Jugendsünden
… werden nicht vergessen, aber vielleicht irgendwann vergeben …
– Kapitel 23 –
Der Abend war lang und anstrengend gewesen. Obwohl Sam so viel durchgemacht hatte, war sie zur Rezeption gegangen und hatte für Jacks geschwollene Lippe Eis zum Kühlen besorgt, welches er nachdenklich darauf legte. Danach hatten sie sich ins Bett gelegt und Sam hatte sich schweigend in seinen Arm gekuschelt. Obwohl sie eine Menge Fragen hatte, hatte sie Jack keine einzige gestellt.
Der General beobachtete den Körper seiner Geliebten. Ihre Atemzüge waren ruhig und gleichmäßig.
Er hatte Jerry unterschätzt. Hätte er geahnt, was er vorgehabt hatte, hätte er Sam sicher keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Noch einmal stand ihm die Szene vor Augen, als er Sam und Jerry gesehen hatte, als er sie aus dem Aufzug geschoben und gegen ihren Willen geküsst hatte.
'Was war nur aus seinem damaligen Freund geworden? Hatte ihn der Hass so sehr zerfressen, dass er Jack um jeden Preis wehtun wollte?' Anders konnte er sich sein Handeln nicht erklären.
Er starrte in die Dunkelheit und wusste, dass die Zeit gekommen war, sich allem zu stellen. Ob Sam ihn dann immer noch so sehen würde? Konnte sie so jemanden wie ihn dann immer noch lieben?
Er seufzte, die Last der Vergangenheit lag schwer auf seinen Schultern, erneut drohte sie an die Oberfläche zu kommen und ihn zu übermannen. Er drückte Sam noch enger an sich, er brauchte sie jetzt mehr denn je. Sie war sein Anker, der ihn festhielt und ihm Kraft verlieh, um nicht vom Sog seiner Schuldgefühle fortgerissen zu werden.
Irgendwann wurden seine Augenlieder schwer, so dass er nicht mehr gegen die Müdigkeit ankämpfte.
Obwohl er durch die Ereignisse des Abends geschafft war, träumte Jack.
Er saß auf der Bank in der Umkleide des Stargatecenters. Die Tür hinter ihm wurde geöffnet und jemand kam herein.
„Was willst du jetzt tun?“ Jack drehte sich um, er hatte die Stimme seines Freundes erkannt.
Teal’c hatte gesprochen.
„Ich werde es ihr erzählen“, seine Antwort hatte etwas Schwermütiges. Zweifel und Ängste schwangen darin mit.
„Das ist nicht einfach, das erfordert eine Menge Vertrauen und Mut“, erwiderte Teal’c sanft.
„Ja, ich wollte eigentlich nie wieder darüber sprechen, doch wie es aussieht, ruht die Vergangenheit nicht. Jugendsünden werden nicht vergessen, aber vergeben …?“, seine Stimme klang traurig und sein Blick war in die Ferne gerichtet.
„Jack, es wird Zeit …“, forderte sein Freund Jack auf und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
„Zeit wofür?“, wollte Jack wissen.
„Ich begleite dich ein Stück auf deinem Weg“, erklärte ihm der Jaffa.
Jack stand auf, er wusste, dass es zwecklos war und so verließen sie die Umkleide. Gemeinsam gingen sie durch die verlassenen Korridore des SGCs. Gerade als er dachte, sie würden durch das Tor gehen, so standen sie doch im nächsten Moment im Wald. Er kannte diesen Ort, er war düster und dunkel. Die einzigen Laute, die durch den Wald hallten, waren das Flattern von Flügeln und das Krächzen von Raben. Dichter Nebel verschleierte ihnen die Sicht, doch Teal’c wusste anscheinend, wo es lang ging. Dieser Ort bereitete ihm Unbehagen.
„Wo bringst du mich hin?“, wollte der General wissen.
„Zu den Ruinen“, Teal’cs Antwort war kurz und bündig.
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, schließlich erreichten sie die Ruinen. Sie waren mit vielen Tausend Kerzen erhellt und das Licht strahlte hell und freundlich zu ihnen hinüber. Es hatte etwas Hoffungsvolles in dieser düsteren Umgebung. Alles außerhalb der Mauern lag im Dunkeln und im dichten Nebel verborgen.
Dann setzte sich Teal‘c ans Lagerfeuer und nahm seine Meditationsposition ein und Jack setzte sich neben ihn.
'Wollte er jetzt sein Kelnorem abhalten?'
Der Krieger konzentrierte sich auf sich, als er seine Augen für einen Moment schloss.
„Ist meine Prüfung nun beendet?“
„Nein, eine liegt noch vor dir. Ich weiß, dass du an dir zweifelst, aber du musst an dich glauben und Vertrauen haben“, entgegnete der Jaffa.
„Kann ich mich selbst überwinden?“, stellte er eine dieser ungewissen Fragen, die ihm auf der Zunge lagen.
„Es liegt ganz bei dir …“, antwortete der Krieger und sah seinen Freund ernst an.
„Teal’c, ich …“
„Ja, ich weiß, dass du Angst hast, dich ihr zu öffnen und dass eine Menge Gefühle in dir toben und dich quälen …
Du fühlst dich schuldig und verantwortlich für das, was damals geschehen ist, doch du musst dich davon frei machen. Denn nur, wenn du erkennst, dass du auch nur ein Mensch bist und Fehler machst, kannst du dich auch überwinden und mit dir selbst ins Reine kommen.
Du musst die Vergangenheit los lassen, wenn es an der Zeit ist. Halte nicht weiter am Schmerz fest … Jugendsünden passieren“, erklärte ihm sein Freund. Seine Stimme klang warm und freundlich.
„Teal’c , ich bin dafür verantwortlich, der Autounfall und der Tod von Freddy waren keine natürliche Todesursache“, es zu denken war schon schwer, aber es auszusprechen war noch schwerer. Seine Schuldgefühle und Trauer drückten wie eine schwere Last auf seine Seele.
„Jack, Freddys Tod hättest du nicht verhindern können. Seine Zeit war abgelaufen und das weißt du … Wäre er nicht zu diesem Zeitpunkt gestorben, so hätte seine Krankheit nur wenige Monate später zu seinem Tod geführt, sein Leiden hätte sich nur um ein paar Monate verlängert“, versuchte er Jack die Situation klar zu machen. Er konnte die Situation mit genug Abstand von außen betrachten. Jack dagegen war zu sehr involviert und dadurch befangen. Seine Gefühle beherrschten ihn.
Es fiel ihm schwer, zu akzeptieren, was vor so vielen Jahren geschehen war. Freddy war sein bester Freud gewesen. Sie waren zusammen aufgewachsen und zusammen in den Kindergarten gegangen, waren in derselben Klasse gewesen und hatten so einige gemeinsame Freunde. Eine tolle Zeit und viele schöne Erinnerungen verbanden ihn mit seinem Freund.
Das Gesicht des Generals sah angespannt und gequält aus. Er seufzte, als die Erinnerungen der letzten gemeinsamen Zeit noch einmal vor seinen Augen abliefen.
„Ich weiß …“, ein kalter Schauer lief ihm bei den Erinnerungen über den Rücken.
Freddy war erst sechzehn Jahre alt gewesen, als man bei ihm chronische Leukämie festgestellt hatte. Von da an begann sich das Leben für Freddy zu verändern. Häufige Besuche beim Arzt. Immer wieder Fehlzeiten in der
Schule und längere Aufenthalte im Krankenhaus. Statt wie ein normaler Teenager zu leben, musste er sich
einen lebensgefährlichen Gehirntumor entfernen lassen und sich einer Chemotherapie unterziehen.
Jack, Rachel, Jerry und seine anderen Freunde hatten ihn oft zuhause und im Krankenhaus besucht und gehofft, dass er irgendwann wieder auf die Beine kommen würde. Sie waren eine Clique gewesen. Hatten sich jeden Tag gesehen und waren oft um die Blocks gezogen. Manchmal spielten sie anderen Streiche oder forderten sich gegenseitig zu Mutproben heraus.
Aber stattdessen begann Freddy, sich zu verändern. Sowohl äußerlich, als er durch die Chemotherapie seine Haare verlor, als auch charakterlich. Am Ende war er nicht mehr der Freund, den Jack seit seinen Kindertagen kannte.
Rachel und Jack waren die einzigen außer seinen Eltern, die Freddy regelmäßig im Krankenhaus besucht hatten. Freddy war anfangs noch optimistisch gewesen, dass er die Krankheit besiegen konnte und kämpfte dagegen an, in dem er sich erst den Gehirntumor entfernen ließ und anschließend die Chemotherapie machte.
Doch sein stark geschwächtes Immunsystem zwang ihn immer wieder zu weiteren Aufenthalten im Krankenhaus. Infektionen im Rachenbereich, allmählich aufkommende Allergien und Lebensmittelunverträglichkeiten setzten dem Jungen immer mehr zu.
Die Krankheit begann, seinen Freund zu zermürben, schlimmer waren seine ausgeprägten Depressionen.
Er wirkte am Ende nur noch wie ein Schatten seiner selbst. Der fröhliche Junge, der er einst gewesen war,
existierte nicht mehr, er sah blass und ausgemergelt aus. Irgendwann wurde Freddy klar, dass er die Krankheit nicht besiegen konnte.
Nachdem ihm bewusst wurde, dass er nicht mehr genesen würde, weigerte er sich, weiter im Krankenhaus zu bleiben. Die letzten Monate verbrachte er bis zu dem Autounfall zuhause. Eine ausgebildete Krankenschwester kümmerte sich um ihn.
Ein allerletztes Mal wollte Freddy sich wie ein Teenager fühlen, mit seinen Freunden ausgehen und Spaß haben, bevor ihn seine Kräfte endgültig verließen.
Schmerz spiegelte sich in Jacks Augen wieder, er hätte alles dafür gegeben, wenn er diesen Tag, den letzten Tag in Freddys Leben, hätte verändern oder rückgängig machen können.
„O’Neill, du wirst es schaffen“, ermutigte ihn der Jaffa.
„Tatsächlich?“, fragte er und der typische ironische Unterton war aus diesem einen Wort zu hören.
„Verschließe dich nicht und hab Vertrauen. Die Liebe kann alle Wunden heilen, dann kannst du alle Hindernisse überwinden“, gab er Jack einen letzten Rat.
„Danke, mein Freund“, erwiderte er. Teal’c nickte.
Jacks Blick glitt zum Feuer. Die Flammen zügelten nach dem Holz. Es wurde auf einmal so hell, das es den General blendete und er seinen Arm vor seine Augen schob, um sie zu schützen.
Jack blinzelte, es war hell, die ersten Sonnenstrahlen fielen durch einen Spalt im Vorhang ins Zimmer. Es war Morgen. Sein Blick glitt zu Sam, die gerade aufwachte.
Sie sah ihm in die Augen. Ihre blauen Augen strahlten ihn an.
„Hi“, flüsterte sie.
„Hi“, erwiderte er, seine Stimme war nur ein Wispern.
„Alles ok? Geht es dir gut?“, fragte sie leise.
„Ja, ich hab heute Nacht gegen meine inneren Dämonen angekämpft“, sagte er leise.
„Oh. Magst du mir davon erzählen?“, fragte sie sanft.
„Ich möchte später mit dir zu einem besonderen Ort fahren. Es tut mir leid, dass ich so verschlossen bin.
Manchmal frage ich mich, was du mit so einem so verkorksten und sturen Mann möchtest. Was du am mir liebst.“
„Es gibt viele Dinge, die ich an dir liebe, aber am meisten liebe ich an dir, das du so bist wie du bist. Alles was dich ausmacht. Deine Stärken und Schwächen, deine Verletzlichkeit hinter der harten Schale, deine liebevolle Art,
dich um andere zu kümmern. Du möchtest alles mit dir alleine ausmachen, aber das musst du gar nicht.
Du bist nicht alleine, wenn du mich lässt … dann möchte ich dir helfen, deine schwere Last zu tragen.
Ich bin jetzt deine Familie.
Ich liebe dich und nichts wird etwas daran ändern“, wisperte sie.
Ihre Worte berührten sein Innerstes, Wärme breitete sich tief drinnen ihn ihm aus, ein Lächeln kräuselte seine Lippen.
„Sam, du bist eine unglaubliche Frau. Du hast ein großes Herz, ich weiß nicht, mit was ich dich verdiene, aber ich bin froh, dass du da bist. Ich liebe dich“, seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, aber es reichte, um Sams Augen noch mehr zum Strahlen zu bringen. Sie zog ihn noch näher zu sich und küsste ihn zärtlich. Die feine Berührung ihrer Lippen löste eine Welle von Glücksgefühlen in seinem Körper aus.
Solche Momente waren selten und gaben ihm Kraft für das, was er an dem Tag vor hatte.
Die Wahrheit zu offenbaren, erforderte eine Menge Mut und Vertrauen und Jack würde sie aufbringen.
Fortsetzung folgt …