Autor: Antares
Inhalt: Sandstürme, Hieroglyphen und Erotik – Daniel liest aus seinen Tagebüchern
Rating: zu Beginn PG - aber ich denke, gegen Ende weitaus höher.
Pairing(s): zu Beginn Daniel/Sha’re im Rückblick
(später wohl auch Jack/Daniel)
Staffel: 7
Anmerkungen : 1. Besten Dank für das Beta an Manuela
2. Der Titel bezieht sich nicht auf Bernard Schlinks Roman „Der Vorleser“, sondern ist viel eher als das männliche Pendant zu Raymond Jeans 1986 erschienenem Roman „Die Vorleserin“ (La Lectrice) zu verstehen.
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Hätte man Jack in einer dieser Umfragen – und man konnte ja wirklich in jedem Käseblättchen ergründen, ob man besser ein blaues oder ein grünes Auto kaufte, eher der romantische oder der realistische Typ war – gefragt, ob er ein Leser sei, so hätte er ohne jeden Zweifel „Ja“ gesagt. Hätte er dann noch die Box „häufig – selten – nie“ auswählen sollen, so wäre er wohl in Schwierigkeiten geraten. Denn wenn man sich mit Daniel Jackson verglich, wer konnte da wirklich ruhigen Gewissens „häufig“ ankreuzen?
Was verstanden die überhaupt unter häufig? Er las jeden Tag, das sollte wohl qualifizieren. Er las regelmäßig das MAD-Magazin und jeden Tag, den er auf der Erde verbrachte, die Tageszeitung. Wenngleich das Kreuzworträtsel darin manchmal soviel Zeit in Anspruch nahm, dass für den Kulturteil nicht mehr als ein flüchtiger Blick blieb. Er las Anglermagazine, Motorrad-Revuen, den obligatorischen Playboy dann und wann. Er las die Fernsehzeitung, um zu sehen, ob es einen der Beststeller, die er als Buch verpasst hatte, jetzt in der anderthalb Stunden Fassung mit schönen bunten Bildern gab. Und er las Missionsberichte, Einsatzpläne, Budgetaufstellungen, Mitarbeiterbeurteilungen...
Für die ganz entspannten, privaten Stunden, gab es auf seinem Nachtschränkchen noch einen Leckerbissen: „Die berühmtesten englischen Flieger des Ersten Weltkriegs“. Wie ein Schokoladen-Betthupferl – nur viel gesünder nach dem Zähneputzen – führte Jack sich kurz vor dem Einschlafen die alten Haudegen und eiskalten Taktierer häppchenweise zu Gemüte. Er ließ sich ihr Leben auf der Zunge zergehen und war abwechselnd froh, dass er nicht zu diesem Zeitpunkt in der Royal Air Force gedient hatte, denn das Durchschnittsalter, das die Kampfflieger erreichten war fürchterlich niedrig und betrübt, dass er niemals diese Aufbruchstimmung, dieses Gefühl, endlich der unumschränkte Herr der Lüfte zu sein, kennen gelernt hatte.
Ja, für den imaginären Befrager, der seine Lesegewohnheiten und Vorlieben dann für seinen statistischen Jahresbericht in Zahlen, Tabellen und Kuchendiagramme verwandelt hätte, wäre er zweifellos in der Rubrik „regelmäßiger Leser“ gelandet.
Niemals jedoch hätte sich Jack träumen lassen, dass er auch einmal die Frage: „Lassen Sie sich vorlesen?“ mit Ja beantwortet hätte. Vorlesen war etwas für Kinder, die noch nicht lesen konnten, die man so in Welten mitnehmen konnte, die sie alleine nicht ergründen konnten. Er hatte – viel zu selten – Charlie vorgelesen, hatte ihn als erster mit Indianern und Raumfahrern vertraut gemacht.
Aber sich selbst vorlesen lassen? Jack hatte einen wenig erfolgreichen Vorstoß in die Welt der Hörbücher unternommen. Doch nach einem hochgelobten Krimi, bei dem er mehr als vier Mal eingeschlafen war, bevor er mitbekommen hatte, wer der hinterhältige Mörder war und nach einem Ausflug in die Welt der vorgelesenen Sachbücher, die ihn sogar tagsüber auf dem Weg zum SGC hatten lauthals gähnen lassen, war Jack zu der Erkenntnis gelang, dass er und Hörbücher nicht auf einer Wellenlänge lagen. Was natürlich ein Trugschluss war. Weniger das Medium als vielmehr die unkluge Auswahl der Lektüre hatte ihn zu dieser voreiligen Entscheidung getrieben.
Hätte er weniger auf die Beststellerlisten geschielt und sich mehr von seinen niederen Instinkten treiben lassen, wäre ihm bestimmt das Cover mit der nackten Frau und dem Buch aufgefallen - „Die Vorleserin“. Die Zusammenfassung hätte ihm außerdem prickelnde Erotik versprochen und wer weiß, vielleicht hätte auch ihn die Magie in der Stimme der Vorleserin zum Zuhören gezwungen und ihn nicht zu vorzeitigem Einschlafen verleitet. Es wäre immerhin möglich gewesen.
Aber Jack hatte nicht nach der nackten Frau mit dem Buch gegriffen. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass Jack, da er nicht literarisch vorgewarnt war, auch nicht mitbekam, dass seine Lesegewohnten eine drastische Wende vollziehen sollten. Ausgerechnet als er – auf der Suche nach ein wenig Ablenkung – an einem regnerischen Mittwochnachmittag, Daniel in seiner Wohnung einen Besuch abstattete.
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„Hey, Daniel. Störe ich?“ Mit einem breiten Grinsen schob sich Jack an Daniel vorbei, der immer noch die Tür halb-offen hielt, in dessen Wohnung.
„Ich würde ja sagen: ‚Komm rein’ – aber das hat sich wohl erübrigt“, stellte Daniel kopfschüttelnd fest und schloss hinter Jack die Tür.
„Was machst du gerade?“ Jack drehte sich von dort, wo er auf Daniels Schreibtisch ein paar Manuskripte befingerte, zu Daniel um, der jetzt neben ihn trat.
„Bis vor einer Minute habe ich ein Buch über sumerische Keilschrift gelesen. In diesem Moment versuche ich dich daran zu hindern, ein sechshundert Jahre altes Manuskript – und handschriftlich ist hier wörtlich zu nehmen – mit Eselsohren zu verzieren.“
Behutsam nahm Daniel Jack das vergilbte Papier aus der Hand und legte es auf einem kunstvoll gestapelten Turm mit Büchern ab, dessen Stabilität jeden Statiker erfreut hätte.
Doch Jacks unruhige Hände hatten schon das nächste Ziel ausgemacht. Er ergriff eine in roten Stoff gebundene Kladde und schlug sie auf. Daniels Handschrift, aber auf ein Zehntel ihrer normalen Größe geschrumpft, ließ ihn die Augen zusammenkneifen und das Buch näher an sein Gesicht bringen.
„Ist das …“, er zögerte, versuchte noch einmal mit viel Anstrengung die ersten Zeilen zu entziffern, „… dein Tagebuch von der ersten Abydos-Mission?“
„Ja.“ Daniel schloss und öffnete seine Hände und schien unentschlossen, ob er ihm das Buch wegnehmen sollte oder nicht.
„Man kann es kaum lesen“, beschwerte sich Jack. Seine Nase berührte inzwischen fast die Seiten.
„Ich wusste nicht, wie lange ich mit dem Papier auskommen musste. Deshalb habe ich es so effektiv wie möglich genutzt.“
„Ich verstehe. Kannst du es noch entziffern?“
„Wenn nicht, nehme ich eine Lupe zur Hilfe.“ Daniel zeigte auf eines der Vergrößerungsgläser, wie sie auch im SGC verwendet wurden.
Jack gab es auf, etwas entziffern zu wollen, schloss das Tagebuch und räusperte sich. „Versuchst du so … die letzten Erinnerungslücken zu stopfen?“, erkundigte er sich, und wusste nicht, ob die Frage zu persönlich war. Schließlich sprach Daniel nicht besonders gerne über das eine Jahr auf einer höheren Ebene, das ihm auch die Erinnerung an alles, was davor gewesen war, geraubt hatte. Der allergrößte Teil war zwar in den ersten Tagen zurückgekommen, aber Jack konnte sich vorstellen, dass es auch jetzt, nach Wochen, immer noch Ereignisse gab, bei denen Daniel unsicher war, wie weit er seinem Gedächtnis trauen konnte.
„Das auch. Aber ich scheine nicht mehr vergessen zu haben, als jeder … eh … normale Mensch auch. Du weißt schon, diese typischen Streitpunkte, war Tante Bertha auf dem siebzigsten Geburtstag oder nicht.“
„Nicht, dass er wie Tante Bertha aussieht, aber steht da auch was über Ska’ara drin?“ Jack klopfte mit einem Finger auf den Umschlag.
„Natürlich. Willst du wissen, wie wir zum ersten Mal den Mirghan, eine Art großes Huhn gejagt haben?“
„Kommst du … sehr schlecht weg?“ Jack streckte Daniel das Buch hin.
Der nahm es, zuckte mit den Schultern, schenkte Jack ein unentschiedenes Lächeln und bedeutete, ihm zum Sofa zu folgen.
In der nächsten halben Stunde lernte Jack, dass Daniel nicht gerade eine Bereicherung dieses Jagdausflugs gewesen war. Er hatte viel zu viele Fragen gestellt und am Ende war es nur dem puren Glück der Männer und der Dusseligkeit des Vogels zu verdanken, dass es doch noch gebratenen Mirghan am Spieß zum Abendessen gegeben hatte.
„Noch immer genoss ich einen besonderen Status innerhalb der Gemeinschaft und daran hatte auch mein wenig rühmlicher Beitrag zu den Ereignissen am Nachmittag nichts geändert. Sha’re reichte mir, als erstem, einen knusprig gebratenen Flügel. Ich sprach ihre Sprache inzwischen gut genug, so dass ich halbwegs passabel die Danksagung für die gelungen Jagd herausbrachte. Man nickte mir wohlwollend zu und ich schnitt das Stück Fleisch auf meinem Teller an. Wunderschön konnte man die hohlen Knochen erkennen und ich erklärte meinen verdutzten Zuhörern, warum die Vögel fliegen konnten und die Menschen nicht und was das mit dem Aufbau des Knochens zu tun hatte. „Aber der Mirghan kann nicht fliegen“, wandte Ska’ara ein, nachdem ich meinen kleinen Vortrag beendet hatte. Natürlich nicht. Auch Pinguine können nicht fliegen – aber ich sah mich außerstande, ihnen in diesem Moment von einem Vogel, der kein Vogel war und in ewigem Eis lebte, zu berichten. So erklärte ich ihnen, mithilfe der Evolutionstheorie in Kurzfassung, warum es Vögel gab, die nicht mehr fliegen konnten. Sha’re beugte sich zu mir herüber und versuchte mein Fleisch zu stehlen – was mich dann endlich dazu brachte, den Flügel auch zu essen und nicht länger über ihn zu dozieren.“
Jack, der zu Beginn noch krampfhaft versucht hatte, sein Lachen hinter einer vorgehaltenen Hand zu verbergen, weil er Angst hatte Daniel würde es als Auslachen auffassen, hatte den Kampf inzwischen aufgegeben und hielt sich den Bauch. Er konnte so gut mit Sha’re mitfühlen, kannte er doch ähnliche Begeisterungsstürme Daniels über ein Thema aus einigen Besprechungen.
Daniel verübelte es ihm nicht, nein, konnte sogar mit ihm lachen. Der Abstand zu den Ereignissen war inzwischen groß genug und schon damals hatte er beim Niederschreiben die unfreiwillige Komik des Ganzen gesehen. Jetzt, durch das laute Vorlesen für ein Publikum, wuchs die Distanz noch ein wenig mehr.
Natürlich war er das, aber gleichzeitig war es auch ein Mann, der Daniel Jackson hieß, und dem es weit schwerer als angenommen fiel, die Errungenschaften der Zivilisation abzuschütteln und in das Leben einzutauchen, das er bisher nur aus Büchern gekannt hatte. Dieser Daniel Jackson beging viele Fehler, die der heutige Daniel nicht mehr begehen würde, wusste viele Dinge nicht, die der heutige Vorleser besser wusste.
Jener Daniel hatte aber auch Eigenschaften, die der heutige Daniel nur noch in abgeschwächter Form besaß. Noch immer war da der Optimismus – aber er war nicht mehr so grenzenlos, nicht mehr so naiv, wie noch auf Abydos. Immer noch verspürte er denselben Hunger nach Wissen, aber oft genug wurde er jetzt unter Reglements, was er wann und wie schnell zu erledigen hatte, gedämpft und in Bahnen kanalisiert. Der überschwängliche Wissenseifer des jüngeren Daniel hatte sich noch in Exzessen Bahn gebrochen, die heute, im Rahmen des SGC, einfach nicht mehr möglich waren. Auf Abydos hatte ihn manchmal nur Sha’res Sturheit wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt.
Daniel las Jack noch die Eintragung mit der mehr als handtellergroßen Spinne vor, die ihm ein, wie er versicherte, nur leises Quieken entlockt hatte, als sie versuchte sich von der Decke auf sein Kopfkissen abzuseilen. Und wieder prallten zwei Welten aufeinander, denn als er versuchte, dem Monster mit einem hastig ergriffenen Kochtopfdeckel den Garaus zu machen, hatte Sha’re das Viech schon an einem Bein gepackt und ihm mit einem raschen Griff seinen Hals – oder was auch immer Spinnen in den sicheren Tod beförderte – umgedreht. Dieses Kapitel endete mit der sehr gewöhnungsbedürftigen Beschreibung wie Daniel die Spinne am Abend wieder gesehen hatte – als Fleischbeilage in seiner Suppe.
Jack hätte niemals gedacht, dass er eine Stunde still auf dem Sofa sitzen und Daniel beim Lesen zuhören könnte. Aber es tat ihm fast Leid, als Daniel das Buch zuklappte und meinte: „Ich brauche jetzt erst einmal etwas zu trinken.“
TBC....