzprogramm aktiviert wurde.

    Alles wird gut…, schoss es ihm durch den Kopf und noch ehe er diesen Gedanken zu Ende denken konnte, erlosch das Licht des Stuhls. Es war vollbracht! McKay hegte keinen Zweifel daran. Sofort hechtete er zum Podest des Kontrollstuhles und kontrollierte die Funktion des ZPM’s. Mit einem zufriedenen Lächeln stellte er das permanente Leuchten fest.

    „Ja!“, rief er triumphierend, keinen Zweifel daran hegend, dass es O’Neill gelungen war sowohl das Schutzschild als auch das Seuchenschutzprogramm zu reaktivieren.

    „Das haben sie richtig gut gemacht, O’Neill… richtig gut“, meinte er. „General?“

    Irritiert sah er auf als er keine Antwort erhielt. O’Neill war etwas zusammengesunken, der Kopf zur Seite gefallen… er war kreidebleich, totenbleich…

    „Nein, nein, NEIN…“, sprach McKay laut aus was er dachte, kam auf die Füße und tänzelte hektisch.

    Er wusste nicht was er tun sollte, fühlte sich im Moment völlig überfordert und kämpfte die aufkeimende Panik nieder. Er packte O’Neill an den Schultern und rüttelte ihn unsanft. Keine Reaktion. Verdammt, Sam würde ihn umbringen…
    Atmung… wo war die Atmung? Rodney starrte auf O’Neills Brustkorb, konnte jedoch keine Bewegung erkennen. Hektisch tastete er nach einem Puls – nichts.

    „Oh Shit“, stöhnte er gequält. „Shit, shit, SHIT!“

    „J A C K“, hallte Daniel Jacksons Stimme dumpf und leise durch den Tunnel, dicht gefolgt von Sheppards eindringlichem: „R O D N E Y?“

    Gott lob, zumindest John und die anderen waren okay… Er widerstand der Versuchung durch den Tunnel zurückzulaufen und kundzutun, dass er am Leben war und so schrie er nur lauthals „J A!“ und hoffte damit Zeit zu schinden, falls sie ihn überhaupt hören konnten.

    Noch immer unschlüssig was er tun sollte, knetete er nervös seine Hände und hüpfte von einem Fuß auf den anderen. Ganz ruhig jetzt, sagte er sich selbst. Komm schon Rodney, du schaffst das, denke einfach analytisch. Er brauchte O’Neill um hier wieder raus zu kommen, und er brauchte ihn lebend. Also musste er dafür sorgen, dass O’Neill aufwachte und vor allem, dass er atmete.

    Guter Plan! Rodney stürzte zurück zu O’Neill, der noch immer regungslos im Stuhl saß, hievte ihn mit ziemlicher Kraftanstrengung auf den Boden und blieb atemlos neben ihm hocken. Erste Hilfe, Wiederbelebung… verdammt wie ging das noch mal? Dreimal beatmen und zehnmal pumpen oder waren es doch fünf Atemzüge und fünfzehn Mal Rippenquetschen…?

    „Verdammt, verdammt, VERDAMMT!“

    Rodney ließ seiner Frustration freien Lauf. Niemand hörte ihn hier unten – leider noch nicht einmal O’Neill, dessen Brustkorb immer noch keine Anzeichen von Atmung zeigte. Wunder passierten eben nicht, wenn man sie dringend brauchte. Rodney verdrehte genervt die Augen, fasste sich, überstreckte O’Neills Kopf, verschloss die Nase, öffnete den Mund, holte tief Luft und beugte sich über den leblosen Körper…

    „Wagen Sie es ja nicht…“, krächzte Jack plötzlich heiser und McKay fuhr erschrocken zurück.

    „Oh, Sie verdammter Mistkerl“, entfuhr es Rodney und drohte O’Neill mit der geballten Faust. Er wollte ihn schlagen, ihn schütteln, ihn würgen, wenn… ja, wenn der Mann nicht so verdammt elend aussähe. Also hockte er sich zurück auf die Fersen und meinte nur grimmig:

    „Ich kann Sie nicht leiden, O’Neill!“

    Jack lag noch immer flach auf dem Rücken. Seine Atmung kam stoßweise, so als müsste sie erst den richtigen Rhythmus wiederfinden, doch O’Neills Augen waren auf ihn gerichtet und McKay glaubte sogar ein leichtes Lächeln um O’Neills Mundwinkel zu entdecken, als dieser schwach murmelte:

    „Danke, gleichfalls…“

    Gut, das wäre geklärt, dachte Rodney und verkniff sich ein Grinsen.

    „Können Sie aufstehen?“, fragte er plötzlich ahnend, dass er die Führung übernehmen musste, wenn sie hier raus wollten.

    O’Neill versuchte sich zu bewegen, doch sein schmerzverzerrtes Gesicht sagte mehr als Worte.

    „Also nicht“, führte Rodney unnötigerweise aus. Er seufzte. „Wie fühlen Sie sich?“

    „Wie neu geboren…“, nuschelte O’Neill und sank erschöpft auf den Boden zurück.

    Er schien bereits wieder das Bewusstsein zu verlieren und McKay packte beherzt zu.

    „Nein, nein, nicht einschlafen…“, meinte er laut, schlug O’Neill links und rechts auf die Wange und zog ihn in eine sitzende Position.

    So wie es aussah würde er den General tragen müssen und diese Aussicht war alles andere als begeisternd, denn der Mann hatte deutlich an Gewicht zugelegt in den vergangenen Jahren.

    „Hallo, aufwachen“, rief er wieder und gab seine sinnlosen Versuche schließlich auf. „Ich hoffe wir kommen ohne das ZPM hier raus… aber irgendwie muss ja der Fahrstuhl wieder nach oben gehen…“, brabbelte er mehr zur eigenen Beruhigung, während er O’Neills schlaffen Körper über seine Schulter wuchtete und auf wackligen Beinen zum Stehen kam.

    „Oh Mann, sind Sie schwer…“, stöhnte Rodney und wankte mit seiner Last auf dem Rücken durch den dunklen Tunnel zurück zum Thronsaal „fehlt bloß noch, dass jetzt alles im Eimer ist. Hab echt keine Lust hier in diesem Loch mit Ihnen zu versauern oder erst noch ein paar Steine aus dem Weg zu räumen…“

    „Können Sie nicht einfach mal die Klappe halten…“, kam es leise von seinem Rücken.

    „Oh, wir weilen wieder unter den Lebenden… Bilden Sie sich bloß nichts drauf ein, dass ich Sie hier durch die Gegend schleppe… Das ist reiner Egoismus! Ich will raus hier, das ist alles!“, fauchte McKay und schnaufte und ächzte bedenklich, als er schließlich den Thronsaal erreicht und O’Neill auf dem unversehrten Alabasterstuhl ablud.

    „Braver Junge!“, murmelte Jack und McKay hätte schwören können, dass da ein schelmisches Glitzern in den halbgeöffneten Augen lag. Er verkniff sich ein Grinsen und wich mit einem Nicken zurück. Eher würde er sich die Zunge abbeißen als auch nur ein freundliches Wort über die Lippen zu bringen. Er bewunderte O’Neill für das was er getan hatte, bedauerte die Konsequenz, die der Mann daraus offensichtlich tragen musste, war jedoch nicht bereit diesen Gedanken Ausdruck zu verleihen. Stattdessen meinte er ernst:

    „Schaffen Sie das noch?“

    McKay wartete O’Neills stummes Nicken ab und warf dann einen Blick nach oben. Die Decke des Thronsaals hatte gehalten, doch heruntergefallene Steinbrocken und das fehlende Licht ließ Rodney vermuten, dass es um den Vorraum zum Thronsaal nicht so gut bestellt war. Darüber hinaus war von Sheppard und Dr. Jackson weit und breit nichts zu sehen. Er zog sein Funkgerät aus der Tasche und meinte:

    „Jemand da oben?“

    Eine ganze Weile vernahm er nichts als statisches Rauschen, dann endlich drang Sheppards verzerrte Stimme aus dem Gerät:

    „McKay, alles in Ordnung?“

    „Jaja, alles Roger.“, erwiderte Rodney. „Wir kommen jetzt hoch… hoffentlich“

    „Der Vorraum ist bei dem Beben verschüttet worden. Versuchen gerade den Zugang frei zu räumen… Kann noch ne Weile dauern, McKay!“

    Wieder Sheppards Stimme.

    „Na, ist doch prima…“, plärrte McKay in das Funkgerät schaltete ab und verstaute es wieder in seiner Weste.

    „Over and out…“, nuschelte O’Neill von seinem Stuhl und Rodney musste unwillkürlich grinsen. O’Neills Humor trug durchaus bekannte Züge…

    „Sind Sie soweit?“, fragte McKay.

    „Roger…“, murmelte O’Neill.

    McKay nickte, ging vor der Schale in die Hocke und hielt sich daran fest. Er beobachtete O’Neill gebannt, hoffte dass die mentale Kraft des Mannes noch ausreichte, schickte vorsichtshalber ein Stoßgebet zum Himmel und spürte im selben Augenblick wie der Boden unter seinen Füßen mit einem lauten Rucken in Bewegung kam. O’Neills Hände lagen fest auf den Alabaster gepresst und McKay glaubte zu sehen wie dünnen Adern gleich Energie von dem menschlichen Körper in den Stein floss.

    Er stellte sich vor, wie eine unsichtbare Verbindung mit dem Kontrollraum hergestellt wurde, so dass das ZPM den Aufzug in Bewegung setzen konnte. Es ging nach oben, langsam und ruckelnd aber stetig. O’Neill schwitzte, atmete hektisch. Die Muskeln in seinem Gesicht zuckten, und McKay glaubte O’Neills Zähne knirschen zu hören so fest waren die Kiefer aufeinander gepresst. Und als sie stehen zu bleiben drohten und sogar wieder ein Stück nach unten sanken, öffnete sich O’Neills Mund zu einem lauten gequälten Schrei, der letzte Kraftreserven mobilisierte…

    ***

    Er fühlte sich schwach… viel zu schwach um sich zu rühren, viel zu schwach um auch nur die Augen zu öffnen. Es war als drückte ihn eine schwere Last nieder, die ihm die Luft zum Atmen nahm und es ihm nicht erlaubte, auch nur eine Gliedmaße zu bewegen. Er fühlte keinen Schmerz. All seine Empfindungen blieben seltsam gedämpft so als verliere er die Verbindung zum Hier und Jetzt. War er am Leben? Er glaubte schon, denn er konnte das Blut in seinen Ohren rauschen hören – rauschen wie das Meer, wie die Brandung, die an die Felsen klatschte, so hart schlug das Herz in seiner Brust. Ja, er war am Leben… doch er fühlte sich seltsam leer, ausgesaugt, als wäre alle Kraft aus ihm herausgeflossen…

    Und plötzlich war da Nähe, Berührung, zupackende Hände, stützende Arme. Eine Stimme drang an sein Ohr, wie aus der Ferne – leise, ganz leise und dennoch eindringlich.

    „Sterben Sie mir jetzt bloß nicht weg... Will mir nicht umsonst den Rücken ruiniert haben!“

    McKay… Die Stimme des Wissenschaftlers klang verärgert und doch schwang ein Hauch Ironie darin mit. Waren es seine Hände, seine Arme, die ihn stützten? Er versuchte die Augen zu öffnen, doch selbst dies gelang ihm nicht. Er war müde, so unendlich müde. Alles in ihm schrie nach Ruhe. Warum ließen sie ihn nicht schlafen? Warum gönnten sie ihm keine Erholung? Sie zerrten an ihm, er spürte es.

    Die stützenden Arme verschwanden und Hände griffen nach ihm, zogen, packten ihn hart an. Viele Hände, mehr als zwei… Und wieder Stimmen, lauter diesmal… In wirrem Durcheinander drangen sie in sein Bewusstsein, in unterschiedlichen Sprachen, so dass er kaum etwas verstand. Er lauschte, konzentrierte sich und schnappte schließlich ein paar Brocken auf.

    „Zieht ihn raus… Vorsicht! Passt auf seinen Kopf auf… ja, so ist gut. Ganz langsam… Achtung, verdammt!“

    Er fühlte wie er getragen wurde, es war fast wie ein Schweben, leicht und schwerelos. Helligkeit drang durch seine immer noch geschlossenen Lider.

    „Wir haben ihn… Gut so. Legt ihn auf eine Trage… Wo sind die Sanitäter?“

    Sheppard? Der junge Colonel klang aufgeregt und mit heftigem Rufen entfernte sich dann seine Stimme. Das Schweben hörte auf und er spürte etwas Hartes unter sich. Doch da war keine Kälte… Warme Sonnenstrahlen streichelten sein Gesicht. Sonnenschein… Und plötzlich erinnerte er sich.

    An das was passiert war, was er getan hatte. Und er realisierte, dass wenn die Sonne schien, er gewonnen haben musste. Er war erfolgreich gewesen… Er lauschte, hörte Grillen zirpen, Vögel singen, eine Katze miauen… all dies bedeutete, dass das Haus der Doppelaxt stand gehalten hatte, und es musste zeitgleich bedeuten, dass Atlantis nicht im Meer versunken war. Durch seine Hände ließ er es geschehen… Hatte er sich nicht immer gewünscht, dass durch seine Hände einmal etwas von Bedeutung geschah? Ja, er hatte seine Sache gut gemacht. Zitternd zog er Luft in seine Lungen, schmeckte Staub auf seinen Lippen, der kurz darauf in seinem Hals kratzte und einen Hustenreiz auslöste.

    „Er kriegt keine Luft. Er braucht Sauerstoff… Wo ist Sheppard mit den Sanitätern, verdammt?“

    Er rang nach Luft, kämpfte gegen das Gefühl zu ersticken, versuchte erneut die Augen zu öffnen und als man ihm eine Maske über Mund und Nase stülpte und endlich frische, kühle Luft seine Lungen erfüllte, gelang es ihm sogar ein wenig die Lider zu heben.

    „Alles wird gut, Jack. Hörst Du? Alles wird gut…“

    Daniel! Wie durch einen dichten Schleier sah er verschwommen Daniels Gesicht, das auch noch über ihm tanzte, als man ihn mit einem Ruck anhob. Er versuchte zu sprechen, doch kein Laut drang aus seiner Kehle. Also beschränkte er sich darauf die Augen halbwegs offen zu halten, hielt den Blick auf Daniels Gesicht gerichtet, als wäre es seine einzige Verbindung zum bewussten Dasein. Sanftes Schaukeln machte ihm klar, dass er getragen wurde, er machte sich keine Gedanken über das Wohin. Daniel war da! Er würde ihn nicht im Stich lassen!

    „Wir haben es geschafft, Jack. Du hast es geschafft! Alles wird gut…“

    Alles wird gut! Alles wird gut!

    Daniels Worte klangen in seinen Ohren wie ein Mantra. Und er hörte sie auch noch, als längst alle Stimmen verklungen waren und das Heulen des Martinshorns das einzige Geräusch war, das an seine Ohren drang. Er spürte wie man Nadeln in seine Haut stach, seinen Brustkorb mit Saugnäpfen bedeckte und ihn an Schläuche hing. Und noch immer war da Daniels Gesicht, jedes Mal wenn er es schaffte für wenige Sekunden die Augen zu öffnen, erblickte er das gezwungen aufmunternde Lächeln seines langjährigen Freundes, welches ihn daran erinnern sollte, dass alles gut werden würde.

    Und er wollte daran glauben… später, viel später. Dann, wenn er geschlafen und sich ausgeruht hatte. Dann, wenn er wieder etwas mehr er selbst war, wenn die Kraft in seine Hand zurückgekehrt, sein Blick und seine Gedanken wieder klar waren. Dann würde er anfangen zu glauben, dass alles gut werden würde… Er würde in Demut sein eigenes wund sein annehmen, es schützen und pflegen und akzeptieren, dass er seine Beine dem Gen der Antiker geopfert hatte.


    ***



    7. Kapitel: Heimkehr ins Licht



    Später einmal, in ein paar Jahren vielleicht, wenn es so etwas wie Geheimhaltung nicht mehr gab, könnte eine wunderbare Geschichte daraus entstehen – eine von diesen, die mit „Es war einmal“ begannen und die man vor dem Schlafengehen einfach nicht aus der Hand legen konnte. Ein Heldenepos eben, groß und prächtig in Taten und Gefahren, in dem der Held genau wusste was er zu tun hatte und keine Angst vor Wagnis und Kampf zeigte. Ein Epos in dem das Böse besiegt wurde, während der Held frei, siegreich und strotzend vor Kraft in die Welt hinauszog.

    Daniel seufzte und wünschte es wäre so einfach.

    Er starrte durch die Glasscheibe, die ihn von der Intensivstation trennte, auf Jacks bleiches Gesicht und verdrängte den Vergleich mit einem gefallenen Helden. Sie waren erfolgreich gewesen, ihr Plan war aufgegangen, doch zu welchem Preis?

    Seit Tagen zeigte Jacks Zustand keine Veränderung. Es schien als habe die Inkraftsetzung des Schutzschildes und des Seuchenschutzprogramms alles Leben aus seinem Freund gesaugt. Maschinen sorgten dafür, dass er regelmäßig atmete, Infusionen stabilisierten seinen Kreislauf und dennoch war er kaum bei Bewusstsein, nicht fähig zu sprechen oder auch nur die Augen zu öffnen. McKay und Dr. Lam, die seit gestern hier war, meinten es brauche nur Zeit. Rodney brachte gar den Vergleich einer entleerten Batterie, die sich erst wieder aufladen musste bevor sie funktionierte. Und Daniel wollte gerne glauben, dass sie beide Recht hatten. Letztlich hätte alles viel schlimmer kommen können. Jack hätte sterben können…

    Nur zu gut erinnerte sich Daniel an die eigene Hilflosigkeit, als er mit Sheppard zur Untätigkeit verdammt warten musste, während Jack und McKay versuchten den Kontrollraum zu erreichen. Die Zeit war knapp geworden. Dr. Lee berichtete ihm über Funk alle paar Minuten von dem Voranschreiten der Vulkantätigkeit und den seismologischen Werten, bis ein erstes heftiges Beben deutlich machte, dass es keiner weiteren Berichte bedurfte. Zu diesem Zeitpunkt war der Zugang zum Thronsaal bereits verschüttet und der Funkkontakt zu McKay völlig abgerissen.

    Nicht zu wissen was passierte, nicht eingreifen und die Dinge beeinflussen zu können, hatte ihn schier wahnsinnig gemacht. Und er schämte sich nicht, für kurze Augenblicke gedacht zu haben, dass er Jack nicht mehr lebend wiedersehen würde.

    Doch Helden starben nicht…

    Und Jack war ein Held – keiner mit glänzender Rüstung, keiner der mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen aus den Trümmern stieg, aber er war ein Held. Und er hatte wieder einmal die Welt gerettet!

    „Wie geht es ihm?“

    Daniel blickte erschrocken auf. Rodney McKay war lautlos neben ihn getreten und starrte nun seinerseits betreten durch die Glasscheibe.

    „Keine Veränderung“, meinte Daniel resigniert. “Aber seine Werte sind stabil und Dr. Lam meint sein EEG sei völlig normal…“

    „General Landry hat dafür gesorgt, dass Sam Bescheid bekommt…“

    Nun warf Daniel dem Mann neben ihm einen interessierten Blick zu. McKay hatte tief die Hände in den Hosentaschen vergraben und fixierte durch die Scheibe Jacks Gesicht. Nach einer Weile murmelte er:

    „Ich dachte, sie soll wissen, dass es vorbei ist und dass es ihm gut geht.“

    Daniel sah ihn verwundert an.

    „Sie muss sich auf ihre Arbeit konzentrieren und darf sich keine Sorgen machen. Ich glaubte das sei auch so in O’Neills Sinne “, meinte McKay mit einem Grinsen.
    Und nach einer Atempause fügte er hinzu:
    „Er ist wirklich ein Held, wissen Sie? Er hat das da unten wirklich gut gemacht, wirklich gut… Ich habe keine Ahnung, woher er wusste was zu tun ist, aber er wusste es!“

    Daniel nickte. Er verstand was Rodney meinte. Jack fragte nie danach was richtig oder falsch war, er wusste es einfach. Darin lag Jacks Stärke und vielleicht machte ihn genau das auch zum Helden. Zu einem Helden mit Macken und Kanten zwar und einem der bereit war das Risiko einzugehen einen Fehler zu machen, aber auch bereit die Konsequenzen daraus zu tragen.

    Daniel schüttelte sich innerlich, um den Kopf frei zu bekommen und versuchte dann das Thema in eine andere Richtung zu lenken.

    „Wann reist ihr ab?“

    „Morgen! Sheppard klärt noch ein paar Formalitäten mit der US Botschaft und dem hiesigen Militär. Und dann geht es endlich wieder nach Hause…“, meinte McKay erleichtert und federte etwas in den Knien.

    Daniel nickte. Er wusste, dass McKay mit „nach Hause“ Atlantis meinte und fragte sich, ob er jemals ähnlich über das SGC gedacht hatte… Er war McKay und Sheppard dankbar für ihre Unterstützung. Auch jetzt noch nahm ihm Sheppard alle Formalitäten zwischen Pentagon, US Botschaft und griechischer Regierung ab, so dass er sich voll und ganz auf Jack konzentrieren konnte. Er selbst verbrachte viel Zeit mit Dr. Lam, seit das SGC sie herüber geschickt hatte und er hoffte noch immer, dass sie ein Mittel fänden, das Jacks Beinen half.

    Er fühlte kurz McKays Hand auf seiner Schulter begleitet von einem freundlichen Klaps und als Daniel wieder aufsah war der Wissenschaftler verschwunden. Er lächelte still in sich hinein, dachte dass McKay gar kein so übler Kerl war, nahm einen Kittel vom Haken, betrat leise die Intensivstation und zog sich wie so oft in den letzten Tagen einen Stuhl an das Krankenbett.

    Er hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, Jack jeden Tag über die Fortgänge der Ereignisse zu berichten, fest überzeugt davon, dass sein Freund ihn hören konnte – so wie man das bei Komapatienten auch annahm.

    „Hey, Jack“, begann er leise. „Du siehst gut aus heute Morgen, der Dreitagebart steht dir, willst wohl den Schwestern hier den Kopf verdrehen, hm!? Denke ich werde dich morgen mal rasieren, was meinst du?“

    Daniel lachte leise, setzte sich, nahm seine Brille ab und rieb sich müde die Augen.

    „Sheppard hat alles gut im Griff… ehrlich. Das Beben hat nicht viele Schäden angerichtet. In Knossos ist nur der Vorraum zum Thronsaal eingestürzt… lässt sich bis zur nächsten Saison wieder richten. Du wirst es nicht glauben, aber selbst unsere rote Prachtvilla steht noch. Vom Kraterrand ist zwar etwas abgebröckelt, aber ansonsten ist nicht viel passiert… Die Esel rennen schon wieder den Weg hoch, als wäre nie etwas gewesen… Scheint als hätten wir das Schlimmste verhindern können.“

    Daniel beugte sich ein wenig nach vorn und flüsterte vertraulich:

    „Das Pentagon weint natürlich dem ZPM nach, aber McKay konnte glaubhaft versichern, dass es hier gut aufgehoben ist. Ist schon fantastisch, aber man sieht nichts mehr von einem Zugang zum Kontrollraum. Dr. Lee und sein Team haben gestern einige geologische Untersuchungen gemacht… nichts. Nicht einmal der Verdacht eines Hohlraumes…“

    Daniel seufzte, forschte in Jacks Gesicht nach einer Regung, nach dem leisesten Anzeichen des Verstehens… Doch nichts deutete darauf hin, dass O’Neill bei Bewusstsein war. Daniel biss sich frustriert auf die Unterlippe und versuchte die Hilflosigkeit zurückzudrängen, die ihn jeden Tag überkam, wenn er an Jacks Bett saß.

    „Übrigens, das Pentagon hat eine Botschaft vom Weißen Haus übermittelt. Der Präsident hat dich für einen Tapferkeitsorden vorgeschlagen, der wievielte ist das jetzt, Jack? Sheppard meint, du hättest allmählich keinen Platz mehr auf deiner Jacke… Und die griechische Regierung lässt dir ihren Dank aussprechen und würde dir gerne einen Wunsch erfüllen… Wie wäre es mit freiem All Inclusive Urlaub für den Rest deines Lebens?“, meinte Daniel scherzhaft und wünschte sich nichts mehr, als Jacks Lachen zu hören oder sein breites Grinsen zu sehen…

    „Also kein All Inclusive Urlaub…”, seufzte Daniel und ließ den Kopf hängen.

    Er verbarg das Gesicht in den Händen und würgte den Kloß hinunter, der sich in seiner Kehle bildete. Dr. Lam sagte, er müsste Geduld haben… doch das war gar nicht so einfach. Er fand Jack ließ sich verdammt viel Zeit und stellte seine Geduld auf eine arge Zerreißprobe.

    „Die… rote… Villa“

    Daniel glaubte sich verhört zu haben. Alarmiert blickte er auf und sah zu Jack. Nichts.

    „Jack?“

    Es zuckte in dem bleichen Gesicht, die Augenlider flatterten und die blutleeren Lippen öffneten sich leicht.

    „Alles… wird… gut“

    Kaum verständlich kamen die Silben aus Jacks Mund und doch war es seine Stimme, seine Worte, die er aus eigener Kraft gesprochen hatte. Daniel lachte vor Freude, vor Erleichterung und erkannte unter den halb geöffneten Lidern Jacks alt vertrauten Blick. Er legte eine Hand auf Jacks Arm und drückte ihn beruhigend.

    „Ja, Jack. Alles wird gut. Jetzt wird alles gut!“



    ***

    Und wieder kroch ein neuer Tag über den Horizont, und wieder sah er die Sonne rot und glühend dem Meer entgegen streben. Seit Tagen überließ er sich dem Wechsel der Gezeiten, lauschte dem Kreischen der Möwen, dem Schreien der Esel und dem leisen Tumult der Touristen in den engen Gassen und Straßen.

    Gab es vielleicht doch Gerechtigkeit im Leben? Gab es den Punkt, an dem sich alles ausglich, keine Rechnungen mehr offen waren, an dem es keine Fragen mehr gab, sondern nur noch Antworten? Es war als sei er nach einer langen Reise endlich angekommen, als habe er gefunden, wonach er auf so vielen Irrwegen gesucht hatte. Er konnte kaum glauben, dass er so lange gebraucht hatte, um an diesem Punkt anzukommen. Er konnte kaum glauben, dass ihn sein Leben und sein Schicksal - nach allem was er erfahren, was er getan hatte – hierherführte, an diesen magischen Ort der Heilung, an dem er endlich Genesung finden sollte.

    Und vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben war er einem Land für eine Auszeichnung zutiefst dankbar. Dankbar, weil sie ihn mit Zufriedenheit erfüllte. Nie hatte er angenommen, dass die griechische Regierung seiner Bitte Folge leisten würde. Umso überraschter war er, als der Außenminister persönlich an seinem Krankenbett erschienen war und ihm die Schenkungsurkunde überreicht hatte.

    Nach Jahren besaß er also wieder ein Haus… Und als habe es all die Zeit duldsamen Leerstehens auf ihn gewartet, öffnete es ihm nun ungeahnte Möglichkeiten. Jack O’Neill war Besitzer der roten Prachtvilla am Kraterrand von Fira. Er seufzte. Und zum ersten Mal seit Monaten, war es kein Seufzen der Frustration, sondern der Zufriedenheit.

    Drei Wochen hatte er im Krankenhaus verbracht. Das Leben war nur langsam in ihn zurückgekehrt und es dauerte Tage, bis er kräftig genug war, um von Daniel zu erfahren, was sie bewirkt hatten – was er bewirkt hatte.

    Er warf einen Blick übers Meer zu Nea Kameni hinüber und verfolgte mit seinen Augen die Spur, die die Lava über die kleine Insel gezogen hatte. Längst war das glühende, flammende Orange einem glänzenden Schwarz gewichen. Laut Dr. Lee erstarrte der Lavastrom unglaublich schnell und der Kolumbos und die Kamenis stellten augenblicklich jegliche seismologische Aktivität ein. Heute waren die Vulkane wieder schlafende Riesen, eingedämmt und befriedet von dem Schutzschild, das er aktiviert hatte.

    Ebenso verhielt es sich mit der rätselhaften Krankheit. Wie durch ein Wunder, dass sich kein Mediziner der unwissenden Welt erklären konnte, sprachen die Patienten auf einmal auf das Antibiotikum an, das Fieber ging zurück und bereits nach Tagen war das Virus nicht mehr nachweisbar. Alles um ihn herum erholte sich, wurde erneuert und erblühte zu neuem Leben.

    Santorin nahm den Tourismus wieder auf und inzwischen erinnerten nur noch ein paar Trümmer des letzten Erdbebens an die im letzten Moment verhinderte Katastrophe. Als habe man die Tage der Dunkelheit einfach aus dem Fluss der Zeit geschnitten, dachte Jack und beobachtete still das Treiben unten im Hafen, in dem die kleinen Boote anlegten, die die vielen Menschen von den wieder zahlreich in der Caldera vor Anker liegenden Kreuzfahrtschiffen herüberbrachten.

    Ja, es schien wirklich so, als habe die Insel eine Heilung erfahren. Eine Heilung, die er möglich gemacht hatte, und die er sich selbst nicht einräumen konnte. Jetzt nicht und niemals mehr…

    Vor gut einer Woche hatte ihm Dr. Lam erklärt, dass sich das Gen in seiner DNA erneut verändert habe. Wie vor knapp einem Jahr war es heute kaum noch nachweisbar… Als habe es sich erneut schlafen gelegt, um ihm die Möglichkeit zur Regeneration einzuräumen. Eine wissenschaftliche Erklärung gab es dafür nicht. Zurück blieb die Arthrofibrose, gegen die kein Kraut der Welt gewachsen war und die ihn unweigerlich mit den Jahren in den Rollstuhl bringen würde - früher oder später, wie die Ärzte es wachsweich formulierten. Nun, er persönlich entschied sich für später – viel später…

    Er empfand keine Verzweiflung mehr darüber, ja noch nicht einmal mehr Wut. Er haderte nicht mehr mit sich selbst. Und obwohl ihm klar war, dass nichts mehr so sein würde wie früher, dass sich sein kompletter Alltag mit dem Fortschreiten der Krankheit verändern würde, nahm er sein Schicksal an und kämpfte um jeden Tag an dem es ihm gut ging.

    Sobald er aus der Klinik entlassen worden war hatte er seinen eigenen Trainingsplan ausgearbeitet, den er täglich verbissen einhielt. Er nahm gewissenhaft seine Medikamente, durchforschte das Internet, befragte Spezialisten und war bereit alles zu tun, um die letzte Stufe – nämlich den kompletten Verlust seiner Gehfähigkeit – solange hinauszuzögern wie es nur irgend ging.

    Er plante voraus, hatte Davis genaueste Anweisungen zur Umgestaltung seines Büros und seiner Wohnung zukommen lassen und der junge Colonel hatte ihm versichert, dass alles zu seiner Zufriedenheit sein würde, wenn er erst wieder nach D.C. zurück kam. Doch bis dahin war noch ein wenig Zeit. Das Weiße Haus beugte sich den ärztlichen Weisungen und gönnte ihm noch ein paar Wochen der Erholung. Ein paar Wochen, in denen er sein Haus und seine Insel genießen konnte.

    „So, ich bin dann soweit“, hörte er hinter sich Daniels Stimme. „Bist du sicher dass du alleine klar kommst?“

    Jack drehte sich um, stützte sich auf seinen Stock und humpelte Daniel entgegen. Erschöpfung machte sich in ihm breit. Er hatte lange Zeit an der Mauer gestanden und den Blick aufs Meer genossen, jetzt tat ihm nicht nur der Rücken weh, sondern auch die Schwäche kehrte in seine Beine zurück. Dennoch warf er Daniel ein breites Grinsen zu.

    „Ich bin sicher…“, meinte er bestimmt.

    Daniel stand mit gepackter Reisetasche vor ihm auf der Terrasse und war fertig zur Abreise. Sein Urlaub war aufgebraucht und selbst die Freistellung vom aktiven Dienst neigte sich dem Ende entgegen. Landry hatte durchklingen lassen, dass er im SGC gebraucht wurde und Daniel musste zurück nach Colorado Springs. Jack war das nicht unrecht. Er genoss zwar Daniels Gesellschaft und war ihm auch unendlich dankbar für die Hilfe in den vergangenen Wochen, doch es wurde Zeit, dass er seinen Weg allein meisterte, dass er zurück in seinen Alltag fand. Es wurde Zeit, dass wieder Normalität einkehrte.

    Er begegnete Daniels prüfendem Blick und betonte noch einmal mit Nachdruck: „Ich komme zurecht, Daniel.“

    Daniel runzelte die Stirn und betrachtete ihn abschätzend. „Diese Antwort hast du mir schon oft gegeben, Jack. Aber diesmal bin ich geneigt, dir zu glauben.“

    „Na, dann ist doch alles bestens…“, meinte Jack leichthin und erzwang damit Daniels Lächeln.

    Er hasste Abschiede jeglicher Form. Deshalb warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. „Du verpasst noch deinen Flug. Der Hubschrauber wartet nicht…“

    Daniel nickte und verstand seinen Wink mit dem Zaunpfahl. „Ich melde mich aus dem Berg… mach’s gut“, erwiderte Daniel, umarmte ihn kurz und fest, klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und schnappte dann seine Reisetasche.

    „Wir sehen uns…“, meinte Daniel beim Verlassen der Terrasse und winkte noch einmal zum Abschied.

    „Klar“, rief ihm Jack nach und als er die Abschlusstür ins Schloss fallen hörte, ließ er sich müde auf einem Liegestuhl nieder. Vorsichtig streckte er die Beine aus, stopfte eine Handtuchrolle unter seine Kniegelenke, lehnte sich dann entspannt zurück und schloss die Augen. Allein. Eine neue Herausforderung. Er konnte sich kaum mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal allein gewesen war. Doch er hatte keine Angst davor und er hatte nicht gelogen, als er Daniel sagte, dass er zurechtkommen würde.

    Er genoss die Ruhe und die Geborgenheit, die ihm dieser Ort gab. Ja ein Ort wie dieser hier. Er hatte es Daniel damals bei ihrem ersten Urlaub auf Kreta prophezeit. Nun hatte er seine Zuflucht, seine Endstation gefunden. Dies war der Platz wo er seinen Lebensabend verbringen wollte, behindertengerecht oder nicht. Er würde einen Weg finden, dann, wenn ihn das Pentagon nicht mehr haben wollte…

    Er grinste. Sicher, er könnte sich pensionieren lassen. Er hatte mit Daniel in den letzten Tagen oft darüber gesprochen. Das Pentagon und das Weiße Haus würden seinem Wunsch nichts entgegensetzen. Er könnte Davis als seinen Nachfolger vorschlagen, Ba’al und seine Angel schnappen und auswandern, einfach nur das süße Nichtstun genießen, die Füße in den Sand stecken, die Angelrute ins Wasser hängen und warten bis ihn einer seiner Freunde mal besuchte, um ein paar Tage Urlaub unter Griechenlands Sonne zu machen…
    Die Versuchung war groß, aber die Gewissheit der Möglichkeit noch viel größer.

    Daniel hatte Recht. Er konnte noch nicht, nichts tun. Eitelkeit hin oder her, noch war er nicht bereit, sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Dafür war immer noch Zeit – an einem anderen Tag…

    Vielleicht kam das Glück eben doch zu dem der warten konnte, überlegte Jack. Die Zeit hatte ihm Gelassenheit beigebracht und nun gedieh in ihm auf einmal eine Zufriedenheit, die das Altwerden erst möglich machte.

    Es quälte ihn schon lange kein Ehrgeiz mehr. Er hatte viel erreicht, hielt einen gewissen Status inne in den Kreisen der Air Force, sein Name besaß Gewicht. Niemand konnte ihm jetzt noch irgendetwas vorschreiben oder den Weg verstellen. Es galten für ihn keine Regeln mehr, keine Vorschriften, bis auf die, denen er sich selbst unterordnete. Er konnte sich Freiheiten herausnehmen, niemand würde ihm eine Bitte abschlagen. Und mit der roten Villa besaß er einen Schatz in der Hinterhand, der es ihm leicht machte auf den Ruhestand noch ein wenig zu warten.

    Jack grinste, verschränkte zufrieden die Arme hinter dem Kopf und stellte überrascht fest, dass er vielleicht doch endlich ein ‚großes‘ bisschen glücklich war...


    ***



    Epilog





    Vor den Säulen des Herakles lag eine Insel, größer als Asia und Lybia zusammen.
    Die Insel trug den Namen Atlantis, wie das Meer, das sie umfloss.
    Die Königsmacht, die dort herrschte, war groß und bewundernswert.
    Der Gott der Götter, Zeus, hatte sie eingesetzt, denn die Atlantier besaßen eine wahrhaftige und großherzige Gesinnung.
    Als aber der Anteil des Gottes in ihnen allmählich schwand, beschloss Zeus sie mit Erdbeben und Überschwemmungen zu strafen.
    Während eines einzigen schlimmen Tages und einer einzigen schlimmen Nacht verschwand die Insel mitsamt dem schuldhaften Geschlecht und versank im Meer…


    Plato
    Geändert von GarfieldmyHero (04.07.2010 um 19:36 Uhr)


  20. #20
    Turbo-Denker/Seher alias Beamter Avatar von Dakimani
    Registriert seit
    07.09.2007
    Ort
    Steiermark
    Beiträge
    633

    Standard

    OMG.....................was für eine Hammer Geschichte
    WWWWOOOOOOOOOOWWWW
    einfach grenzgenial.....traumhaft, ich komm aus dem schwermmen gar nicht mehr raus

    das 6. Kapitel......spannung, spannung voller großartigen Ideen und beste beschreibungen der umgebung....konnte mir ein super Bild von den Unterirdischen Gängen machen
    konnte mir auch genau mckay vorstellen, als er da so hilflos vor Jack kniete und nicht wusste wir er Erste-Hilfe anwand

    und das "Ende"...........ein traum......Jack und sein Traumhaus auf Griechenland ach wie schön muss es doch sein *schwärm*
    Er wird aber nie in Pension gehen, hab ich so das Gefühl!!

    lg Daky

    PS: Garfield, einfach eine tolle Geschichte, ich beneide dich für deine Idee(n)

Seite 1 von 2 12 LetzteLetzte

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •